Kamal Bafounta kam im Sommer 2018 aus Nantes in die U17 des BVB. Ausgestattet mit viel Talent, aufgeladen mit großer Hoffnung. Nach einem Meniskusschaden und 18 Monaten Zwangspause arbeitet er an seiner Rückkehr und an seinem Traum. Jeden Tag, seit mittlerweile einem weiteren Jahr; aber immer mit flinken Füßen und klarem Kopf. Der 19-Jährige sagt: „Es ist immer gut, etwas im Kopf zu haben, auch als Fußballer.“ 

Soeben hat die Sonne den Hochnebel durchbrochen, auch die letzten Ausläufer sind nun schnell aufgelöst. Alsbald hat das wärmende Gelb das satte Grün geflutet. Unermüdlich drehen die Männer auf den Aufsitzrasenmähern ihre Runden. Der Geruch von frisch gemähtem Gras dringt sogar durch die FFP2-Maske. Es ist ein wunderbarer Morgen im Trainingszentrum Hohenbuschei.  

Für Kamal Bafounta hat die Aussicht des Morgens auch Weite. Und Tiefe. Tiefempfundene Weitsicht. Der 19-Jährige steht mit beiden Beinen auf dem Rasen. 18 lange Monate hatte er dies zwischen Februar 2019 und Ende September 2020 nicht gekonnt. Ein komplizierter Meniskusschaden im rechten Knie hatte ihn außer Gefecht gesetzt. Der Operation bei Spezialist Prof. Dr. Peter Angele in Bad Griesheim schloss sich statt des erhofften Sprints ein Marathon zurück auf den Fußballplatz an. Nach mehreren Rückschlägen folgte im März 2020 ein zweiter Eingriff. Und dann kam noch Corona. 

Im Sommer 2018 mit viel Talent und großen Hoffnungen vom FC Nantes in die U17 des BVB gekommen, saß Kamal Bafounta nun auf dem Trockenen. Gewissermaßen gestrandet im Jugendhaus, gefangen in der Mühle der Reha und – aufgrund der Pandemie – von Reise- und Kontaktbeschränkungen. 

Erst weitere sechs Monate später konnte der mit 1,92 Meter hoch aufgeschossene Franzose wieder kleine Teile des Mannschaftstrainings bei der U19 mitmachen. Reha-Trainer Heiko Bias hat in dieser Zeit beinahe täglich mit Bafounta gearbeitet. „Bei Kamal ging es darum, für eine Stabilität zu sorgen. Er musste sich mit seinem Knie erst wieder wohlfühlen, ihm vertrauen. Wir haben bei ihm mit Kleinzielen gearbeitet, einem sogenannten Return-to-Algorithmus“, sagt Bias und erklärt: „Daran haben wir uns entlang gehangelt. So hatte der Spieler ein Erfolgserlebnis, wenn er ein Level bestanden hat. Das bringt einen großen Motivationsschub.“ Motivation war nötig, Geduld auch. 

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Ein weiteres Jahr später, Ende August 2021, steht Kamal Bafounta an diesem Morgen im Lichtkegel der Sonne. „Es tut gut, wieder auf dem Platz zu sein. Es war eine große Herausforderung. Ich hoffe, dass ich jetzt gesund bleibe.“ Noch ist der Mittelfeldspieler, der inzwischen unter U23-Trainer Enrico Maaßen auf der „Sechs“ und als Innenverteidiger trainiert, nicht wieder bei 100 Prozent seines Leistungsvermögens. „Man sagt, dass man noch mal solange braucht, wie man verletzt war.“ Dafür fühle er sich schon gut. Im Detail aber fehle es nach eigener Einschätzung vor allem noch an Ausdauer und Spielverständnis. „Ich merke, dass das alles zurückkommt, aber ich muss noch immer daran arbeiten und meinen Platz in der Mannschaft erst gewinnen.“

