Die DFB-Autorennationalmannschaft ist die Nationalelf der Schriftsteller. Im Jahr 2010 wurde sie Europameister - mit einem Finalsieg im Stadion Rote Erde. In dieser Saison begleitet sie alle Heimspiele des BVB in literarischer Form. Heute: Klaus Cäsar Zehrer über das Spiel Borussia Dortmund gegen den RSC Anderlecht (09.12.2014).

(Die Kolumne spiegelt nur die Meinung des Autors, aber nicht zwangsläufig die des BVB wider.)

Hallo, Herr Schmelzer!

Nehm ich doch wenigstens stark an, dass Sie Schmelzer heißen. Steht ja hinten drauf. Ist mir schon gleich am Eingang aufgefallen, dass hier jede Menge Schmelzers rumlaufen. Faszinierend. So eine riesige Schüssel, voll bis oben hin mit Leuten in diesen gelben Hemdchen, und alle heißen sie Schmelzer oder Şahin oder Hummels. Gibt ja anscheinend noch richtige Großfamilien hier im Pott. Waren Sie schon mal hier? Ach, tatsächlich? Dauerkarte seit Siebenachtzig? Immer der gleiche Sitzplatz? Und kein einziges Heimspiel verpasst? Donnerwetter. Da hab ich ja richtig Glück. Zum ersten Mal im Stadion, und gleich einen Experten an der Seite. Wissen Sie, ich soll hier nämlich was drüber schreiben, da können Sie mir sicher ne ganze Menge erzählen. Ach so, Sie wollen lieber in Ruhe das Spiel sehen. Natürlich, geht in Ordnung. Ich respektiere das.

Aber jetzt mal ganz unter uns Pastorentöchtern: So richtig spannend ist das heute doch nicht, oder? Ich meine, weiter sind sie ja schon, und ob jetzt Gruppenerster oder Zweiter - ist das denn wirklich so wichtig? Für Sie schon, klar. Wenn man seit Siebenachtzig jede Woche extra den Weg hierher ...ich frag mal ganz neugierig: Sind Sie Dortmunder? Ein waschechter Dortmunder? Also, aus Dortmund direkt, ja? Wie schön. Sehr schöne Stadt. Allein schon die ganzen Sehenswürdigkeiten. Also bitte, man kann doch ruhig ein bisschen plaudern nebenher. Ist doch eh grad nix los da unten. Gut, ich bin jetzt still. Ich werde schweigen wie ein Grab, Herr Schmelzer.

Nur ganz kurz noch. Wie Sie da so mitfiebern, ich finde, das sieht richtig toll aus. Scheint ja wirklich echte Liebe zu sein. Ganz ehrlich, da beneide ich Sie ein bisschen drum. Ich habe leider keinen Lieblingsverein. Als Kind hatte ich mal einen: Wormatia Worms. Zweite Liga Süd. Ich hatte keine Ahnung, wo das ist, ich fand halt den Namen witzig. Bis die dann mal in der Sportschau gezeigt wurden, au weia. Danach wurde ich Fan von Arminia Bielefeld. Ich dachte nämlich, Arminia wäre ein Mädchenname. Eigentlich logisch: Paul - Paula, Martin - Martina, Armin - Arminia. Ich hab mir vorgestellt, dass da nur Mädchen mitspielen, so mit Zöpfen und ganz kurzen Röckchen, das hat mir irgendwie gefallen. Und dann natürlich: Grasshoppers Zürich! Die fand ich richtig super damals! Natürlich auch bloß wegen des Namens. Kinder lieben ja Tiere. Wenn die Manager schlau wären, dann würden sie den Verein umbenennen. In „Borussia Babykätzchen Dortmund“ oder sowas. Klar, ein paar Traditionalisten würden meckern, tun sie ja immer. Aber so kommt man nicht weiter im Leben. Man muss strategisch denken! Strategisch und langfristig! Babykätzchen Dortmund, das generiert Millionen treuer Fans in der nächsten Generation! Überzeugt Sie nicht so, ich seh schon. Aber denken Sie mal in Ruhe drüber nach.

Haben Sie gesehen? Da unten ist einer dabei, der heißt auch Schmelzer. Ach, wussten Sie schon. Okay, ich sag jetzt nix mehr. Ja, versprochen.

