Hans-Joachim Watzke spricht im Interview über das Pokalfinale in Berlin, über die Bundesliga und über die Planungen für die kommende Saison: „Bis jetzt haben wir es immer hinbekommen, die Abgänge zu kompensieren.“

 

Herr Watzke, Borussia Dortmund absolvierte am Samstag das finale Heimspiel der Saison 2013/2014. Wie fällt Ihr Saisonfazit aus?
Positiv! Wir haben trotz einer Verletzungsmisere, wie ich Sie persönlich noch nie erleben musste, all unsere im Sommer 2013 ausgegebenen Saisonziele erreicht.

Wenn Sie uns den Einwand erlauben: Das stimmt nicht ganz.
Wie meinen Sie das?

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In der Champions League ist Borussia Dortmund den eigenen Ansprüchen nicht bloß gerecht geworden, der BVB hat die internen Erwartungen sogar übererfüllt.
(lacht) Das ist richtig, wir hatten das Überwintern in der Königsklasse als Ziel formuliert, was angesichts der schwierigsten aller Gruppen durchaus ambitioniert war. Letztlich haben wir sogar abermals den Sprung unter die besten acht Mannschaften des Kontinents geschafft und sind im Viertelfinale nach einer grandiosen Leistung im Rückspiel mit viel, viel Pech gegen Real Madrid ausgeschieden. Zur kommenden Saison werden wir nun mindestens in Lostopf 2 vertreten sein. Auch das ist eine Konsequenz des attraktiven, intensiven, emotionalen Fußballs, für den wir stehen.

Vor der Saison haben Sie betont, im nächsten Entwicklungsschritt gehe es dem BVB vor allem um Nachhaltigkeit. Ist dieser Schritt getan?
Wir befinden uns auf einem sehr guten Weg. Hinter Borussia Dortmund liegt nun eine Phase von vier Jahren, in der wir zweimal Meister und zweimal Vizemeister geworden sind. Das gab es in der mehr als hundertjährigen Geschichte dieses Klubs noch nie! Wir haben 2012 zudem das Double gewonnen, 2013 das Champions-League-Finale erreicht. Und auch die laufende Spielzeit birgt ja bekanntlich noch ein großes Ziel für uns. Drei Endspiele in drei Jahren – das kann sich sehen lassen und spricht für die Arbeit der Mannschaft, des Trainerstabes, aller Verantwortlichen, Gremien und Mitarbeiter, aber auch für unsere Fans, die ganz Fußball-Europa begeistert haben. Ich möchte mich heute bei allen, die zum Gelingen dieser Saison beigetragen haben, herzlich bedanken.

Sie haben es angesprochen: Es folgt noch das DFB-Pokalfinale in Berlin. Ein außergewöhnliches Highlight.
Genau. Wenn ich an den 17. Mai denke, bekomme ich jetzt schon eine Gänsehaut. 70.000, vielleicht 80.000 BVB-Fans werden das Stadtbild in Berlin wieder schwarzgelb einfärben. Wir sind gegen Bayern München, die aktuell vielleicht beste Mannschaft der Welt, sicher kein Favorit, aber die Münchner wissen nicht erst seit unserem 5:2-Finalsieg im Jahr 2012 oder dem 3:0-Auswärtserfolg von vor wenigen Wochen, dass wir über die Mittel verfügen, sie bezwingen zu können. Wir möchten den Pokal für unsere inzwischen fast zehn Millionen Anhänger wieder nach Dortmund holen – ganz klar!

Sie gelten als Fußball-Purist, als jemand, der diesen Sport wie kaum ein anderer lebt und liebt. Hand aufs Herz: Mit welchem Spieler würden Sie am 17. Mai für 90 Minuten gern die Rollen tauschen?
Man kann Spieler nicht miteinander vergleichen, weil alle unterschiedliche Stärken und Aufgaben innerhalb eines funktionierenden Kollektivs haben. Ich empfinde eine enorme Wertschätzung für jeden unserer Akteure und das, was er aus dieser von hohen Hindernissen gepflasterten Saison jeweils gemacht hat; aber wenn ich ganz ehrlich bin: mit Marco Reus würde ich am 17. Mai schon ganz gerne tauschen.

Warum?
Marco ist Dortmunder durch und durch. Er lebt diesen Klub, seine ganze Familie ist hier zu Hause. Mit diesem privaten Hintergrund und seinen außergewöhnlichen fußballerischen Fähigkeiten in so ein Endspiel gehen zu dürfen, das muss einfach großartig sein. Eine hochemotionale Geschichte.

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Erleichtert und glücklich: Hans-Joachim Watzke

Unter anderem um Reus und Trainer Jürgen Klopp rankten sich in den vergangenen Wochen immer wieder Wechselgerüchte. Werden Sie nervös?
Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Dass unsere Spieler angesichts ihrer Leistungen in den Fokus europäischer Topklubs rücken, ist doch keine Überraschung. Wir wissen, was wir an Marco haben. Und ich bin mir im Gegenzug sicher, dass Marco sich bei uns zutiefst wohlfühlt und weiß, was er an diesem außergewöhnlichen Klub hat. Sonst würde er diese Leistungen auch nicht so kontinuierlich zeigen können. Ich bin mir sicher, dass Marco noch große Erfolge mit dem BVB feiern wird. Im Übrigen: Wie eindeutig sich Jürgen Klopp und zum Beispiel Mats Hummels in den vergangenen Wochen wieder und wieder zum BVB bekannt haben, gefällt uns sehr. Das zeigt doch, dass wir uns auf einem Weg befinden, mit dem sich hohe sportliche Ambitionen absolut in Einklang bringen lassen.

