Borussia Dortmund meldet zur Saison 2021/22 erstmals eine Frauenfußball-Mannschaft, die in der Kreisliga starten soll. Jetzt nimmt das Projekt Konturen an. Und trotz Corona liegt es im Zeitplan. 

Die wichtigsten personellen Entscheidungen sind gefallen. Das Team hinter dem Team ist fast komplett. Weltmeisterin und Olympiasiegerin Annike Krahn (35) sowie Ex-BVB-Profi Christian Timm (42) stehen in sportlich beratender Funktion zur Seite. Thomas Sulewski (30) wird Trainer der neuen Mannschaft. 

Bälle, Trikots und Umkleidekabinen sind naturgemäß vorhanden beim BVB. Nun muss eine Mannschaft her. „Alle hoffen, dass es nach Ostern – sofern es die Pandemiesituation dann endlich zulässt – mit den Sichtungstrainings losgehen kann“, so Geschäftsführer Carsten Cramer. Ziel ist ein Kader von 20 bis 25 Spielerinnen, teils aus dem eigenen Haus – einige Mitarbeiterinnen wollen sich ihren schwarzgelben Traum erfüllen –, gerne aus der Umgebung, keinesfalls zu viele aus dem gleichen Verein. „Und wir haben auch nicht vor, irgendwelche Bundesliga-Spielerinnen zu holen“, versichert Cramer – umgekehrt liegen heute schon Anfragen von zwei älteren Spielerinnen vor, „die ihre Karrieren gerne in der Kreisliga ausklingen lassen würden“. So oder so: Etwas Geld fließt in die Struktur der Abteilung. „Die Schwerpunkte Ausbildung und Infrastruktur gehen wir absolut professionell an“, unterstreicht Cramer, „die Trainer bekommen jedoch nicht mehr als übliche Aufwandsentschädigungen, die Spielerinnen keinen Euro“. Ganz deutlich fügt er hinzu: „Wir wollen ambitioniert spielen, aber wir wollen eine Kreisliga-Mannschaft zusammenstellen – keine Bundesliga-Mannschaft, die aus der Kreisliga durchmarschiert.“ 

Training am Rabenloh

Die Frauen-Mannschaft teilt sich zunächst mit der BVB Evonik Fußballakademie das alte Profi-Gelände am Rabenloh. „Die Gegebenheiten sind für die ersten Saisons top“, so Abteilungsleiterin Svenja Schlenker, zumal man sich zeitlich nicht ins Gehege kommt. Hier könnten in den ersten (Kreisliga-)Jahren auch Heimspiele ausgetragen werden. Angestrebt ist jedoch, diese weitgehend im Stadion Rote Erde absolvieren zu können.  

Bei einem „Tag der Talente“, einem „Tag des Frauenfußballs“, sollen nach Ostern mögliche Spielerinnen gesichtet werden für einen erweiterten Kader, aus dem sich in Trainingseinheiten und Testspielen die Mannschaft findet, die ab Juli 2021 die Farben Schwarz und Gelb im Frauenfußball repräsentiert – 110 Jahre nach den Männern, die am 15. Januar 1911 mit der Partie gegen den VfB Dortmund ihr erstes Spiel bestritten. 

Das Miteinander mit anderen Klubs von vornherein auf eine freundschaftliche Basis zu stellen, ist eine der weiteren wichtigen Aufgaben von Svenja Schlenker. Da kommt ein Neuer daher, mit riesiger Strahlkraft. Nein! Er möchte, und er wird nicht wie ein Elefant durch den Porzellanladen pflügen! Das Ziel von Borussia Dortmund ist es, „dem Frauenfußball grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit und einen höheren Stellenwert in Deutschland zukommen zu lassen“. Ganz wichtig dafür ist: „Ein gutes Klima in der Nachbarschaft.“  