Seine Mannschaft ist seit Anfang Juli die U23. Seit dem Frühjahr hatte Bafounta dort bereits punktuell trainiert, seine Umfänge kontinuierlich gesteigert. „Dass er nach einer solch langen Pause Anschluss findet, zeigt, wie gut er gearbeitet hat. Er hat seine Herausforderung voll angenommen“, sagt Enrico Maaßen. „Kamal macht Fortschritte, wird aber insgesamt sicher noch Zeit brauchen.“ Was ihm dabei helfen wird: „Kamal hat einen herausragenden Charakter, ist sehr lernwillig, sehr emphatisch und verfügt über die intrinsische Motivation, an sich arbeiten zu wollen. Wir nennen ihn liebevoll Killer – nachdem er im zweiten Training bei uns Tobi Raschl gleich mal für acht Tage rausgetreten hatte. Ein toller Junge, der nach nur drei Jahren in Dortmund perfekt Deutsch spricht. Auch das zeigt seine hohe Identifikation.“ 

Für Kamal Bafounta ist dieser Schritt von der U19 in die 3. Liga kein kleiner. „Man merkt sofort, dass das ein anderes Niveau ist. Hier haben alle Spieler Qualität, die U23 ist ja quasi eine Profimannschaft. Gut ist, dass man sich schnell daran gewöhnt.“ 

Schnell – das tut gut. Langsamkeit hat er lange genug ertragen müssen. Gerade als junger Mensch, der ein junger Fußballer zuvorderst eben auch ist, hat die Zwangspause mitunter am Geduldsfaden gezerrt. Im Rückblick aber sieht Kamal Bafounta die Dinge bemerkenswert klar: „Mein Ziel war es immer, Profifußballer zu werden. Also war sofort klar, dass ich diese Verletzung überstehen muss, um das zu erreichen.“ Den Berg, der sich im Moment der Diagnose aufgetürmt hat, hat er in kleinen Schritten erklommen. 

„Kamal musste sich mit seinem Knie erst wieder wohlfühlen“

Reha-Trainer Heiko Bias 

„Ich habe immer verglichen, wo ich heute vor einer Woche gestanden habe. Der Unterschied hat mich motiviert.“ Zusammen mit Heiko Bias ging es körperlich aus dem Tal heraus. „Wir haben ein paar Challenges gemacht, das Pensum stufenweise erhöht. Das hat sehr geholfen.“ 

Ablenkung hat er gerade in der ersten Zeit fehlender Fußübungen in der Kopfarbeit gefunden. Kamal Bafounta hat aus Deutschland heraus sein Zentralabitur in Frankreich gebaut und im Mai 2019 alle Prüfungen bestanden. Das war ihm wesentlich. „Mein Vater und meine Mutter haben mir immer gesagt, dass Schule wichtig ist. 

Es ist gut, etwas im Kopf zu haben, auch als Fußballer. Ich wollte mein Maximum schaffen. Am Ende ist das toll, weil ich ein gutes Abi habe.“ Gar nicht unbedingt, was die Noten betrifft, das sei schwer gewesen, aber in Bezug auf die Fächer. Darunter: Mathematik, Englisch und Philosophie. 

Dafür hat er, der bereits in seiner frühen Schulzeit in Frankreich eine Klasse übersprungen hatte, gepaukt. „Kamal hat bravourös darauf fokussiert und einen eindrucksvollen Beleg dafür geliefert, dass es sich lohnt, die ausgelatschten Pfade unseres Bildungssystems auch mal zu verlassen. Das war eine herausragende Leistung“, sagt Matthias Röben, der Pädagogische Leiter für den Nachwuchsbereich. Immerhin habe der junge Franzose sich in Dortmund lebend auf die Prüfungen adäquat vorbereiten müssen. Als dann nach der mündlichen Prüfung in Mathematik die erlösende WhatsApp einging, habe er, Röben, Gänsehaut gehabt. 

