„Ich hatte Angst um meinen Verein. Zu dem damaligen Zeitpunkt war ich Fan von Borussia Dortmund und ich hatte Informationen aus dem engsten Kreis des Vereins, dass etwas schiefgehen könnte. Ein großer Teil meiner Lebensqualität drohte wegzubrechen!“, erzählt BVB-Schatzmeister Dr. Reinhold Lunow. Nein, es war wirklich keine schöne Zeit.

Borussia Dortmund drohte der finanzielle Kollaps und somit keine Spielberechtigung von der DFL zu bekommen. Viele Borussen befürchteten den Abstieg oder gar die Auflösung des Vereines. Die Liebe zum BVB wurde Anfang 2005 auf eine harte Probe gestellt.

Mit diesem dunklen Kapitel der Vereinsgeschichte begann am Mittwoch, den 5. Oktober, die erste Veranstaltung der Fantage der laufenden Saison im BORUSSEUM. Die Anspannung war den Eingeladenen sichtlich anzumerken obwohl das Ereignis schon über elf Jahre zurückliegt. Eindrucksvoll schilderten sie den anwesenden Gästen ihre Gefühlswelt, in der sie sich damals befanden. Der Journalist Thomas Hennecke, der genauso wie Buch-Autor Frank Fligge („Die Akte Schwarzgelb“) die finanziellen Nöte des BVB aufdeckte, beschrieb diese Zeit als „sehr unruhig. Kaum jemand wollte uns glauben. Die meisten sagten, dass wir etwas erfunden hätten. Doch es ging darum, den Sumpf trocken zu legen.“

Auch Großaktionär Bernd Geske hatte damals seine Sorgen: „Neben dem Finanziellen ging es mir zunächst um meinen Lieblingsverein. Ich befürchtete schon den Fall ins Bodenlose für Borussia.“ Gemeinsam mit Jan Philipp Platenius, einem der Mitbegründer der Fanabteilung, und Moderator Gregor Schnittker versuchte die Runde die Frage zu klären, wieso der Verein trotz der Erfolge von 1995–2002 in eine so desaströse Finanzlage schlittern konnte. Die Veranstaltung mit dem Motto „Meister, Krise und zurück – Der BVB im Jahr 2005“ wurde für das Publikum zu einer zweistündigen Zeitreise, die viel Insiderwissen über die damalige Zeit zu Tage brachte.

Unter der Präsidentschaft von Dr. Gerd Niebaum gelang dem BVB 1995 und 1996 die Deutsche Meisterschaft und 1997 sogar der Gewinn der Champions League. Das Fundament für eine erfolgreiche Vereinszukunft schien gelegt zu sein und sportlich konnte der BVB sich zu diesem Zeitpunkt rühmen, die beste Mannschaft Deutschlands zu haben. Investitionen in „Beine und Steine“ wurden umgesetzt. Die höchsten Spielergehälter der Bundesliga zahlte damals Borussia Dortmund. Dadurch wurde zum einem dem Werben des FC Bayern München um vereinseigene Spieler entgegengewirkt und zum anderem hochkarätige Spieler eingekauft. Aber auch das Westfalenstadion wurde ausgebaut, um die Strahlkraft des Bundesligastandortes Dortmund zu erhöhen. Diese Entscheidungen von Dr. Gerd Niebaum sorgten dafür, dass Borussia Dortmund über seine finanziellen Verhältnisse lebte und hohe Schulden anhäufte. „Die Gehaltskosten der Spieler waren einfach zu ambitioniert, das waren schon Ausmaße wie bei Juventus Turin. Der BVB hätte damals im Werben um Sammer und Reuter dem FC Bayern nicht dagegenhalten sollen. Beide hätte man ziehen lassen müssen“, erklärte Frank Fligge. Ein möglicher Stopp der wirtschaftlichen Strapazen ist also damals möglich gewesen, doch stattdessen wurde zusätzlich das Stadion erweitert. „Heute wird der Ausbau als Segen betrachtet, mit seinen über 80.000 Zuschauern“, führt Thomas Hennecke aus, „doch damals war es ganz klar eine finanzielle Überlastung.“

Nach dem Gewinn der Königsklasse kommt der BVB nicht ins ruhige Fahrwasser und verschleißt jede Menge Trainer, angefangen bei Nevio Scala über Michael Skibbe bis hin zu Bernd Kraus. Durch die fehlenden Erfolge wächst Borussias Schuldenberg und kann zunächst nur durch den Börsengang im Jahr 2000 aufgefangen werden. „Alleine die Hälfte der Einnahmen von etwa 130 Millionen Euro gingen damals für die Schuldentilgung drauf“, schildert Hennecke. Doch das hält Niebaum nicht davon ab, weiterhin horrende Ausgaben für den BVB zu tätigen. Mit teilweise sehr verschachtelten Finanzierungen von Spielern und dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft im Jahr 2002 gelingt es dem damaligen Präsidenten und seinem Manager Michael Meier, die wirtschaftlichen Sorgen der Borussia dem Groß der Öffentlichkeit zu verschleiern. Von den Geldsorgen hat der kleine Fan nicht den Hauch einer Ahnung: „Das war damals großartig. Wir feierten die Meisterschaft, es war eine lange Nacht!“, erinnert sich Jan Philipp Platenius. Nur einigen wenigen fällt auf, dass etwas im Argen liegt. „Auch für mich war das damals das absolute Glücksgefühl. Ich habe meine Kinder gedrückt und ging zum Ausgang“, schildert Dr. Lunow. „Da kam mir Aki Watzke entgegen und ich konnte an seinen Gesichtszügen erkennen, dass er sich nicht richtig freuen konnte. Er sagte mir nur ‚Freue dich heute als Fan‘ und da bemerkte ich, dass etwas nicht stimmen konnte. Aki wusste ja damals, wie diese Meisterschaft zusammengekauft wurde.“

