Es ist Sven „Manni“ Bender, der dieses Gespräch eröffnet. „Warum liegt das da?“, fragt der BVB-Abwehrspieler und tippt mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf die vor ihm ausgebreitete Doppelseite der ECHT aus dem Heimspiel gegen Hoffenheim.

Zu sehen ist seine inzwischen legendäre Rettungstat im Pokal-Halbfinale gegen Bayern Münchens Arjen Robben. Sein Lächeln macht deutlich, dass selbstverständlich auch er weiß: Ohne sein ganz langes Bein auf der Torlinie stünde Borussia Dortmund mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht abermals im Pokalfinale am kommenden Samstag im Berliner Olympiastadion. Aber, findet „Manni“, muss denn alle Welt so ein Aufhebens um seine Tat machen?

Erzähl‘ doch mal: Wie war das werte Befinden am Tag nach dem Halbfinale in München?
Gut, sehr gut. Wir haben gewonnen und sind ins Finale eingezogen. Und ich hatte Geburtstag. Zwei schöne Sachen auf einmal also, besser geht es kaum. Aber dann habe ich so ein wenig die Nachberichterstattung von unserem Spiel mitbekommen…

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Und?
Es wurde viel über diese eine Szene gesprochen und geschrieben, das war mir dann fast schon unangenehm.

Die Eingangsfrage zielte übrigens auch auf das körperliche Befinden ab – war da denn alles in Ordnung? Wenn wir das Bild betrachten: Jeder nicht so gut trainierte Mensch hätte sich bei der Bewegung vermutlich irgendwas im Adduktorenbereich gerissen.
Danke der Nachfrage, aber wenn ich gerade mal gesund bin, dann bekomme ich so eine Bewegung gut hin und es hält dabei auch alles. (lacht)

Kannst Du – mit dem Abstand von einigen Wochen – beschreiben, was Di in diesen entscheidenden Augenblicken gedacht und warum Du so gehandelt hast, wie Du gehandelt hast?
Ich wollte so gut wie möglich das Tor abdecken und wusste, dass ich dazu so locker wie möglich stehen muss, um den Schuss, egal wo er hinkommt, noch irgendwie rauszuholen. Und der Ball war echt gut und scharf geschossen! Ich habe ihn an der Fußspitze gespürt und als nächstes gegen den Pfosten klatschen gehört. Aber danach habe ich mich nur noch gewundert, dass niemand im Stadion jubelt. Wie es dazu gekommen war, dass der Ball nicht im Tor lag, konnte ich mir beim besten Willen nicht erklären.

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Arjen Robben auch nicht… Was macht diese Szene, die hier als Foto vor uns liegt, nun rückblickend mit Dir?
Natürlich finde ich es ziemlich lässig, dass ich den Ball noch so entscheidend erreicht habe, dass es ein Wendepunkt war, der letztlich dazu beigetragen hat, dass wir das Spiel noch gedreht und das Finale erreicht haben. Und zugegeben: Die Szene sieht obendrein auch spektakulär aus! 

Ein Verteidiger, der für die Verhinderung eines so gut wie sicheren Gegentores gefeiert wird: Ein solchen eher seltenen Fall hatten wir in Dortmund schon einmal…
Ich weiß, was jetzt kommt!

Der Vergleich drängt sich nun mal auf: Jürgen Kohlers ziemlich ähnliche und ähnlich legendäre Rettungstat im „Old Trafford“, die ihn beim Publikum zum „Fußballgott“ machte. Nun haben die Fans auch Dich in diesen Stand erhoben.
Was soll ich dazu sagen? Ich werte es einfach als Ausdruck ihrer Freude über das Erreichen des Finales. Übrigens freut mich die Anerkennung durch die Fans schon seit vielen Jahren, und ob nun neuerdings als „Fußballgott“ oder nicht: Ich bin und bleibe einfach Sven Bender. Oder: Manni. (lacht)

Inwiefern steht diese Situation als Synonym für die gesamte Saison des BVB und für all die Widerstände, denen die Mannschaft trotzen musste und die wir an dieser Stelle nicht noch mal alle in Erinnerung rufen wollen?
Ich finde auch, dass die Szene ein bisschen sinnbildlich dafür ist, wie wir insgesamt gesehen kämpfen und teilweise auch leiden mussten, um so weit zu kommen, wie wir insgesamt gesehen in dieser Saison gekommen sind. Wir haben immer an uns geglaubt, uns von nichts aus der Bahn werfen lassen und haben gemeinsam schwierige Situationen gemeistert. In diesem Spiel in München war sicher an der einen oder anderen Stelle auch Glück mit im Spiel. Aber Glück erarbeitet man sich.

Jetzt steht der BVB zum vierten Mal nacheinander im Pokalfinale, was vorher kein Verein je geschafft hat; seit 2012 ist es sogar das sechste Jahr in Serie, das mit einer bedeutenden Endspielteilnahme zu Ende geht – was sagt das aus über die Dortmunder Mannschaften dieser Zeit, die von einem Kern geprägt werden, über den wir gleich noch ausführlich sprechen.
Dass wir es in all den Jahren immer wieder geschafft haben, uns über die Saison hinweg eine Ausgangsituation zu erarbeiten, die uns ganz zum Schluss, wenn der Rest der Liga schon im Urlaub ist, noch in den Genuss solcher Highlights bringt – ich glaube, das zeigt einfach, dass wir egal wie die Mannschaften im Detail zusammengestellt waren, immer den Charakter besessen haben, so hart und entschlossen zu arbeiten, dass wir schlussendlich zu diesen Finalspielen zugelassen wurden.

