Die DFB-Autorennationalmannschaft ist die Nationalelf der Schriftsteller. Im Jahr 2010 wurde sie Europameister - mit einem Finalsieg im Stadion Rote Erde. In dieser Saison begleitet sie alle Heimspiele des BVB in literarischer Form. Heute: Marius Hulpe mit einem Brief an Jürgen Klopp.

(Die Kolumne spiegelt nur die Meinung des Autors, aber nicht zwangsläufig die des BVB wider.)

Supergute Tage!

Anfangs, lieber Trainer, wurde ich gebeten (und war auch zweifellos gewillt), Dir etwas Schönes zu dichten, eine kleine Hymne zu schreiben, eine Ode vielleicht, oder aber Blankverse mit leicht erhabenem Unterton, doch dann wurde mir klar: sich ein Gedicht in dieser Weise vorzunehmen, das wäre dasselbe, als wenn ein Kicker völlig verkrampft und übermotiviert in ein Spiel geht – mit unabsehbaren Folgen.

Weißt Du, in meiner Zunft ist eine Sache ganz schlimm verpönt, und das ist die Sache mit dem Pathos; alle schauen immer fürchterlich genau, wie weit man sich wieder aus dem Fenster lehnt, und vielleicht liegt darin ja sogar eine gewisse Gemeinsamkeit unserer Berufe – sich trotz all der Hysterie um die Inhalte, mit denen wir uns beschäftigen, selbst halbwegs am Riemen zu reißen, das nächste Spiel schon im Visier zu haben, eine Form zu wahren, und auch: den Ton zu treffen.

Bei Dir hatte ich vom ersten Tag an das Gefühl, dass Dein Ton genau der ist, der in Dortmund gefehlt hat. Du hast Dich, wie ein Dichter eigentlich, einer uralten Form bedient und sie auf Höhe ihrer Zeit gehievt. Es gab auf einmal diesen unverkennbaren, alles um sich herum Mitreißenden und Aufbruch verkündenden Klopp-Sound. Wie heißt’s in Verlagsvorschauen so gern: „Süchtig machend!“

Formen sind manchmal ganz schrecklich und wir haben das Gefühl, dass sie uns beschneiden in dem, was wir tun und sagen möchten. Formen gibt es überall, in der Kunst, im Stahlwerk, in der Ausübung eines Jobs. Du aber hast eine Form gesprengt, und etwas Neues an seine Stelle gesetzt; etwas, auf das sehr viele Menschen gewartet haben.

Wenn ich an die letzten sieben Jahre denke, gibt es eigentlich nur diesen einen Impuls: ebenfalls jede Form hinter mir zu lassen und in meiner Begeisterung einfach völlig überzuschäumen. Selbst wenn es praktisch verboten ist (sorry, liebe Zunft). Aber ich will gar nicht erst so tun, als müsste ich Dir noch erzählen, woher wir kommen. Dir, bei dem ich mir immer schon vorgestellt habe, er würde auch jeden x-beliebigen Landesligakicker sofort ganz prima in seinem alltäglichen Trott, in seiner melancholischen Landesligahaftigkeit verstehen (wenn auch nicht aufstellen). Du verstehst die Kleinen wie die Großen. Darum auch waren Deine Schultern breit genug, um Dich voll auf diesen riesigen und zugleich schwer angeschlagenen Club einzulassen. Deine Empathiefähigkeit hat Dich spüren lassen, wonach Borussias Seele giert. Als Du Deine Zelte aufschlugst, stand allen noch der Angstschweiß auf den Nasenflügeln, drei Jahre nach der großen Rettung.