Auch das Journalistenduo bleibt trotz des Erfolges auf der Hut, als sie herausfinden, dass das Geschäft um den Molsirisfond eigentlich eine andere Art von Kredit ist. Dieser ist nötig geworden, da Präsident Niebaum unbedingt die Stadionkapazität auf über 80.000 Zuschauer ausbauen will, um ein Halbfinale bei der Fußball Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Stadion sehen zu können. Doch die Frage warum der BVB einen Kredit braucht, beschäftigt die beiden Reporter und sie finden heraus, dass der Schuldenberg des BVB nicht nur höher geworden ist, sondern dass auch die wirtschaftlichen Geschicke des Präsidenten und seines Managers unheilvoll sind. „Borussia wurden damals durch den Fond etwa 57 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Durch eine undurchsichtliche Finanzierung hätte es aber sein müssen, dass der BVB über 300 Millionen Euro zurückzahlen muss, die dann im nächsten Jahr, also 2017, fällig gewesen wären“, so Fligge.

Da beide Journalisten Angst um ihren Lieblingsverein haben, forschen sie weiter nach und veröffentlichen zur Weihnachtszeit im Jahr 2003 ihre Recherchen in einem Artikel. Die Verantwortlichen des BVB, Niebaum und Meier, versuchen in einer anschließenden Pressekonferenz die Situation runterzuspielen und scheuen auch nicht vor Anfeindungen gegenüber den beiden Reportern zurück. Doch der Stein des Anstoßes ist ins Rollen gebracht. Nur ein Jahr später tritt Dr. Gerd Niebaum im November 2004 als Präsident des Vereines zurück, Aktionäre und Fans üben Druck auf Verein und KGaA aus, der BVB steht kurz davor Insolvenz anmelden zu müssen. Am 14. März 2005 kommt es am Düsseldorfer Flughafen zu dem Treffen von Aki Watzke und Reinhard Rauball mit den Anteilseignern des Molsirisfond, um die verschachtelte Finanzierung in andere Bahnen zu lenken. Bernd Geske erinnert sich an diesen Showdown: „Es war für alle Anwesenden eine sehr nervenaufreibende Sitzung, da viel negative Kritik von den anwesenden Eignern geäußert wurde.“ Auf die Frage, ob man als Aktionär damals nicht enttäuscht gewesen ist wegen fehlender Dividenden, antwortet er: „Die Aktionäre sind zu dieser Zeit eigentlich sehr diszipliniert gewesen und redeten damals nicht von einer Dividende. Die hatten eher Angst ihr angelegtes Geld zu verlieren.“ Das wird am Düsseldorfer Flughafen deutlich. Die Sitzung ist fast sieben Stunden lang als die Entscheidung getroffen wird. Überraschenderweise haben ca. 94% der Anteilseigner für eine Sanierung gestimmt. Selbst die Tagesschau spricht damals vom „Fußballwunder von Dortmund“. Die Insolvenz des BVB kann im letzten Augenblick abgewendet werden. Es folgt ein sportlicher Aufschwung unter der Zeit von Trainer Jürgen Klopp mit zwei Meisterschaften, einem DFB-Pokalsieg und einem Einzug ins Finale der Champions League, der zusätzlich durch geschickte finanzielle Entscheidungen der neuen KGaA- und Vereinsführung zu einer völligen Entschuldung Borussia Dortmund führt.

Bei dem abschließenden Versuch der Expertenrunde, die Geschicke des Dr. Gerd Niebaum zu bilanzieren, wird die Ambivalenz seines Wirkens deutlich. Die sportlichen Erfolge mit drei Meisterschaften und dem Sieg der Champions League möchte Bernd Geske „nicht missen“, für Jan Philipp Platenius wurden damals seine „Helden der Jugend“ geboren und auch Thomas Hennecke möchte „die erste Hälfte von Niebaums Präsidentschaft nicht unter dem Tisch fallen lassen, weil er als der Architekt der Erfolge bezeichnet werden kann“. Dennoch stellt Dr. Reinhold Lunow fest, dass Niebaum damals auch „das Augenmaß verloren“ hat, was Frank Fligge bestätigt: „Er ist in seinen Visionen zu weit gegangen und konnte nicht mehr zurückrudern.“ Die Fans wandelten damals zwischen Freude und Angst um ihren Verein Borussia Dortmund – ein griechisches Theater hätte diese Tragödie kaum besser darstellen können.

Holger Knobloch (BVB-Fanabteilung)