Der BVB ist noch mindestens ein Jahrzehntlang davon entfernt, den Frauenfußball nachhaltig zu beeinflussen. Aber er ist sich seiner Verantwortung bewusst, dass er schon heute etwas bewegen kann. Vor 20 Jahren gab es lediglich einen namhaften (Herren-)Klub in der Frauen-Bundesliga, den FC Bayern München. Aktuell sind nur noch vier Mannschaften dabei, die nicht auch in der DFL oder 3. Liga mit den männlichen Pendants vertreten sind. „Das kommt fast schon der Quadratur des Kreises gleich“, weiß auch Cramer: „Der Frauenfußball braucht prominente Leuchttürme. Und irgendwann musst du selber die Verantwortung übernehmen. Wenn das hilft, dass mehr Mädchen Fußball spielen und das Thema etablierter ist, scheint es der einzige Weg zu sein.“ 

Diesen will Borussia Dortmund auf authentische Art und Weise gehen, den Frauenfußball organisch von unten nach oben aufbauen, dies allerdings in ambitionierter Art und Weise. In Thomas Sulewski ist ein Trainer gefunden, der perfekt zu dieser Aufgabe passt. Angefangen als C-Jugend-Trainer in Brackel und Hombruch sowie Senioren-Coach bei den Herren in Berghofen wirkte er im Anschluss bis Sommer 2020 über drei Jahre höchst erfolgreich bei den Frauen dieses Klubs. Das Abenteuer 2. Liga konnte er aus beruflichen Gründen nicht mehr begleiten. „Meine Entscheidung, aufzuhören, war unabhängig vom Aufstieg.“ Sein Job in der Logistik von Hecker-Glastechnik lässt eine derart zeitintensive Doppelbelastung nicht zu. 

Der 30-Jährige kennt die Szene („Ich bin in Dortmund aufgewachsen, habe mein Leben lang Fußball gespielt, und als es wegen Verletzungen nicht mehr weiterging, habe ich auf Trainer umgesattelt“) – und er ist detailverliebt. Schon früh betrachtete er Spiele im SIGNAL IDUNA PARK aus zwei Perspektiven: aus der Sicht des Fans („Das erste Mal bin ich mit fünf ins Stadion gegangen“) und aus der Sicht eines Trainers. „Wir haben unsere Dauerkartenplätze auf der Westtribüne, ganz unten, Reihe 3, zur Nordseite. Mit Stift und Zettel habe ich mir Passformen der gegnerischen Mannschaften beim Aufwärmen angeguckt.“ 

Von ganz unten nach ganz oben

Am Reißbrett entwickelt er nun gemeinsam mit Svenja Schlenker, Annike Krahn und Christian Timm eine Mannschaft, die von ganz unten nach ganz oben soll. Rückschläge sind einkalkuliert. „Natürlich werden wir auf dem Weg dahin die eine oder andere Ehrenrunde drehen müssen“, sagt Schlenker. Unklar ist auch noch die Höhe der Startrampe. In dieser Saison gibt es in Dortmund keine Kreisliga B, sondern zwei A-Ligen – was die Strecke etwas kürzer machen würde. 

Sulewski spricht von einer „super Herausforderung“ und betont: „Der Reiz ist enorm, wenn man von null an mitgestalten kann.“ Er hofft, dass die Sichtungstrainings in der ersten April-Hälfte beginnen können, sieht sich aber auch „für alle Eventualitäten vorbereitet“ und verspricht: „Wir würden auch einen Kaltstart hinbekommen.“ Voraussichtlich Ende Juli startet die neue Saison. 

Carsten Cramer ist zufrieden mit dem Zwischenstand. „Wir sind ambitioniert, aber mit den Rahmenbedingungen, die dem tatsächlichen Umfeld gerecht werden“, sagt der BVB-Geschäftsführer und betont die Leitidee: „Dass es einem Dortmunder Mädchen nicht möglich ist, im SIGNAL IDUNA PARK zu spielen, es ihm nicht möglich ist, im Trikot von Borussia Dortmund Deutscher Meister zu werden, ist nicht mehr zeitgemäß.“ 

SIGNAL IDUNA PARK? „Ein Traum wäre es, dort mal mit meiner Mannschaft zu spielen“, sagt Trainer Sulewski: „Doch allein schon der Gedanke, in der Roten Erde, diesem altehrwürdigen Stadion, an der Linie zu stehen, ist Ansporn genug.“ 
Text: Boris Rupert
Fotos: Jens Volke