Nichtsdestotrotz haben Sie sich dem Primat der wirtschaftlichen Vernunft dauerhaft verschrieben. Keinen Euro Schulden mehr...
...bezogen auf den sportlichen Erfolg – das ist korrekt. Wir wissen genau, woher wir kommen. Aber Borussia Dortmund wächst und wächst in allen Bereichen, unter anderem werden wir im Sponsoring wieder neue Höhen erklimmen. Unter den besten Acht der Welt stehen ja fast durchgängig Klubs, die zwischen 130 und 250 Millionen Euro für ihren Kader ausgeben. Umso höher ist es zu bewerten, dass wir mit 70 Millionen abermals in diese Phalanx einbrechen konnten. Aber auch wir haben durch das Wachstum die Möglichkeit, künftig sukzessive mehr Geld für den Kader auszugeben, weil eben die Umsätze entsprechend steigen. Keiner muss sich Sorgen machen: Wir bleiben gesund und hochambitioniert. Es gibt für uns Jahr für Jahr mehr Möglichkeiten.

Geld muss also nicht zwangsläufig die Fußball-Welt regieren?
Natürlich ist es schwierig, in Europa erfolgreich zu sein, aber es ist nicht aussichtslos. Dass es mit kübelweise Geld geht, sieht man an Paris. Da werden Jahr für Jahr hunderte von Millionen reingepunpt. Diese Tür steht uns nicht offen, aber wir werden unseren Weg gehen. Unsere Kultur ist, dass wir keinen Scheich und keinen Oligarchen wollen. Wir wollen es aus eigener Kraft schaffen. Wenn wir uns personell noch einen Tick besser aufstellen und wir von solchen dramatischen Verletzungen verschont bleiben, habe ich jetzt schon das Gefühl, dass wir uns weiterhin vor niemandem verstecken müssen.

Wird sich der BVB in Zukunft vornehmlich über das Kollektiv definieren, oder auch über individuelle Qualität, sprich: über Stars?
Noch vor ein paar Jahren hätte ich Ihnen gesagt: nur über das Kollektiv. Heute weiß ich: Beides ist extrem wichtig. Dieser Zusammenhalt, dieses „Eine Mannschaft sein“ im eigentlichen Sinne. Aber natürlich sind Duelle wie gegen Real Madrid auf absolutem europäischem Top-Niveau leichter zu gewinnen, wenn du Profis in deinen Reihen hast, die das Spiel prägen können, die im Stande sind, den Unterschied auszumachen. Diese Spieler haben wir schon jetzt. Ich hoffe darüber hinaus, dass in Ilkay Gündogan nach langer Verletzungspause ein gefühlter Neuzugang wieder zu voller Gesundheit findet und sein Potenzial 2013/2014 zur Entfaltung bringen kann. Er würde uns noch stärker machen. Über seine Vertragsverlängerung haben wir uns sehr gefreut!

Robert Lewandowski verlässt den BVB. Wie gedenken Sie seinen Abgang zu kompensieren?
Ich warne davor zu glauben, dass wir ihn eins zu eins ersetzen könnten. Von seiner Klasse gibt es nur zwei oder drei auf der Welt, und die sind für uns unerschwinglich. Wir müssen Lösungen finden, seinen Wechsel im Verbund aufzufangen. Bis jetzt haben wir es immer hinbekommen, die zugegeben sehr, sehr hochklassigen Abgänge zu kompensieren. Daher bin ich auch jetzt wieder zuversichtlich. Ich möchte aber nochmal betonen, dass es die richtige Entscheidung war, Robert im Sommer 2013 aller medialer Unkenrufe zum Trotz nicht gehen zu lassen. Robert hat auf höchstem Niveau extrem professionell für den BVB gespielt und gearbeitet. Er war wettbewerbsübergreifend an über 40 Toren beteiligt und hatte daher großen Anteil am Erreichen unserer Saisonziele. Es wäre mir natürlich am liebsten, er würde sich mit einem Titel verabschieden.

Vor dem großen Finale in Berlin spielt der BVB in der Bundesliga noch bei Hertha BSC. Was erwarten Sie vor dem Hintergrund des nahenden Saisonhöhepunkts und des bereits erreichten Liga-Ziels?
Der Trainer hat es nach dem 2:2 in Leverkusen ja treffend beschrieben: Natürlich können wir nun nicht denselben Druck aufbauen, den beispielsweise Teams haben, für die es noch um die Champions-League-Qualifikation geht, oder um den Klassenerhalt. Und doch muss es lohnend genug sein, ein Bundesligaspiel zu gewinnen. Wir können noch auf 71 Punkte kommen. Das ist ein Wert, der in acht von 19 Fällen seit Einführung der Drei-Punkte-Regel zur Deutschen Meisterschaft gereicht hat. Dieses Jahr haben die Bayern absolut verdient die Schale geholt. Aber wenn wir am 17. Mai schon mal in Berlin sind, wollen wir den DFB-Pokal auf jeden Fall mit nach Hause nehmen. Diese Trophäe wäre der krönende Abschluss einer Klasse-Saison.