Den Geruch nach frisch gemähtem Rasen habe er vermisst, bekannte Thomas Tuchel vor dem Anpfiff seines ersten Bundesligaheimspiels mit dem BVB. Die Partie gegen Wolfsberg zehn Tage zuvor habe einen Vorgeschmack darauf geliefert, wie es sich anfühle, die Gelbe Wand hinter sich zu spüren.

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Thomas Tuchel

Um 18.31 Uhr, keine 60 Sekunden nach Anpfiff der Auftaktpartie gegen Mönchengladbach, standen sie nicht nur auf der Süd und im neuen Stehplatzblock im Norden. Das ganze Stadion stand auf und sorgte für Gänsehautatmosphäre. „Es war eine herausragende Stimmung, eine unfassbare Stimmung“, bekannte der neue Chefcoach nach dem Spiel, das zu einer Gala geriet, mindestens 60 Minuten lang, ehe seine Mannschaft vor zwei anstehenden „englischen Wochen“ den Fuß etwas vom Gas nahm, ohne aber auch nur einen Hauch von Spielkontrolle zu verlieren. Erst zum dritten Mal in seiner Bundesliga-Historie gewann der BVB ein Auftaktspiel mit 4:0.

„Ein großartiges Spiel, ein toller Auftakt“, begeisterte sich Pierre-Emerick Aubameyang, der in jedem der letzten drei Pflichtspiele getroffen hat: „Letztes Jahr lagen wir nach neun Sekunden mit 0:1 zurück, nun führen wir nach einer halben Stunde mit 3:0. Ich bin glücklich. Es hat unglaublich viel Spaß gemacht bei dieser phantastischen Atmosphäre. Davon träumt man schon als Kind. Ich habe ein Tor erzielt und eine Vorlage gegeben; ich hatte Gänsehaut. Ich hoffe, dass ich diese Emotionen in dieser Saison öfter erleben darf.“

„Hoffe, diese Emotionen öfter erleben zu dürfen“

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Begeisterung auf dem Rasen und auf den Rängen

Der Schlüssel zu einem wahren Offensivfeuerwerk, das Gladbach-Trainer Lucien Favre zu der Erkenntnis brachte, „Dortmund war zu schnell für uns heute“, lag in der Defensive, genauer in Spielminute 09. Kurz zuvor war ein eigentlich regelkonformer Treffer von Henrikh Mkhitaryan abgepfiffen worden, als Gladbach zum ersten und einzigen Mal in diesem Spiel gefährlich nach vorn kam, Traoré den Ball in den Lauf von Drmic spielte, der nur noch Bürki vor sich hatte.

Doch von hinten kam Marcel Schmelzer.

Im Fernsehbild schön zu erkennen sind die aufgepusteten Backen des Linksverteidigers, ehe er zum Spurt ansetzt und dann dem Gladbacher mit dem langen Bein den Ball stibitzt, bevor dieser zum Schuss kommt. Eine Wahnsinnsszene!

Und möglicherweise die Schlüsselszene, die ein wenig unterging in der Nachbetrachtung, weil der Sieg am Ende so deutlich und die Torchancen so zahlreich gewesen waren. Doch wenn eine Kontermannschaft wie Gladbach erst einmal mit 1:0 führt, läuft ein Spiel möglicherweise ganz anders. „Wir haben sehr diszipliniert gespielt und gleichzeitig sehr kreativ. Wir haben hoch im Feld gestanden und konnten nach unseren Ballverlusten die Konterchancen der Gladbacher sehr früh verhindern. Wir haben sehr, sehr fleißig und giftig verteidigt“, lobte Tuchel.

„Wir haben einen hohen Maßstab gesetzt“

„75 Minuten lang haben wir ein richtig geiles Spiel gemacht. In der ersten Halbzeit haben wir einen hohen Maßstab gesetzt. Jeder hat sich auf seine Aufgabe konzentriert. Darauf haben wir großen Wert gelegt, damit es das gesamte Team leichter hat“, bemerkte Marcel Schmelzer, der nicht nur in jener Szene gegen Drmic hinten zur Stelle war, sondern vorne die Flanke schlug, die Aubameyang mit dem Kopf verwertete.

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Thomas Tuchel wirft Marcel Schmelzer den Ball zu.

Da stand es schon 2:0 nach 20 Minuten. Zuvor hatte Gündogan das Spiel verlagert, Hummels scharf und präzise auf Kagawa gepasst, als sich eine Lücke im sich verschiebenden Abwehrverbund der Gladbacher ergeben hatte. Kagawa ließ prallen, Reus nahm auf und drosch die Kugel mit Brachialgewalt ins Netz. „Hawk Eye“ wurde beim ersten Heimtreffer der Saison wahrlich nicht benötigt.

Tuchel empfand „große Freude, meine Mannschaft mit so viel Lust und so viel Mut auf dem Platz zu sehen. Das 1:0 hat das letzte Quäntchen Selbstvertrauen und Überzeugung gegeben.“ Seine Elf war nicht mehr zu stoppen. Reus verpasste knapp das 3:0 (27.), doch dann ging die Post ab: Weigl eroberte tief in der eigenen Hälfte einen Ball, Gündogan leitete weiter auf Aubameyang, der unwiderstehlich auf und davon zog, im Strafraum den Blick hatte für den mitgelaufenen Mkhitaryan, der zum dritten Treffer einschob (33.). Raffael kratzte Hummels’ Kopfball von der Linie, Mkhitaryan schoss knapp vorbei, Aubameyangs Seitfallzieher wurde zur Ecke abgewehrt. 8:1 lautete das Chancenverhältnis zur Pause.

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„Ich freue mich, dass ich Miki überzeugen konnte“

Fünf Minuten nach Wiederbeginn spurtete Reus über die rechte Bahn, legte zurück Richtung Elfmeterpunkt. Mkhitaryan kam von hinten – 4:0. Dass Reus bei Kagawas Pass leicht im Abseits stand, der Treffer aber dennoch zählte, gleicht die Fehlentscheidung bei Mkhitaryans nicht gegebenen Tor in der achten Minute aus. Zwei Tore also durch den Armenier gegen Gladbach, drei gegen Wolfsberg, eines in Chemnitz. „Ich freue mich dass ich ihn überzeugen konnte, sich darauf noch einmal darauf einzulassen, und dass er sich dafür belohnt“, sagte Tuchel über Mkhitaryan

„Wir haben das Spiel dominiert und eiskalt die Torchancen genutzt. Das ist der Lohn für die harte Zeit in der Vorbereitung. Dennoch ist es nicht mehr als das erste Spiel. Jetzt geht es darum, weiter zu arbeiten und Details zu verfeinern“, sagte Roman Bürki, der das Angriffsspektakel von hinten verfolgte und kaum ernsthaft geprüft wurde

Die erste, fraglos hohe Hürde, hat Borussia Dortmund zum Auftakt der Saison 2015/16 genommen. Nun gilt es, die Leistung zu bestätigen. „In der vergangenen Saison hatten wir nach drei Spieltagen sechs Punkte, ehe das alles anfing“, bemerkte Mats Hummels. Thomas Tuchel: „Ich weiß nicht, wo unser Limit ist. Gegen Gladbach wurden wir auf hohem Limit abgeprüft. Darin steckt die Basis, die Jürgen Klopp gelegt hat.“
Boris Rupert

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