Und beruflich sind Sie ... ? Nein, Sie haben völlig recht, Entschuldigung. Geht mich auch wirklich nichts an. Also, ich bin Schriftsteller. Zehrer mein Name. So wie Lehrer mit Z. Leicht zu merken. Können Sie nachschauen, gibt Bücher. Können Sie kaufen. Ist ja auch bald Weihnachten. Schriftsteller, ein herrlicher Beruf. Den Leute Freude machen. Denkanstöße geben. Und nicht zu vergessen, die Sprachkunst! Sprachkunst ist ja ganz wichtig, besonders in der heutigen Zeit. Wissen Sie, ich sag immer - was ist jetzt los? Tor? Eins-Null. Immobile. Aha.

Menschenskind, jetzt ist hier aber eine Stimmung in der Bude. Was singen die denn da überhaupt? La lálala la lálala la lálala, la lálala la lálala la lálala, nur der Be Vau Beeh, nur der Be Vau Beeh ... Die Melodie kenn ich auch irgendwoher ... ach ja: Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehn. Mike Krüger. Tja. Das ist dann wohl die berühmte Fankultur. Nun ja. Also, wenn ich mir vorstelle, ich renne jetzt da unten rum, und dann höre ich: Das ist nur der BVB ... also, mich persönlich würde das ja nicht so wahnsinnig motivieren. Da müsste doch was Besseres ... wozu ist man denn Lyriker ... vielleicht so:

„Hossa, ihr Mannen, nur wacker voran! Bringet den Sieg uns, schießt Tore, wer kann!“

Ja, mein Gott, das ist jetzt natürlich noch nicht in Marmor gemeißelt. Muss ich zu Hause noch ein bisschen dran feilen. Und Musik irgendwas von Brahms oder so.

Peng, drin isser! Sehr schöner Kopfball! Unhaltbar! Ja, sicher für die Blauen, na und? War's deswegen etwa kein schöner Kopfball? Kann man doch ruhig mal anerkennen. Bisschen Sportsgeist, Herr Schmelzer!

So, Schluss. Eins-Eins, ein schönes Ergebnis. Muss sich wenigstens keiner ärgern. Also, Herr Schmelzer, hat mich sehr gefreut! Vielleicht trifft man sich mal wieder! Ich weiß ja jetzt, wo ich Sie finde!   

von Klaus Cäsar Zehrer

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Klaus Cäsar Zehrer

Klaus Cäsar Zehrer, geboren 1969, lebt als freier Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer in Berlin. 2004 erschien die gemeinsam mit Robert Gernhardt herausgegebene Lyrikanthologie „Hell und Schnell. 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten“, 2011 das Kinderbuch „Der Kackofant“ (illustriert von Fil). Zur Zeit arbeitet er an seinem ersten Roman. In der Autorennationalmannschaft spielt er zumeist auf der Bank und erfüllt dort seine Aufgabe mit Würde und äußerster Konzentration. Sein Moment für die Ewigkeit: Bei einem Freundschaftsspiel ließ er seinem Gegenspieler Andreas Möller über neunzig Minuten keine Chance und gewann jeden Zweikampf (Anm.: Nicht der Ex-Nationalspieler Andreas Möller, sondern ein gleichnamiger ehemaliger Mitschüler aus der 9b).    

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Evonik Industries, Hauptsponsor von Borussia Dortmund, gehört zu den führenden Spezialchemie-Unternehmen der Welt. Während der BVB mit überraschenden Ideen den Weg zum Tor findet, entwickeln wir innovative Lösungen für unsere Kunden. Und geben dabei Antworten auf die Megatrends Gesundheit, Ernährung, Ressourceneffizienz und Globalisierung. Für Evonik und Borussia Dortmund gilt: Kreativität macht den Unterschied. Die Fähigkeit, im Labor wie auf dem Platz immer wieder neue Verbindungen herzustellen, entscheidet über unseren Erfolg. Daher haben wir die Kolumne „Evonik Wortsport“ ins Leben gerufen – sie verspricht eine Saison lang immer neue, überraschende Kombinationen von Fußball und Literatur.

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