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Wie prägend ist es für besagten Kern, dem Du gemeinsam mit vor allem Roman Weidenfeller, Marcel Schmelzer, Nuri Sahin und Lukasz Piszczek angehörst, immer wieder so weit zu kommen und in diese Finals vorzustoßen – was, wie Du sagst, erst einmal ja als Erfolg zu werten ist.
Natürlich prägt das; natürlich haben wir Spieler, die bei all diesen Endspielen dabei waren, viel gelernt. Man reift in solchen Hopp-oder-Topp-Spielen, und man lernt Wege zu finden, immer wieder dorthin zu kommen.

Siehe München...
Ja, richtig. Ich finde, dass uns ausnahmslos anzumerken war, dass wir daran geglaubt haben, dass wir nach vorne noch mal unseren Möglichkeiten bekommen werden – wenn wir nur erst hinten alles wegräumen, egal, wie wir dabei aussehen.

Siehe Deine Grätsche. Nun steht, wo wir schon bei Synonymen waren, kaum ein Fußballer hierzulande so sehr für den Begriff Schmerz wie Du. Wie viel Schmerz lässt sich eigentlich ignorieren, bzw. ab welchem Punkt muss man die Notbremse ziehen?
Keine Ahnung, wo da die Grenze liegt. Ich glaube, dass man über sehr viel Schmerz hinweggehen kann. Aber irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man sich selber schützen muss. Ich habe in der Vergangenheit viele Sachen ausgeblendet, mir damit im Laufe der Zeit aber sicher auch geschadet. Schmerz ist ja immer auch ein Signal des Körpers, dass etwas nicht stimmt.

Worauf wir hinauswollen: Es sind letztlich stark unterschiedliche Ebenen, doch was ist letztlich schmerzhafter – eine Verletzung oder eine Niederlage in einem wichtigen Spiel?
Das ist schwierig zu beantworten, aber indem ich immer den Teamgedanken im Sinn habe, würde ich es jederzeit in Kauf nehmen, mich zu verletzen, solange wir trotzdem gewinnen.

Die Bilanz der Endspiele seit 2012 schmerzt fraglos das Borussen-Herz – inwiefern hat es Euch Spielern aber geholfen, den Schmerz über Niederlagen in Berlin und Wembley gemeinsam als Gruppe verarbeiten zu können?
Natürlich hilft das, aber ich persönlich hasse Niederlagen und habe sie schon immer gehasst. Gerade in so wichtigen Spielen tun sie extrem weh. Aber du lernst auch aus jedem Spiel. Jedes dieser Finals hatte seine eigene Geschichte.

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Erzähle sie!
Für alle Endspiele gilt – und das ist das Wichtigste –, dass wir uns immer gut präsentiert und alles versucht und gegeben haben. 2012 haben wir ein Riesenspiel gemacht, über das die Bayern sich noch lange sehr geärgert haben. Wembley und das Pokalfinale 2014 waren zwei Niederlagen, die zu akzeptieren mir noch heute schwer fällt; in beiden Fällen standen wir trotz guter Leistungen am Ende mit leeren Händen da, auch aufgrund klarer Fehlentscheidungen wie Mats‘ nicht gegebenem Kopfballtor. Wenn du dagegen, wie wir 2016, im Elfmeterschießen verlierst, ist das zwar hart, aber ich kann es akzeptieren. Irgendwann muss einfach eine Entscheidung her. Deswegen habe ich mich bei Olympia in Rio, wo wir das Endspiel gegen Brasilien auch im Elfmeterschießen verloren haben, sehr schnell über Silber gefreut – so gerne ich natürlich Gold gewonnen hätte! Aber mit Blick auf Samstag können wir sicher aus dem Jahr 2015 und der Niederlage gegen Wolfsburg am meisten mitnehmen.

Warum?
Wolfsburg war gut, keine Frage. Aber mehr als sie gewonnen, haben in erster Linie wir das Spiel verloren. Wir hatten es in der Hand, das Spiel für uns zu entscheiden, das haben wir nicht geschafft und damit eine große Chance auf den Pokalsieg vergeben.

Was bedeutet das in Bezug auf das Duell mit der Eintracht?
Dass wir uns nichts vormachen dürfen: Wir sind gegen Frankfurt Favorit, zum einen aufgrund dieser Saison und auch aufgrund unserer Endspielerfahrung der vergangenen Jahre. Aber für Frankfurt ist es eben auch eine riesige Möglichkeit, nach ewigen Zeiten mal wieder einen Titel zu gewinnen. Die werden alles geben, es wird ein ganz, ganz intensives Spiel, das muss uns bewusst und darauf müssen wir vorbereitet sein. Trotzdem müssen wir auch unser Spiel durchziehen, das uns die gesamte Saison über ausgezeichnet und so weit gebracht hat. Und dann…

Und dann?
Es gibt nichts Schöneres, als einen Titel zu gewinnen!
Interview: Daniel Stolpe