Giovanni "Gio" Reyna klopft an die Tür zur BVB-Startelf. Mit 17 Jahren. Ausgerechnet in Leverkusen, wo sein Vater zum Bundesliga-Spieler avancierte, könnte er erstmals von Beginn an für Borussia Dortmund spielen.

Wenn die Spieler mit den großen Namen bei Borussia Dortmund nach dem Training in ihre Autos steigen, um nach Hause zu fahren, dann geht Giovanni Reyna zu Fuß. Ein paar Meter nur. Vorbei am Pförtner, der immer so höflich grüßt, quer über den Parkplatz, schon ist er da. Und wenn Marco Reus, Axel Witsel oder Mats Hummels auf der Adi-Preißler-Allee noch mal anhalten, um die Autogrammwünsche der wartenden Fans zu erfüllen, dann ist Reyna meistens schon unerkannt nach Hause ins BVB-Jugendhaus geschlendert.

Reyna hat noch kein großes Auto, er hat auch noch keine eigene Wohnung. Er hat nicht mal ein eigenes Badezimmer. Reyna hat nur ein Zimmer, ein gutes Dutzend Quadratmeter für sich. Gehobener Standard freilich, ein bisschen wie im Hotel mit Bezahlfernsehen und gesundem Essen, aber kein Vergleich zu den Kollegen mit den großen Namen. Bad und Küche teilt sich der erst 17-Jährige mit Immanuel Pherai, Youssoufa Moukoko und Ansgar Knauff aus der Dortmunder U19, den großen Hoffnungen aus der BVB-Nachwuchsabteilung.

Mit 17 Jahren jüngster Torschütze der Pokalgeschichte 

Sie alle wollen nach oben, zu den Profis, zum großen Fußball, auf die große Bühne. Und Reyna ist mit großen Schritten auf dem Weg, seinen Traum zu leben. Seit dem Winter ist der US-Amerikaner fester Bestandteil der ersten Mannschaft. In allen vier Pflichtspielen dieses Jahres kam er als Joker zum Einsatz – und spätestens seit vergangenem Dienstag hat ganz Deutschland eine Vorstellung davon, warum sich jeder bei Borussia Dortmund so sehr gefreut hat, als Reyna sich im vergangenen Jahr trotz vieler namhafter Konkurrenten für den BVB entschied.

Es lief die 78. Spielminute im Bremer Weserstadion. Reyna, der beim Dortmunder Pokal-Aus gegen Werder nach einer guten Stunde eingewechselt worden war, um der BVB-Offensive neuen Schwung zu verleihen, bekam den Ball von Julian Brandt zugespielt. Reyna dribbelte los, vorbei an Leonardo Bittencourt, vorbei an Yuya Osako, vorbei an Davy Klaassen, die sich in diesem Moment wie Slalomstangen gefühlt haben müssen, dann folgte der unhaltbare Kunstschuss oben rechts in den Winkel – ein Tor wie ein Gemälde aus vielen feinen Pinselstrichen (zu den TV-Highlights).

„Enttäuscht über das Ergebnis, aber glücklich über mein erstes Tor im Profifußball“, schrieb Reyna, fortan mit 17 Jahren und 82 Tagen jüngster Torschütze der DFB-Pokal-Historie, am Tag danach bei Instagram. Dann kam die Kampfansage: "Wir machen weiter."

Favre: "Ich sehe jeden Tag, was Gio kann und was er macht." 

Weitermachen. Die nächsten Schritte gehen. Für Reyna könnte das nach seinem ersten Tor die erste Nominierung für die Startelf sein. Trainer Lucien Favre dämpft Reynas Hoffnungen nicht unbedingt, wenn er sagt: "Warum nicht, es ist möglich." Er sehe jeden Tag im Training, sagt Favre, "was Gio kann und was er macht". Er sei "sehr, sehr clever und er kann fast jede Position in jedem System spielen." Auch BVB-Sportdirektor Michael Zorc spart nicht mit Lob: "Erling Haaland und Gio Reyna bringen frischen Wind rein. Das merkt man jeden Tag – und das tut uns gut."

Ausgerechnet in Leverkusen könnte nach Marco Reus’ Verletzung Reynas Startelf-Debüt für Borussia Dortmund anstehen. Es ist der Ort, an dem sein Vater Claudio vor fast 25 Jahren seine ersten Erfahrungen in der Bundesliga sammelte. Von 1994 bis 1997 spielte Reyna Senior für die Werkself, seine ersten Heimspiel-Minuten für Bayer in der Bundesliga sammelte er gegen Borussia Dortmund. Am 19. August 1995 war das, das Spiel endete 1:1.

Am Samstagabend nun läuft Reyna Junior erstmals in die BayArena ein, die früher noch Ulrich-Haberland-Stadion hieß. Nicht nur der Name hat sich verändert, 2009 wurde aufwendig umgebaut und renoviert. Auch der Leverkusener Nachwuchs hat einen eigenen Bereich im Innern des Stadions bekommen – und falls Reyna seinen Blick nach links wandern lässt, sobald er die Katakomben der BayArena betritt, wird er die Treppe sehen, die dorthin führt. "Be so good, they can‘t ignore you", steht dort groß geschrieben. Sei so gut, dass sie dich nicht ignorieren können. Reyna ist auf dem besten Weg, genau das zu beherzigen. Und vielleicht muss er auf seinem kurzen Heimweg bald auch Autogramme schreiben. Wie die ganz Großen. Lange unerkannt bleiben wird er in Dortmund jedenfalls nicht mehr.

Tobias Jöhren / RuhrNachrichten

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