Was passiert, wenn der Schuh am Nagel hängt? Mit Jörg Heinrich, Martin Kree, Florian Kringe und Wolfgang  Paul erzählten am 15. Mai im Rahmen der Fantage vier BVB-Legenden von ihrem eigenen Weg nach der Profi-Karriere – mitsamt aller Vorzüge und hohen Hürden.

Man kennt es am Ende der Schulzeit oder unmittelbar nach dem Studium: Die letzten Klausuren sind geschrieben, die letzten Prüfungen bestanden. Mit dem Abschluss in der Tasche beginnt ein neuer Lebensabschnitt – mit gänzlich neuen Chancen und Perspektiven. Während der eine schneller sesshaft wird und genau weiß, wohin ihn der Weg führen soll, ist sein Pendant etwas zögerlicher und unsicherer. All die neuen Eindrücke: Sie wirken im ersten Moment womöglich überfordernd.

Auch Fußballer stehen irgendwann vor diesem – zugegebenermaßen luxuriösen – Dilemma. Manche zieht es nach dem Ende ihrer aktiven Laufbahn auf die Trainerbank, andere ins Management. Ein Großteil allerdings wendet sich vom Tagesgeschäft ab. Ein für alle Mal soll Schluss sein mit dem Profifußball.

Über dieses spannende Thema diskutierten im Rahmen der Fantage unter dem Motto „Wenn der Schuh am Nagel hängt – Karrieren nach der Karriere“ die ehemaligen BVB-Spieler Jörg Heinrich, Martin Kree, Florian Kringe und Wolfgang Paul vor zahlreich erschienenen und interessierten Fans unter der Nordtribüne des Dortmunder Stadions. Auf dem Podium saßen allesamt gestandene und hoch geschätzte Persönlichkeiten, die sich mit großen Leistungen und Taten, sportlich wie zwischenmenschlich, in das Gedächtnis der BVB-Anhängerschaft eingebrannt haben. Moderiert wurde die Diskussion vom Dortmunder Journalisten Gregor Schnittker.

Sie alle haben nach dem Ende ihrer Laufbahn einen anderen Weg eingeschlagen – unter verschiedenen Voraussetzungen. Florian Kringe etwa beendete nach zahlreichen Verletzungen seine Karriere vergleichsweise früh mit 32 Jahren. Er gewann etwas Abstand zum Fußball – und kehrte dann zurück. Mittlerweile arbeitet Florian Kringe bei der renommierten Spielerberateragentur Pro Profil, von der er selbst jahrelang betreut worden war. „Fußball ist mein Leben. Ich habe in dieser Hinsicht eine neue Herausforderung gesucht“, sagt Kringe. Es sei ein ganz anderer Kosmos, eine ganz andere Welt. „Aber ich fühle mich wohl. Das ist wichtig.“

Im Laufe des Abends wird deutlich, dass die Zufriedenheit mit der neuen Aufgabe tatsächlich essentiell ist, um auch im Leben nach der Profikarriere durchstarten zu können. Der gebürtige Rathenower Jörg Heinrich, zweimaliger Deutscher Meister mit dem BVB sowie Champions-League-Sieger 1997, blieb dem Fußball ebenfalls treu – auf eine andere Art und Weise. Zunächst wirkte er nach dem Karriereende als Sportdirektor bei Union Berlin, später ließ er sich zum Fußballlehrer ausbilden. „Ich habe in dieser Zeit viel über mich selbst gelernt. Vor allem musste ich ehrlich zu mir selbst sein“, sagt er mit ruhiger Stimme. Erfolgreich ist Heinrich heute auf unternehmerischer Ebene: Seit acht Jahren betreibt er zwei Sportgeschäfte im Großraum Berlin.

Die nötige Selbstreflektion, die Heinrich an diesem Abend mehrmals anspricht, scheint den Gästen auf dem Podium nach dem Karriereende geglückt zu sein. Schließlich mussten auch sie sich eingestehen, dass sie für bestimmte Jobs nicht geschaffen sind. Jörg Heinrich etwa fühlte sich unwohl in der Management-Ebene, Florian Kringe begann während seiner letzten Station als Spieler beim FC St. Pauli ein BWL-Studium, das er früh niederlegte. Ein weiteres Beispiel: BVB-Legende Knut Reinhardt erzählte zuletzt in einer TV-Diskussion, dass er nach dem Karriereende völlig unentschlossen war. Heute arbeitet er als Grundschullehrer in Dortmund – und ist nach eigener Aussage überglücklich.

