Es war eine irre Schlussphase in Wolfsburg. Erst der Elfmeterpfiff in der 90. Minute für die Wölfe und der anschließende Ausgleich durch Ricardo Rodriguez. Dann der letzte, alles entscheidende Angriff des BVB, den Shinji Kagawa doch noch zum 2:1-Sieg vollendete. „Ein dreckiger Sieg“, bilanzierte Sven Bender nach der Partie. Damit hatte er nicht Unrecht, aber es war auch ein Sieg der Moral.

„Wir haben am Ende eine ganz besondere Mentalität an den Tag gelegt“, lobte Thomas Tuchel seine Mannschaft, die diese Moral, diesen unbedingten Siegeswillen, schon die ganze Saison über zeigt. Elfmal geriet Borussia Dortmund in bislang 26 Pflichtspielen 2015/16 in Rückstand, achtmal kam man danach noch zurück, fünfmal konnte man am Ende sogar noch gewinnen. Nur gegen München, Hamburg und Krasnodar gingen die Spiele am Ende verloren.

Borussias Comeback-Chronologie:

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    In Norwegen dreht der BVB diese Saison erstmals ein Spiel.
    20. August, Skien: Im Hinspiel der Play-offs zur UEFA Europa League liegt das Team von Thomas Tuchel in Norwegen bei Odds BK nach 22 Minuten mit 0:3 hinten. Am Ende drehen Aubameyang, Kagawa und Mkhitaryan das Spiel mit ihren Treffern noch in einen 4:3-Sieg.
  • 27. August, Dortmund: Auch im Rückspiel gegen Odds BK gerät der BVB bereits nach 19 Minuten in Rückstand. Danach dreht man auf, gewinnt am Ende haushoch mit 7:2.
  • 12. September, Hannover: Gegen 96 liegen die Schwarzgelben erst mit 0:1 hinten, drehen das Spiel aber noch vor der Pause in ein 2:1. Der erneute Nackenschlag folgt durch Pribs Ausgleich kurz nach der Pause. Borussia lässt sich nicht unterkriegen, gewinnt am Ende mit 4:2.
  • 17. September, Dortmund: Wieder ein frühes Gegentor. Bereits nach zwölf Minuten liegt der BVB in der Europa League gegen Krasnodar hinten. Ginter gleicht mit dem Halbzeitpfiff aus. Am Ende sorgt Park mit seinem Tor in der dritten Minute der Nachspielzeit für den Sieg und ein irres Finish.
  • 23. September, Sinsheim: Auch gegen die TSG Hoffenheim steht es zur Halbzeit 0:1. Aubameyang sichert der Borussia immerhin ein 1:1-Unentschieden.
  • 27. September, Dortmund: Heller bringt den SV Darmstadt früh in Führung, Aubameyang dreht das Spiel mit seinem Doppelpack. In der Schlussminute muss der BVB diesmal zwar den Ausgleich hinnehmen, dennoch geht diese Partie nicht verloren.
  • 1. Oktober, Saloniki: Mak erzielt nach 34 Minuten das 1:0 für PAOK, doch der BVB steckt nicht auf, kommt durch Castro (72.) zum verdienten Ausgleich.
  • 28. Oktober, Dortmund: Im DFB-Pokal bringt Lakic den Außenseiter SC Paderborn überraschend mit 1:0 in Front. Die Westfalen reagieren wütend, fertigen das Team von Stefan Effenberg am Ende mit 7:1 ab.
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Gegen Paderborn drehen die Schwarzgelben ein 0:1 in ein 7:1.

Das sind die Partien, in denen die Borussen in Rückstand gerieten. Hinzu kommen Spiele wie das in Bremen, das Derby gegen Schalke oder eben jene Partie gegen Wolfsburg am Samstag, wo man nach Führung den zwischenzeitlichen Ausgleich kassierte, den Platz am Ende aber trotzdem als Sieger verließ. Selbst in vermeintlichen Schwächephasen, wie in den eineinhalb Wochen zwischen dem 23. September und 4. Oktober, als man vier Spiele hintereinander nicht gewinnen konnte, kamen die Schwarzgelben nach Rückständen zurück – und verloren drei dieser vier Spiele eben nicht.

BVB holt die Big Points

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Grenzenloser Jubel: Borussia nach dem Comeback in Wolfsburg.

„So ein Tor in Wolfsburg zu schießen, halte ich für außergewöhnlich, nachdem du gerade einen Elfmeter gegen dich bekommen hast“, sagte Thomas Tuchel nach dem Spiel. Das Außergewöhnliche ist die Moral seiner Mannschaft, die – wie es scheint – kaum zu brechen ist. Auch bei den Niederlagen in Hamburg und Krasnodar zuletzt gab sich das Team nie auf, war zum Teil hochüberlegen, scheiterte am Ende an herausragend parierenden Keepern oder dem fehlenden Glück im Abschluss.

„Wir haben endlich mal die Big Points geholt“, freute sich Marco Reus nach dem Spiel in Wolfsburg. Das Wort „endlich“ hätte es dabei gar nicht gebraucht, denn die Mannschaft gewinnt in dieser Saison in schöner Regelmäßigkeit gegen die direkte Konkurrenz. In den Duellen mit den ersten acht Teams der Tabelle verlor man lediglich gegen den FC Bayern. Alle anderen Spiele konnten gewonnen werden (4:0 gegen Gladbach; 3:0 gegen Leverkusen; 3:1 gegen Hertha; 2:0 gegen Mainz; 3:2 gegen Schalke; 2:1 gegen Wolfsburg). Auch das ist Ausdruck der außergewöhnlichen Qualität, aber auch der außergewöhnlichen Mentalität von Borussia Dortmund in dieser Saison.
Dennis-Julian Gottschlich