Das 8:4 des BVB gegen Legia Warschau war zweifelsfrei historisch. Allein aufgrund der zwölf Tore – neuer Champions-League-Rekord. Die Partie war jedoch auch ein bisschen surreal, wirkte wie eine große Spaßveranstaltung, die eine ganze Reihe von Geschichten zu erzählen hatte.

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Natürlich die von Marco Reus. Dem 27-Jährigen, der nach 185-tägiger Verletzungspause, die Borussia als Kapitän aufs Feld geführt hatte und dreifach traf (32., 52., 90.+3), zudem die Tore zum 3:1 (20.) und 4:2 (29.) vorbereitete. „So stellt man sich seinen Einstand nach so langer Zeit vor“, sagte Reus. Pierre-Emerick Aubameyang, der erst in der 70. Minute eingewechselt worden, danach am Pfosten scheiterte (79.), und für Reus‘ dritten Treffer auflegte, twitterte nach der Partie: „The man marcinho11 what a Comeback #MRXI respect Captain“. BVB-Coach Thomas Tuchel sprach von einem „überragenden Comeback“.

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Es war 0.45 Uhr, als sich Marco Reus nach endlich absolvierter Dopingprobe den Fragen der Journalisten stellen konnte.

Eine weitere Geschichte ist die von Nuri Sahin, der erst zum zweiten Mal in dieser Saison eingesetzt wurde und der beim 3:1 (20.) sein allererstes Tor in der UEFA Champions League erzielte. Im Europapokal hatte der Türkei zuletzt vor mehr als sechs Jahren getroffen. „Es ist eine schwere Phase für mich. Das Tor tat gut. Es war ein schönes Gefühl, wieder dabei zu sein.“

Auch Shinji Kagawa, erst zum sechs Mal in dieser Saison in einem Pflichtspiel in der ersten Elf, bot eine Steilvorlage für Journalisten: Dortmunds Nummer 23 ist der erste Japaner, der einen Doppelpack in der „Königsklasse“ erzielen konnte, für Shinji selbst waren es die CL-Tore Nummer zwei und drei. Seine beiden Treffer zum 1:1 (17.) und 2:1 (18.) erzielte er innerhalb von 78 Sekunden – auch dies ist ein Rekord.

Passlack ist jüngster deutscher Torschütze

Felix Passlack wird den spektakulären Abend gegen Legia Warschau ebenfalls nie vergessen. Im Alter von 18 Jahren in der UEFA Champions League ein Tor zu erzielen, hat vor ihm noch kein deutscher Fußballer geschafft. „Dass ich gleich in meinem zweiten Spiel erfolgreich war, freut mich sehr“, so Passlack.

Ousmane Dembelé gehörte beim 8:4-Schützenfest auch zu den auffälligsten Akteuren. Im Hinspiel beim 6:0 gegen Warschau hatte der Franzose zwei Tore vorbereitet, diesmal waren es vier – und den Treffer zum 4:2 (29.) hatte der 19-Jährige selbst erzielt.

Und da ist natürlich die Geschichte von Roman Weidenfeller. Das BVB-Urgestein, der wahrscheinlich beste Ersatzkeeper im Wettbewerb. Der 36-Jährige musste in seinem 38.-CL-Spiel gleich vier Mal hinter sich greifen, musste sich angesichts der Abwehrleistung seiner Vorderleute oftmals alleingelassen fühlen. „Vier Tore hätten wir nicht fangen dürfen. Ich kam mir etwas fehl am Platze vor und hatte mir den Abend anders vorgestellt.“ Vier Gegentore in der „Königsklasse“ waren für den BVB ein Negativrekord.

BVB reist als Tabellenführer nach Madrid

Thomas Tuchel, dem eine sachliche Analyse des 8:4-Erfolges schwer fiel, hatte großes Verständnis für seinen Schlussmann: „Mir tat Roman Weidenfeller heute Abend leid.“ Und: „Ich glaube schon, dass wir im individuellen defensiven Zweikampfverhalten und der Absicherung von Kontern Luft nach oben haben.“

Diese Meinung hatte der BVB-Coach keinesfalls exklusiv. Wahrscheinlich sogar hatten alle 55.094 Zuschauer im Stadion dieselben Gedanken. Aber sie rückten in den Hintergrund, es gab schließlich schönere Geschichten.

PS: Der BVB wird am 7. Dezember 2016 als Tabellenführer der Gruppe F bei Real Madrid antreten. Bislang holte die Borussia zwei Zähler mehr als die „Königlichen“. Ein Unentschieden reicht zum Gruppensieg. Vor Beginn der Gruppenphase konnte damit niemand rechnen – und auch das ist eigentlich eine Geschichte wert...
Felix Ulrich