Auch Martin Kree, ebenfalls Champions-League-Sieger 1997, war zunächst unsicher, in welche Richtung es gehen sollte. Nachdem der Abpfiff für seine Laufbahn ertönt war, arbeitete er zunächst in einer Sportrechteagentur, ehe er eine Computerschulungsfirma gründete, die bis heute erfolgreich besteht. „So wie mir ging und geht es vielen Spielern. Letztlich rutscht man irgendwo rein“, so Kree. Der heute 52-Jährige konnte sich für Technik bereits während seiner aktiven Zeit begeistern – und hat sein Glück letztlich auch in dieser Branche gefunden.

Mehrfach an diesem Abend huscht ein Lächeln über das Gesicht von Wolfgang Paul, wenn einer der Pendants auf dem Podium spricht. Die ewige Legende, Kapitän der Mannschaft, die 1966 den Europapokal der Pokalsieger gewann, ist noch ganz andere Zeiten gewöhnt. Mit seiner unnachahmlich ehrlichen Art sammelt Paul an diesem Abend noch mehr Sympathiepunkte, soweit das überhaupt möglich ist.

Wolfgang Paul spielte Fußball zu einer Zeit, in der noch vom Profifußball geträumt wurde. Astronomische Gehälter, horrende Ablösesummen: Zahlen dieser Art gab es in der sportlichen Laufbahn von Wolfgang Paul gewiss nicht. Die Probleme von heute allerdings schon. „Viele dachten, das Fußballerleben geht so weiter“, erinnert sich Paul. „Aber so ist es nicht. Wenn man nicht selbst vorsorgt, hat man schon verloren. Man scheitert.“ Der inzwischen 77-Jährige absolvierte zu seiner aktiven Zeit eine Lehre als Uhrmacher und Goldschmied. Mit der gleichen Leidenschaft wie auf dem Platz ging er während und vor allem nach der Karriere auch seinem Beruf nach. Der große Unterschied bei Wolfgang Paul: Sein Weg nach dem Fußball war bereits im Vorfeld geebnet.

Vorsorge und Weiterbildung – weitere Stichwörter an diesem Abend. Klar ist: Das Gesamtgehalt eines gestandenen Bundesliga-Profis ist hoch genug, um auch in der Zeit nach dem Fußball mit etwas Fleiß und Ehrgeiz noch gut leben zu können. Doch nicht wenige sind daran gescheitert. Die Liste der Beispiele ist lang. Persönliche Weiterbildung, betont Florian Kringe, sei im eng getakteten Terminkalender gar nicht so einfach. „Zeit ist genug, aber es fällt nach dem Training nicht so leicht, noch etwas für den Kopf zu tun.“ Und doch, so Kringe weiter, würde es genug Spieler geben, die dies meistern würden.

Der Gedanke an die Zeit nach dem Fußball mag ein unbequemer sein. Doch er zählt genauso zum Fußball-ABC wie viele andere Dinge auch. Wann er erstmals über die Zeit nach dem Karriereende nachgedacht habe? „Mit 30 Jahren ungefähr. Irgendwann ist es halt so weit“, sagt Martin Kree. Er habe, so Jörg Heinrich, lange Zeit nicht darüber nachdenken wollen, offenbart Jörg Heinrich. Als der Zeitpunkt immer näher rückte, habe er sich dann einen Ruck gegeben – mit Erfolg.

Neben neuen Freiheiten warten nach dem Karriereende auch zahlreiche neue Pflichten, mit denen man als Profi womöglich nicht regelmäßig konfrontiert wurde. Je exzentrischer der Lebensstil während der Laufbahn, desto schwieriger die erste Zeit danach. Es sei einfach, so Kringe, den Lebensstandard als Profi zu erhöhen. Ihn nach der Karriere wieder anzupassen würde vielen Fußballern schwerfallen. Auch hier gibt leider genügend Beispiele. Bodenständigkeit, eine der (Dortmunder) Grundtugenden, zahlt sich nach der Karriere doppelt zurück.

Jörg Heinrich, Martin Kree, Florian Kringe und Wolfgang Paul sind nach dem Ende ihrer aktiven Laufbahn auf verschiedensten Wegen zu ihrem Glück gekommen. Doch eines wird an diesem Abend auch deutlich: Sie verkörpern auch menschlich noch immer das, was man von ihnen kennt.