Sepp Blatter war hochzufrieden. Er gab der WM in Brasilien eine 9,25 von 10. Das kann man so stehenlassen. Das Turnier hat – und das hat ihm gut getan – in einem Land stattgefunden, in dem die Menschen den Fußball lieben.

Als der rollende Ball dann seine Faszination entfaltete, haben die Brasilianer sogar ihre Wut und Empörung vergessen. Die Proteste gegen den FIFA-Fußball, den die Brasilianer schon beim CONFED-Cup nicht mehr als ihren Fußball betrachtet hatten, wurden fast gänzlich eingestellt.

Und zweifellos war Brasilien 2014 das spannendste Turnier aller Zeiten. Allein das Achtelfinale war episch. Acht Gruppensieger kamen weiter, sieben von ihnen standen auf der Kippe. Sie brauchten späte Tore, Verlängerungen, Elfmeterschießen und – man denke an den chilenischen Last-Minute-Lattentreffer – eine Menge Glück! Ein historisches und fast groteskes Nobody-Achtelfinale mit Mexiko, Nigeria, Algerien, Chile, den USA, Griechenland und der Schweiz war nicht undenkbar. Fußballfans auf der ganzen Welt waren Zeuge des dreisten Aufstands der zum Teil krassen Außenseiter und des großen Favoriten-Taumelns, das nur mit Ach und Krach zu einem kollektiven Happy End führte.

Womit wir bei der Kehrseite dieser WM wären. Die Schönheit des Spiels blieb in Brasilien fast vollständig auf der Strecke. Große Teamleistungen waren die absolute Ausnahme. Die Übermannschaft der Vorjahre, Spanien, wurde regelrecht geschreddert. Das beste England der Neuzeit (O-Ton Rooney) blamierte sich ebenso wie Italien und Portugal.

Das am Ende 240 Minuten torlose Holland wäre um ein Haar ins Finale gekommen. Das trotz Higuain und Messi ähnlich harmlose Argentinien schaffte ebenfalls in den beiden letzten Spielen jeweils inkl. Verlängerung kein Tor. In Sachen Dominanz, Kombinationsfußball und Einfallsreichtum leisteten viele vermeintliche Top-Teams einen regelrechten Offenbarungseid. Über das Ausscheiden der favorisierten Gastgeber hüllen wir an dieser Stelle das Mäntelchen des peinlich-berührten Schweigens.

Wenn sich die Menschen in Jahren die Frage stellen, was diese WM den Fußball-Ästheten gebracht hat, dann dürften vor allem zwei – aus deutscher Sicht hocherfreuliche – Phänomene genannt werden: Der Titel ging an einen – trotz so mancher brenzliger Situation – hochverdienten Weltmeister. Und dieser neue Weltmeister hat im jetzt schon legendären Halbfinale von Belo Horizonte nicht mehr und nicht weniger abgeliefert als das größte Spiel der Fußballgeschichte.
(Hansi Küpper)

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Die Kolumne spiegelt die Meinung des Autors wider.