Heute vor 40 Jahren stieg Borussia Dortmund nach vier Jahren Zweitklassigkeit wieder in die Bundesliga auf – und gehört ihr seitdem ununterbrochen an. Mit einem 3:2-Sieg über den 1. FC Nürnberg war am Abend des 23. Juni 1976 die Rückkehr perfekt.

Ein Fußballspiel, wenn es nicht in die Verlängerung geht, dauert 90 Minuten. Plus X. Das stimmt – und ist mitunter doch nur Teil der ganzen Wahrheit. Manche Fußballspiele haben eine Vorgeschichte, die untrennbar dazu gehört. Diese Vorgeschichte kann weit zurück reichen und quälend lang sein.

Die Geschichte des 3:2 (1:0) über den 1. FC Nürnberg am 23. Juni 1976 beginnt am 3. Juni 1972. Manche unter den älteren BVB-Fans behaupten heute sogar, sie habe bereits mit dem Europapokal-Triumph über den FC Liverpool am 5. Mai 1966 begonnen. Weil Borussias Klubführung im gleißenden Licht des Erfolges sportlich wie wirtschaftlich Fehler um Fehler zu einer Kette aneinander gereiht habe, die schon drei Jahre später um ein Haar zum Abstieg aus der Fußball-Bundesliga geführt hätte. Seinerzeit hatten die Schwarzgelben am letzten Spieltag durch ein 3:0 über Kickers Offenbach noch ans rettende Ufer hechten können und den 1. FC Nürnberg als Meister der Vorsaison in die Zweitklassigkeit geschickt.

Abstieg im Jahre 1972

Doch aufgeschoben war nicht aufgehoben. Im Frühjahr 1972 erwischte es auch den BVB. Bereits am 32. Spieltag, nach dem 0:2 beim VfB Stuttgart, war der Abstieg besiegelt. Nach 36 Jahren hintereinander, in denen Borussia Dortmund stets in der höchsten Spielklasse vertreten gewesen war, mussten die Westfalen nun also eine Etage hinab steigen. In die Regionalliga – wo die Gegner nicht mehr Bayern München, Borussia Mönchengladbach und FC Schalke 04 heißen sollten, sondern Lüner SV, SVA Gütersloh und Eintracht Gelsenkirchen.

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Vor dem Anpfiff am 23. Juni 1976: Die Kapitäne Helmut Nerlinger (r.) und Dieter Nüssing.

Es war das bittere Ende einer in jeder Hinsicht denkwürdigen Spielzeit. Erster Absteiger war Arminia Bielefeld. Der Deutsche Fußball-Bund hatte den Ostwestfalen als Konsequenz aus dem Bestechungsskandal von 1971 sämtliche Punkte abgezogen. An der Tabellenspitze sicherte sich der FC Bayern seinen (dritten) Meistertitel erst am letzten Spieltag durch ein 5:1 über den direkten Konkurrenten Schalke 04. Dabei stellten Beckenbauer & Co. Rekord um Rekord auf. Ihre 55:13 Punkte, die umgerechnet auf die Drei-Punkte-Regel 79 Zähler bedeuteten, hatten als Bestwert Bestand, bis der BVB 2011/12 81 Punkte sammelte. Die 101 Treffer von damals sind bis heute unübertroffen; ebenso die 40 Tore, mit denen Gerd Müller Torschützenkönig wurde.

Rekorde produzierte auch die Borussia. Allerdings am anderen Ende der Tabelle. Nur sechs Siege und acht Unentschieden bedeuteten bei 20 Niederlagen am Ende 20:48 Punkte. Platz 17. Und was für Niederlagen darunter waren: Daheim in der Roten Erde 0:3 gegen Schalke, 0:4 gegen Stuttgart, 1:5 gegen Bremen. In Gladbach gab es eine 1:7- und in Kaiserslautern eine 0:6-Klatsche. Negativer Höhepunkt allerdings war das Gastspiel bei den Bayern. Am 16. Spieltag kam der BVB im Sportpark Unterhaching mit 1:11 unter die Räder. Die zweithöchste Niederlage der Bundesliga-Geschichte. Kein Wunder also, dass Trainer Horst Witzler zur Winterpause durch Herbert Burdenski ersetzt wurde. Doch auch der konnte das Ruder nicht herumreißen.

Platz vier im ersten Regionalliga-Jahr

Sechs Jahre nach dem europäischen Höhepunkt von Glasgow war Borussia Dortmund – aus dem Europacup-Team war nur noch Dieter Kurrat dabei – am nationalen Tiefpunkt angelangt. Und so schnell ging’s auch nicht wieder bergauf. Das erste Regionalliga-Jahr beendete der BVB als Vierter. Zum letzten Heimspiel gegen Preußen Münster, einem 9:0, kamen gerade noch 1.500 Getreue. Im Jahr darauf waren es 8.900 zahlende Zuschauer im Schnitt. Platz sechs am Ende. Wieder kein Aufstieg.