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Kürzlich hielt ich in irgendeiner Buchhandlung ein kleines Büchlein in den Händen, und mein erster Eindruck war: nicht so mein Ding. Der Titel aber ließ mich aufhorchen. „Supergute Tage“ – unwillkürlich dachte ich an Deine Zeit in Dortmund. Im Allgemeinen erlebt der Borusse sein Fan-Dasein ja eher als Wechselspiel zwischen hellster Erleuchtung und apokalyptischen Szenarien. Wäre Borussia eine Dame, dann wäre sie eine jener hysterischen Cabaret-Künstlerinnen im Berlin der 20er Jahre; morgens noch zu Tode betrübt, am Abend schon wieder frivol jauchzend, dem Himmel entgegen. Obwohl das ja eigentlich nie so richtig zu ihr passte, denn wie die Menschen im Pott ist auch sie in ihrem tiefsten Innern doch ein sehr bescheidenes Wesen. Doch diese ganzen Aufs und Abs hinterlassen Spuren, formen die Seele eines Vereins. Wir kannten früh den süßen Geschmack des Erfolges, wir atmeten schon als Kinder Höhenluft. Doch genauso verlässlich überkam uns immer wieder das grelle Nichts. Nach dem CL-Sieg 1997 erlebte ich zum ersten Mal live einen dieser leisen Verfallsmomente, es ging immer weiter bergab, bis hin zum von Lattek/Sammer gerade noch verhinderten Abstieg 2000. Dann der überraschende Meistertitel nur zwei Jahre später. Und schließlich doch noch der völlige Absturz, fast hinein ins Bodenlose. In diesen Jahren gab es Spiele (1:1 gegen Ulm , 1:3 gegen Unterhaching), während derer die Südtribüne 90 Minuten lang Dinge sang, die Du Dir nicht vorstellen kannst , die hier nicht zitierfähig sind und vor allem aus heutiger Sicht nicht mehr denkbar. Dass so etwas niemand mehr singt, auch das hat etwas mit Dir zu tun. Nach Dir kann ich mir solche Abgründe hier ehrlich gesagt nicht mehr vorstellen, und ich drücke mir selbst ziemlich doll die Daumen, dass ich Recht behalte.

Zum Glück eines Borussen gehört auch, am eigenen Leben zu erfahren, dass es möglich ist, ohne jeden Hauch von Gewalt ein frenetischer, intensiver, ja einfach ziemlich extremer Fan zu sein. Zu verdanken haben es mein langjährigster Stadionbegleiter Matz und ich nicht unseren in Sachen Fußball ziemlich spießigen Eltern, sondern einer guten Seele namens Herrn Sträter, seines Zeichens ehemaliger Küster der kleinen Hohnegemeinde in Soest. Er nahm uns mit. Alles begann in Block 12, auf der Süd, und erst nach der Dauerkartisierung und unserem Verpassen dieser Welle begann unsere Reise durchs Stadion. Mein erstes Spiel überhaupt war ein 3:1 gegen den VfL Bochum in der Saison 1994/95 (Tore: Reuter, Möller, Zorc), danach kamen die großen Jahre. 2005 hockten wir schließlich mit unterdrückten Tränen vor dem Radio, um gebannt einer gewissen Gläubigerversammlung in Düsseldorf zu lauschen. Und nun stehen wir hier, wieder einmal so ganz zwischen den Zeiten, am nur vorläufigen Ende von etwas Großem. Vor einem Neubeginn.

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Ich sehe das noch sehr vor mir. Zwei 19-Jährige ohne jede Bundesligaminute in der Innenverteidigung, der eine frisch aus der Regionalliga Süd, den anderen hast Du direkt aus Mainz mitgebracht. Zwei Babys praktisch, die im Haifischbecken Bundesliga von heut auf morgen aufeinander aufpassen mussten. Aber Du wusstest, sie packen das. Überhaupt, Du hast uns so viele Spieler geschenkt, die vorher niemand auf dem Zettel hatte. Kagawa, Langerak, Großkreutz. Irgendwo aus der Versenkung der 2. Japanischen Liga kamen sie, aus Ahlen (bzw. Block 13) oder australischen Talentschmieden. Woher sie kamen, das war Dir immer egal, Dir ging es lediglich um bestimmte Faktoren: etwa um die Anlage eines Spielers, seine Aufnahmebereitschaft, sein Potential, die eigenen Fähigkeiten zum Wohle der Mannschaft einzubringen. Wissbegierig mussten sie sein, und ich glaube, mit Dir als Trainer wird man ganz automatisch nochmal ein bisschen wissbegieriger.

