Die DFB-Autorennationalmannschaft ist die Nationalelf der Schriftsteller. Im Jahr 2010 wurde sie Europameister - mit einem Finalsieg im Stadion Rote Erde. In dieser Saison begleitet sie alle Heimspiele des BVB in literarischer Form. Heute: Bernd Oeljeschläger über das Spiel Borussia Dortmund gegen die TSG 1899 Hoffenheim (07.04.2015).

(Die Kolumne spiegelt nur die Meinung des Autors, aber nicht zwangsläufig die des BVB wider.)

Für seinen Wortsport-Beitrag hat er das BORUSSEUM besucht und sich von der Aura der ausgestellten Objekte begeistern lassen. Er hofft, dass der BVB noch viele Trophäen für sein Vereinsmuseum holen kann.

„Gib mich die Kirsche“ - Zu Besuch im Dortmunder BORUSSEUM

Museen haben mich schon immer fasziniert. Ich gehe gerne ins Museum, weil ich die Aura der ausgestellten Objekte liebe – das Ehrliche und Authentische der Gegenstände, die in Vitrinen, an den Wänden oder auf Sockeln zu bewundern sind. Diese Objekte sind für mich wichtige Zeugen ihrer Zeit, Zeitzeugen, die für das stehen, was sie „erlebt“ haben – echt, unverfälscht und original.

In Deutschland gibt es mehr als 6.200 Museen. Ein relativ neuer Typ sogenannter Spezialmuseen sind die Fußball- und Vereinsmuseen. Mit großer Begeisterung besuche ich diese Einrichtungen und empfinde sie als besondere Spezies, die sich bei gelungener Präsentation als wahre „Autoritätentempel“ darstellen: In ihnen wird nicht nur Fußballgeschichte erzählt, sie hüten auch die heiligsten Gegenstände aus der bewegten Vergangenheit ihres Vereins.

Wichtige Spiele, besondere Siege, schmerzhafte Niederlagen, Aufstieg, Abstieg, allerlei Mythen und Heldengeschichten sind die Themen dieser Einrichtungen – und mit den ausgestellten Schuhen und Trikots früherer Idole, mit den Trophäen glorreicher Siege und mit vielen anderen Artefakten verfügen Fußballmuseen über Objekte, deren Aura (und Geschichte) das Herz von jedem Fan berühren.

Das BORUSSEUM ist ein solch „berührender“ Ort, an dem man stundenlang Vitrinen streicheln könnte. In Dortmund lebt die ganze Stadt den Fußball – hier schlägt das Herz der Menschen schwarz-gelb. Logisch, dass es für die Geschichte(n) des BVB ein eigenes Museum geben muss. Logisch auch, dass ich mir diese besondere Gattung Museum bei meinem Besuch in Dortmund nicht entgehen lassen kann.

Gleich zu Beginn des Rundgangs beeindruckt mich die Gründungsgeschichte des BVB: Am 19. Dezember 1909 treffen sich mehr als 40 Mitglieder einer katholischen Jugendgruppe in der Kneipe „Zum Wildschütz“. Von der Kirche wurde ihnen das Fußballspielen untersagt, so dass sie zur offiziellen Ausübung ihrer Leidenschaft einen Verein gründen wollen. Bis zuletzt versucht ein katholischer Kaplan dies zu verhindern – aber weil ihm in „tumultartiger Szene“ der Zutritt zur Versammlung verwehrt werden kann, gelingt die Vereinsgründung. Was für eine Geburt!

Und welch imponierender Name des Gründungsortes: Wildschütz! Für einen Fußballverein! Sofort ergreifen mich die Aufrichtigkeit der Vereinsgründer und ihr Einsatz für die eigene Überzeugung. Wer schon die Anfänge mit solcher Aufregung meistert, auf den müssen höhere Aufgaben warten, der bekommt den Siegeswillen nicht nur in die Wiege gelegt, sondern direkt ins Herz gepflanzt. Und der wird mit jener Standhaftigkeit ausgestattet, die die Geschichte des BVB prägt, bis heute.

Wenige Meter weiter stehe ich dem großen Idol des Vereins gegenüber: Lothar Emmerich („Emma“) wurde mit seiner berüchtigten linken Klebe in den 1960er Jahren zweifacher Bundesliga-Torschützenkönig und Held des ersten großen internationalen Vereinserfolges. Am 5. Mai 1966 gewann die Borussia als erster deutscher Verein den Europapokal der Pokalsieger.

