Die DFB-Autorennationalmannschaft ist die Nationalelf der Schriftsteller. Im Jahr 2010 wurde sie Europameister - mit einem Finalsieg im Stadion Rote Erde. In dieser Saison begleitet sie alle Heimspiele des BVB in literarischer Form. Heute: Wolfram Eilenberger über seine Beobachtungen beim Spiel Borussia Dortmund gegen den SC Freiburg (13.9.2014).

(Die Kolumne spiegelt nur die Meinung des Autors, aber nicht zwangsläufig die des BVB wider.)

Der Unsichtbare

Wenige Sekunden nach Abpfiff ist er in den Katakomben verschwunden. 3:1 gegen den SC Freiburg, der erste Heimsieg der Saison. Sollen die anderen ruhig feiern, sich zeigen, im Blitzlichtgewitter ad-hoc-Analysen absondern. Ohne Buvac.

Neunzig Minuten die Augen nur auf ihm, von der Westtribüne aus. Seit mehr als 12 Jahren ist Zeljko Buvac der Mann an Jürgen Klopps Seite. Klopp ist die immer neue Hit-Single der Liga, Buvac seine ewige B-Seite. Ohne eigenen Werbevertrag, Fangesang oder auch nur Spitznamen. Die amtierende Mutter aller Assistenztrainer. Kernkompetenz: unsichtbar bleiben. Kurz vor Spielbeginn nimmt Klopp die Kicker-Auszeichnung zum beliebtesten Bundesligatrainer der vergangenen Saison entgegen. Buvac wird an diesem Samstag 53 Jahre alt. Im Stadion wissen das die wenigsten. Was macht dieser Mann? Was macht ihn aus?

Unsere Beobachtung ergibt: Weder die Tore seiner Borussia noch der späte Freiburger Gegentreffer lösen bei Buvac sichtbare Reaktionen aus. Ganze fünfmal wird er sich während des Spiels von der Bank erheben (erstmals in der 55. Minute), dreimal enttäuscht abwinken (Aussetzer, Durm), kurz vor Ende dem Vierten Schiedsrichter  die Meinung sagen. 98% der Spielzeit aber ruht Zeljko Buvac in Denkerpose auf der Bank. Flüstert ihm, was recht häufig vorkommt, Susi Zorc eine potentiell spielentscheidende Einsicht ins linke Ohr, nickt er zustimmend, ohne zu antworten. Und der Kontakt mit Klopp? Es dauert 64 Spielminuten, bis die beiden das erste Mal miteinander sprechen. Jeder weitere Informationsaustausch scheint sich, wenn überhaupt, auf nonverbaler Ebene zu vollziehen.

Bereits das Warmmachen offenbart die perfekte Komplementarität des Paares: Buvac beobachtet die Borussia, tief in der eigenen Hälfte. Klopp, ganz nah an der Mittellinie, den Freiburger Gegner. Buvac hält die Hände lässig in den Hosentaschen, Klopp die Arme kämpferisch vor der Brust. Buvac trägt aus der Kollektion die schwarze Trainingsjacke, Klopp die grellgelbe. Buvacs Schuhe sind moosgrün, Klopps neon. Buvac mustert den Rasen, Klopp den Himmel. Das ist mehr als nur Arbeitsteilung. Das geht hinein ins Archetypische.

Und wer während des Spiels mit eigenen Augen sieht, wie Buvac seinen Chef in den Minuten 65-75 mehrmals taktisch berät, sogar einen Impulswechsel von Klopp (Bender für Mkhitaryan) in letzter Sekunde forsch unterbindet (es geht stattdessen Jojic); wie er Kagawa von der Seitenlinie durch wenige Handzeichen fernsteuert, Immobile per Dolmetscher die Laufwege erklärt; wie die Augen der Spieler bei Standards immer wieder seine schmalen Gesten suchen, der könnte sich durchaus fragen, ob seine Bedeutung mit dem Begriff „Co-Trainer“ hinreichend beschrieben ist. Ob so einer nicht den Wunsch haben müsste, eines Tages selbst dorthin zu treten, wo das Licht am grellsten scheint? .

Wir wissen es nicht. Und Nachfragen sinnlos. Buvac gibt keine Interviews, aus Prinzip nicht. So haben wir uns, für den Moment, an das zu halten, was jeder Fan im Stadion sehen könnte: einen Menschen, der seine Rolle im Leben gefunden hat, der ganz und gar in ihr aufgeht. Sie sind schön, diese Menschen. Und selten. Die meisten von ihnen bleiben lieber unsichtbar. Als wollten sie ihr Glück vor uns beschützen.

von Wolfram Eilenberger

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Wolfram Eilenberger ist Schriftsteller und Chefredakteur des Philosophie Magazins. Er ist Inhaber eines DFB-Trainerscheins und spielt im linken Mittelfeld der deutschen Autorennationalmannschaft. Buch zum Thema: Lob des Tores - 40 Flanken in Fußballphilosophie, BtV, 2006. Sein Moment für die Ewigkeit: Wurde in Karlsruhe als 18jähriger von Fans in der Fußgängerzone wiederholt mit Mehmet Scholl verwechselt.

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