Du warst auch der Trainer, unter dem Dedê ging, doch niemand sonst hätte eine solche Ikone derart menschlich, fast fürsorglich zu diesem Schritt begleitet wie Du. So wirkte das jedenfalls immer auf mich. Vielleicht gab es hinter verschlossenen Türen auch Zwist deswegen und den einen oder anderen Kloß im Hals, aber in meiner Vorstellung hast Du Dedê in jedem einzelnen Moment fair behandelt. Wer sich mit Deiner eigenen Karriere ein wenig auskennt, dem ist auch klar, dass Du selbst am besten weißt, wie es sich anfühlt, ein alternder, allmählich langsamer werdender Spieler zu sein. Und so, wie Du es von Dir selbst verlangt hast, die Zeichen der Zeit zu erkennen, so verlangst Du es auch von anderen.

Was sich hier nicht alles abgespielt hat. Kannst Du Dir ausmalen, was es für uns bedeutet, sieben Jahre am Stück mit solch einem Team erlebt zu haben? Es wird Dich zwar sicherlich nicht sonderlich erbauen, mit einem wie Sammer in einem Atemzug genannt zu werden, aber genau in diese erste historische Reihe von Borussen bist Du vorgerückt, in mein persönliches Pantheon: neben meinen ersten Begleitern, Herrn Sträter und Matz, sind das für mich der gute Ottmar, Dein Vorgesetzter Susi, zudem eben der Rotschopf aus München, Fußballgott Kohler und Andi Möller. Sicher ließen sich noch viele andere nennen. Aber dies sind eben die Leute, die meines und, so glaube ich ganz fest, auch Millionen anderer Kinderherzen erstrahlen ließen.

Nun also diese letzten Wochen. Als ich neulich, während eines sogenannten Arbeitsfrühstücks, durch einen Bayernfan von Deinem Abschied erfuhr, wäre ich ihm kurz am liebsten ins Gesicht gesprungen (sorry, so ein bisschen theoretische Gewalt muss manchmal eben doch sein). Ich wollte es nicht glauben, zugleich stand mir immer noch dieses Spiel in Gladbach vor Augen, das meine stolze Mannschaft so hilflos erscheinen ließ, und in dem sich mir ganz leise die Ahnung aufdrängte, das heute etwas zu Ende geht. Vorerst.

Ob es Dir also passt, lieber Trainer, oder nicht. In dieser ersten Reihe stehst Du, wer auch immer sich noch hinzugesellt. Zu diesem ewigen Club gehörst Du. Und es bleibt das etwas seltsame Gefühl, so vieles von Dir zu kennen, ja sogar Deine Uvula (das ganze Geschrei, you know).

Du hast dich, und das ist vielleicht der größte Erfolg, hier als Mensch gezeigt, Dich mit Haut und Haar auf uns eingelassen.  Dein Schaffen ist in unseren Herzen verwahrt. Dagegen kannst Du nichts mehr unternehmen.

von Marius Hulpe

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Marius Hulpe

Marius Hulpe, geboren 1982 in Soest, wirbelt in der Autonama piszczekhaft auf den Flügeln. Nach allzu langen Nächten jedoch beugt er sich der Mannschaftsraison und rückt mit T. Klupp in die Innenverteidigung. Kaum jemand weiß, welch guter Stürmer er wäre. Er veröffentlichte drei Gedichtbände, ackerte sich früher durch die Landesliga, war mit 12 das erste Mal auf der Südtribüne und erhielt 2008 den Literaturförderpreis des Landes NRW. Er hat ein tierisches Problem damit, wenn Leute die sich bietenden Räume nicht erkennen. Sein Moment für die Ewigkeit: neben der BVB-Rettung 2005 ein 1:1-Halbzeitstand mit dem Soester SV gegen Borussias U19 bei einem A-Jugendturnier im Jahre 1999 (Endstand 1:4).     

    

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Evonik Industries, Hauptsponsor von Borussia Dortmund, gehört zu den führenden Spezialchemie-Unternehmen der Welt. Während der BVB mit überraschenden Ideen den Weg zum Tor findet, entwickeln wir innovative Lösungen für unsere Kunden. Und geben dabei Antworten auf die Megatrends Gesundheit, Ernährung, Ressourceneffizienz und Globalisierung. Für Evonik und Borussia Dortmund gilt: Kreativität macht den Unterschied. Die Fähigkeit, im Labor wie auf dem Platz immer wieder neue Verbindungen herzustellen, entscheidet über unseren Erfolg. Daher haben wir die Kolumne „Evonik Wortsport“ ins Leben gerufen – sie verspricht eine Saison lang immer neue, überraschende Kombinationen von Fußball und Literatur.

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