Emma („Gib mich die Kirsche“) war mit 14 Treffern Torschützenkönig des internationalen Wettbewerbs. Spuren des umkämpften Finales gegen den FC Liverpool (2:1 nach Verlängerung) prangen noch auf dem Rücken seines Trikots mit der Nummer 11, das neben Zeitungsartikeln und einem Konterfei von ihm im BORUSSEUM hängt. Ein echtes Schmuckstück! Es muss berührt, gestreichelt werden!

Auf der benachbarten Leinwand sehe ich mir die Siegtore von Sigi Held und Reinhard („Stan“) Libuda an – und als ich kurz die Augen schließe, fühle ich mich für einen Moment tatsächlich in den Glasgower Hampden Park versetzt. Ich sehe förmlich, wie Libuda an mir vorbeidribbelt, wie hieß es noch: „An Jesus kommt niemand vorbei, außer Libuda!“

Ich schaue mir noch viele andere Devotionalien an (die Mütze von Helmut Schön, das Trikot von Norbert Dickel, die Brille von Jürgen Klopp: alles am liebsten mitnehmen!) – und gelange schließlich in die „Schatzkammer“ des BORUSSEUMs, der Ort, an dem die Trophäen aus den zahlreichen Finalsiegen aufbewahrt werden.

Silbrig schimmern sie dort unter gedämmtem Licht. Intuitiv fühle ich mich von der Meisterschale und den verschiedenen Pokalen angezogen und nähere mich ihnen ehrfurchtsvoll. Fast könnte man sie für Kunstgegenstände halten, die sich hier allein wegen ihres materiellen Wertes unter Glas befinden – ich dagegen rieche förmlich den Schweiß jener siegreichen Spieler, sehe die Freudentränen der Fans, spüre Leidenschaft, Teamgeist und Siegeswillen, kurzum: ich verliebe mich spontan in diesen Ort und bleibe, verweile, berühre, streichle und staune, ich weiß nicht, wie lange.

Als ich später auf der Tribüne das DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Hoffenheim verfolge, denke ich: Der linke Schuh von Sebastian Kehl, mit dem er in der Verlängerung per Dropkick aus 20 Metern das 3:2 Siegtor erzielt – dieser Schuh gehört auch ins BORUSSEUM, dieser linke Schuh ist (wie sein Träger) ein echter „Wildschütz“!

von Bernd Oeljeschläger

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Bernd Oeljeschläger

Bernd Oeljeschläger, geboren 1968, lebt als Verleger und Sachbuchautor in Berlin und Wildeshausen. In seinem Verlag CULTURCON medien erscheinen regionalgeschichtliche Bücher sowie Reiseführer, Bildbände und die Zeitschrift NIEDERSACHSEN. Zudem verlegt er ein belletristisches Programm mit Romanen aus Südosteuropa unter dem Label „EditionBalkan“. In der Autorennationalmannschaft spielt er meist Innenverteidigung oder (leider weniger schussgewaltig) auf der Position von Sebastian Kehl. Sein Moment für die Ewigkeit: Als sein (damals zweijähriger) Sohn im ersten Kontakt mit einem Fußball einen fulminanten Volleyschuss über den gedeckten Küchentisch hinlegte und der stolze Vater wusste: Der Sohn wird auch einmal Fußballer.  

    

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Evonik Industries, Hauptsponsor von Borussia Dortmund, gehört zu den führenden Spezialchemie-Unternehmen der Welt. Während der BVB mit überraschenden Ideen den Weg zum Tor findet, entwickeln wir innovative Lösungen für unsere Kunden. Und geben dabei Antworten auf die Megatrends Gesundheit, Ernährung, Ressourceneffizienz und Globalisierung. Für Evonik und Borussia Dortmund gilt: Kreativität macht den Unterschied. Die Fähigkeit, im Labor wie auf dem Platz immer wieder neue Verbindungen herzustellen, entscheidet über unseren Erfolg. Daher haben wir die Kolumne „Evonik Wortsport“ ins Leben gerufen – sie verspricht eine Saison lang immer neue, überraschende Kombinationen von Fußball und Literatur.

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