Der begann erst mit der Saison 1974/75. Der ersten in der neu gegründeten und zweigleisigen 2. Bundesliga. Und der ersten im zur Weltmeisterschaft 1974 neu erbauten Westfalenstadion. Zwar endete auch diese Spielzeit sportlich nur auf Rang sechs, aber der Zuschauerschnitt (25.400) verdreifachte sich. Und die neue Spielstätte entwickelte sich allmählich zur Festung, die Gegnern Furcht einflößte und dem BVB das Kreuz breit machte. In der folgenden Wiederaufstiegssaison blieb Borussia – u.a. mit Horst Bertram, Helmut Nerlinger, Lothar Huber, Miroslav Votava, Hans-Gerd Schildt und Zoltan Varga – bei nur vier Unentschieden und einem Torverhältnis von 64:9 daheim ungeschlagen. Bayer Leverkusen holte sich ein 0:7 ab. Wacker 04 Berlin, die SpVgg. Erkenschwick und der 1. FC Mülheim-Styrum kassierten jeweils eine 0:6-Packung. Insbesondere die Torjäger Hans-Werner Hartl (18 Treffer), Gerd Kasperski (15) und Peter Geyer (13) trafen fast nach Belieben. Am Ende standen 93 Saisontore – plus die vier aus den beiden Entscheidungsspielen.

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Die Mannschaft vor dem Anpfiff.

Und doch lief die Serie, die dem 3:2 gegen den 1. FC Nürnberg als finalem Höhepunkt voran ging, beileibe nicht völlig reibungslos. Trainer Otto Knefler wurde nach dem 2:2 gegen Arminia Bielefeld am 21. Spieltag beurlaubt. Borussia war auf Platz vier abgerutscht. Horst Buhtz übernahm die sportliche Leitung, startete mit einem 2:3 beim VfL Osnabrück denkbar ungünstig, führte die Mannschaft im langen Schlussspurt aber noch auf Rang zwei hinter Zweitliga-Meister und Direktaufsteiger Tennis Borussia Berlin.

Es kam zu den Entscheidungsspielen gegen den Süd-Zweiten aus Nürnberg, trainiert von der Dortmunder Torwart-Legende Hans Tilkowski. Und es kam zur zweiten Trainerentlassung der Saison. Unmittelbar vor dem Saisonhöhepunkt enthob Borussias Klubführung Horst Buhtz seines Amtes. Grund: Der Trainer hatte für die folgende Saison beim Relegationsgegner Nürnberg unterschrieben. Er steckte folglich in einem Gewissenskonflikt, der weder ihm selbst noch dem BVB zuzumuten sei, entschied dessen Präsident Heinz Günther und schloss, obwohl sich die Mannschaft für Buhtz ausgesprochen hatte, „in freundschaftlicher Atmosphäre“ einen Aufhebungsvertrag mit dem Fußballlehrer.

Gute Ausgangsposition nach dem Hinspiel

So saß am 17. Juni beim Hinspiel vor 55.000 Zuschauern im Städtischen Stadion zu Nürnberg Otto Rehhagel auf dem Trainerstuhl. Der damals 37-jährige Essener war in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bei Werder Bremen losgeeist worden und coachte Borussia zu einem 1:0-Erfolg. Obwohl der BVB ein halbes Dutzend klarster Chancen hatte, dauerte es bis zur 85. Minute, ehe Egwin Wolf der wichtige Treffer gelang. Zudem sah Nürnbergs Libero Rudolf Hannakampf nach einem rüden Foul an Hartl die Rote Karte und war damit für das Rückspiel gesperrt.

Eine gute Ausgangsposition also, nicht aber eine Garantie für das entscheidende zweite Duell sechs Tage später im mit 54.000 Zuschauern ausverkauften Westfalenstadion. Das entwickelte sich dann auch zu einem echten Krimi. Wie unbändig der Siegeswille der Westfalen war, zeigt die Energieleistung von Geyer. Der Dortmunder rasselte bereits in der Anfangsphase heftig mit Nürnbergs Manfred Rüsing zusammen, musste außerhalb des Spielfeldes behandelt werden, wankte zurück auf den Rasen, erzielte in der 23. Minute das 1:0, ehe er nach gut einer halben Stunde regelrecht k.o. ging. Als Schiedsrichter Ferdinand Biwersi zur Pause pfiff, war Geyer schon auf dem Weg Richtung Unfallklinik, wo er – wieder bei Besinnung – keinerlei Erinnerung hatte: „Tor – ich weiß von nichts!“ Diagnose: schwere Gehirnerschütterung.

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Der Jubel nach dem Abpfiff: Lothar Huber und Horst Bertram

Die zweite Halbzeit entwickelte sich zu einer regelrechten Aufstiegsschlacht. Miodrag Petrovic glich nach einer Stunde per Freistoß für die Franken aus, und auch auf Hartls 2:1 (74.) hatte der Club eine Antwort – 2:2, Hans Walitza (79.). Das Zittern ging weiter. Erst Hubers Siegtor mit der „linken Klebe“, von deren Existenz er bis dahin selbst nichts gewusst hatte, besiegelte in der 89. Minute den Wiederaufstieg nach vier quälend langen Jahren in der Zweitklassigkeit. Im Westfalenstadion brachen alle Dämme, die Fans stürmten den Rasen, in der Kabine spritzten Sektfontänen.

Borussia war zurück im Oberhaus – und hat es seither nicht wieder verlassen. Rehhagel blieb zwei Spielzeiten – und ging nach dem 0:12 gegen Borussia Mönchengladbach am letzten Spieltag der Saison 1977/78 als Otto „Torhagel“. Der BVB 09 wurde von der Boulevardpresse vorübergehend in „BVB 012“ umbenannt. Aber das ist eine völlig andere Geschichte.
Frank Fligge