Beim Champions-League-Sieg 1997 hat Lars Ricken den Treffer zum 3:1-Endstand erzielt. Über den Triumph vor 25 Jahren spricht er im Interview.

Welches Geheimnis über den größten Erfolg der Vereinsgeschichte und den Weg dorthin muss noch gelüftet werden?

Darüber ist eigentlich alles erzählt oder geschrieben worden. An meinem Beispiel zeigt sich, dass man für so einen Erfolg beharrlich sein – und Widerstände überbrücken muss. 1996 hatte ich massive Rückenprobleme und habe die Europameisterschaft verpasst. Das war eine frustrierende Verletzung, es hat lange gedauert, bis ich mich wieder an die Mannschaft herantasten konnte. Ich bin deshalb mit großer Unsicherheit in die Saison 96/97 gegangen. Und am Ende stand dann der Champions-League-Titel. Darum geht es im Fußball, darum geht es im Leben: solche schwierigen Situationen zu meistern.

Auf dem Weg nach München schaltete die Borussia im Frühjahr 1997 erst AJ Auxerre (3:1/1:0) und danach Manchester United (1:0/1:0) aus – jeweils nach entscheidenden Toren von Dir. Dein Markenzeichen, mit dem später auch Juventus Turin Bekanntschaft schloss: War das jugendliche Unbekümmertheit, oder hattest Du Nerven wie Drahtseile?

Sowohl als auch. Ich war nie nervös. Als ich zum ersten Mal eingewechselt wurde oder als ich zum ersten Mal von Anfang spielen durfte, beides im eigenen Stadion, hatte ich null Nervosität. Im Gegenteil, ich dachte: Endlich werde ich losgelassen, endlich kann ich zeigen, wofür ich all die Jahre in der Jugend gearbeitet habe. Dieses Gefühl, diese Einstellung hat sich nie geändert. So wurde ich in jungen Jahren schon der Mann, von dem es hieß: Der schießt die entscheidenden Tore. Eine gewisse Unbekümmertheit hat mir dabei schon geholfen. In der Mannschaftshierarchie war ich nicht besonders weit oben. Für die wichtigen Themen waren dann Matthias Sammer, Michael Zorc, Stefan Reuter oder Jürgen Kohler, wie sie alle heißen, zuständig. Ich konnte mich auf meine Stärken besinnen und eine Portion Frechheit entwickeln. Das ging dann so weit, dass ich unsere Funktionäre vor dem Rückspiel in Manchester beruhigte: Macht Euch mal keine Gedanken, ich schieße schon ein Tor. Gut, dass es dann so kam.

Eigentliches Ziel in der Saison 96/97 war der Meisterschafts-Hattrick. Davon musstet Ihr Euch nach sechs Rückrunden-Niederlagen früh verabschieden. Nach dem 0:2 in Bielefeld sprach Andreas Möller sogar von einer „kaputten, ja toten Mannschaft“. Wie riskant war es, alles auf die Champions-League-Karte zu setzen?

Schwer zu sagen, aber es war schon eine komplizierte Saison. Wir hätten uns über die Meisterschaft nicht für die nächste Champions-League-Saison qualifiziert; teilnehmen konnten wir ja nur als Titelverteidiger. Die Rückrunde war die schlechteste, die wir unter Ottmar Hitzfeld je hatten. Am Ende war der Erfolg dem Ehrgeiz und der Erfolgsorientiertheit der Spieler und ihrer totalen Titel-Fokussierung geschuldet. Da ist niemand mit Selbstzweifeln ins Endspiel gegen Juventus gegangen.

Zwischen Präsident Dr. Gerd Niebaum und Ottmar Hitzfeld knirschte es spürbar, zwischen dem Trainer und Teilen der Mannschaft stimmte die Chemie auch nicht mehr. Vor dem Hintergrund dieses schwierigen Binnenklimas klingt es fast unglaublich, dass Ihr im Frühjahr vor 25 Jahren alle Hindernisse beiseiteschieben konntet.

Ich war damals 20 – und bei diesen Themen raus. Ich pendelte zwischen Bundeswehr und Training bzw. Spiel. Viel Freizeit, um sich Gedanken über andere Dinge zu machen, war da nicht. Das war auch nicht meine Aufgabe. Ich lag zwar mit Matthias Sammer auf dem Zimmer und habe natürlich das eine oder andere mitbekommen, aber ich habe mich damit nicht wirklich auseinandergesetzt. Darüber hinaus: Vor wem sollten wir Angst haben? Wir waren eine qualitativ sehr gute Mannschaft, fast alle waren Nationalspieler.

Legendär geriet das Halbfinale in Manchester mit Jürgen Kohlers Rettungsaktionen auf der Linie. Entstand im Old Trafford der Geist, der den BVB dann fünf Wochen später durchs Finale trug?

Ja, das kann schon sein. Wenn in dieser Saison vielleicht noch eine Mannschaft über Juve stand, dann war das Manchester mit Schmeichel, Beckham, Cole, Giggs, Solskjaer und Cantona als lebende Legende. Vielleicht waren die sogar noch höher einzuschätzen als Juventus Turin, das im Jahr zuvor immerhin die Champions-League gegen Ajax Amsterdam gewonnen hatte. Gegen Manchester zweimal die Oberhand zu behalten, war schon eine Ansage. Und das, ohne dass die üblichen Verdächtigen die Geschichten des Spiels schrieben. Im Hinspiel machte René Tretschok das Tor, im Rückspiel erwies sich Libero Wolfgang Feiersinger als Turm in der Schlacht. So entstand das Bewusstsein: Ja, Juve ist stark. Aber es ist nur ein Spiel, und da haben wir definitiv eine Chance, wenn wir unsere Qualitäten auf den Platz bringen. Mehr noch: Dann gewinnen wir das Spiel.

Autor: Thomas Hennecke