„Er hat seine Herausforderung voll angenommen“

U23-Trainer Enrico Maaßen 

Kamal Bafounta sagt: „Die Kopfarbeit hat mir dabei geholfen, nicht nur an Fußball zu denken.“ Mental auf die Probe gestellt wurde er allerdings auch nach den Abiturprüfungen so manches Mal. „Die schwierigste Zeit war, als ich alleine im Internat war. Das ist zwei-, dreimal passiert. Im Sommer während der Reha, und dann im Corona-Winter, als ich nicht nach Hause konnte.“ Bafountas Eltern waren im Dezember 2020 an Corona erkrankt, deshalb konnte er nicht nach Frankreich. Weil das Jugendhaus aufgrund der Pandemie vorübergehend geschlossen war, blieb der damals 18-Jährige als einziger zurück. „Das war schwer. Ich war alleine, Kontakt zu meiner Familie hatte ich nur über Telefon.“ Und dann kam Weihnachten. Eine emotionale Ausnahmesituation. Eddy Boekamp, bei dem er Heiligabend verbrachte, und Familie Röben, bei der er an den Feiertagen mit am festlich gedeckten Tisch saß, haben ihn aufgefangen. 

Und Julia Porath, sie vor allem. Die Leiterin des Jugendhauses hat viel Zeit mit Kamal Bafounta verbracht, auch als alle anderen Nachwuchsspieler zuhause waren. Sie sagt: „Kamal ist ein lustiger Kerl, dabei aber nicht oberflächlich, ganz im Gegenteil. Er reflektiert viel, ist wissbegierig und lernbereit. Er jammert nicht, ist geduldig und gut im Umgang. Das zeichnet ihn aus. Wir beide haben es gutgehabt.“ Zusammen haben sie beispielsweise gekocht. Ob er, der gebürtig aus Lyon, also aus der Stadt eines Paul Bocuse kommt, auch dabei etwas gelernt habe? „Ich konnte vorher gar nichts. Von daher: Auf jeden Fall, ja. Ich kann jetzt überleben, wenn ich alleine bin.“ 

Wenn ein 19-jähriger Fußballer so spricht, dann geht die Sonne auf. 

„Kamal war zu seiner Zeit so etwas wie der Bürgermeister“

Matthias Röben, Pädagogischer Leiter 

Mit dem Übergang von der U19 in die U23 ist Kamal Bafounta ausgezogen in seine eigenen vier Wände. An diesem August-Morgen kehrt er kurz ins Jugendhaus zurück: Hier riecht es nicht nach gemähtem Gras, sondern nach frischer Farbe. Maler gehen ihrem Handwerk nach. Das eine oder andere wird Instand gesetzt. Er sei nicht verantwortlich dafür, dass dies notwendig geworden ist, beteuert der 19-Jährige. 

Man glaubt es ihm gern. „Kamal war zu seiner Zeit so etwas wie der Bürgermeister. Sein Wort hatte Gewicht bei den Jungs im Haus“, sagt Matthias Röben. Bafounta selbst grinst vielsagend, als er das hört. „Ich war eher der ruhige Vertreter, manchmal ernst. Manchmal habe ich zu den jüngeren Spielern etwas gesagt – offenbar haben sie gut aufgepasst.“ 

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Drei Jahre hat der Franzose im Jugendhaus gelebt, nicht nur gewohnt. Sein Lieblingsort war tatsächlich die Küche. Warum? „Weil ich immer Hunger habe“, sagt er vordergründig, um Hintergründiges anzuschließen: „Wir haben tolle Köche, die gut kochen können – und gut zuhören.“ Die Küche im Jugendhaus ist ein wichtiger Sozialisationsraum. 

Hier nimmt man sich Zeit, hört zu – und behält das Besprochene für sich. Ein Ort des Vertrauens, ein Hort für die kleinen und großen Sorgen junger Menschen. „Das ist so“, sagt Kamal. Er selbst hatte immer eine gute Beziehung zum Küchenpersonal. „Es tut immer gut, zum Beispiel mit älteren Menschen zu sprechen, oder mit solchen, die gar kein Fußball spielen.“ Die Küche ist auch so etwas wie die Verbindung aus der Blase ins Leben. „Man gewinnt Sichtweisen, die man selber nicht hat – und ein Gefühl dafür, was für Privilegien man hat, was für ein Glück. Mit Menschen zu sprechen, die einen normalen Job haben, ist gut für den Kopf.“ 
Autor: Nils Hotze 
Fotos: Jens Volke