Der Abpfiff war lange verklungen, es war kurz vor 21 Uhr, in den Umlaufebenen im weiten Rund tanzten die Fans in den Gängen. „Unser ganzes Leben, unser ganzer Stolz – nur der BVB!“ Und drei, vier Etagen tiefer, im Bauch des Berliner Olympiastadions, paarten sich Erleichterung und Stolz in der Umkleidekabine der Schwarzgelben. Das 3:2 bei der Hertha war in mehrfacher Hinsicht ein dreifacher Big-Point.

Als – neben Rasenballsport Leipzig – einziges Team aus dem oberen Tabellendrittel konnte Borussia Dortmund drei Punkte beim Favoritenschreck entführen. Frankfurt, Gladbach und München hatten hier verloren. Es war ein Sieg der Moral einer um vier Leistungsträger – Götze, Witsel, Piszczek und Alcácer – beraubten Elf, gegen alle Widerstände, gegen eine absurde Handspielregel, gegen einen starken Gegner.

Später am Abend spürte Marco Reus, „mittlerweile erstaunlich ruhig“, eine „Riesenerleichterung“. In der zweiten Minute der Nachspielzeit hatte er den BVB mit dem Treffer zum 3:2 erstmals an diesem regnerischen Samstagabend in Führung und damit zum Sieg geschossen – in einem „guten Spiel von beiden Seiten, das von uns aber noch einen Tick besser war. Wir hatten viele Möglichkeiten, hätten da zielstrebiger sein müssen“.

Zum fünften Mal nach Rückstand gewonnen

An der Berechtigung des Sieges gab es keinen Zweifel bei 13:3 Torchancen. Beide Mannschaften verzeichneten in einem absoluten Klassespiel, das über weite Strecken den Charakter eines Pokalfinales hatte, jeweils einen Alutreffer (Grujic, 57. / Delaney, 88.). Borussia Dortmund gab so viele Torschüsse ab wie in keinem anderen Spiel dieser Saison (25) und siegte bereits zum fünften Mal in dieser Bundesliga-Saison nach einem Rückstand – hier sogar nach einem zweimaligen Rückstand (0:1, 1:2).

Von hinten musste Manuel Akanji verfolgen, wie die Mannschaft nach den beiden Ausgleichstreffern durch Thomas Delaney in der 14. sowie Dan-Axel Zagadou in der 47. Minute lange Zeit vergeblich dem Siegtor hinterherrannte. „Ich habe die ganze Zeit gehofft: Bitte geh mal rein...“

„Mit dieser Moral wird es schwer, uns aufzuhalten“

In der zweiten Minute der Nachspielzeit initiierte Raphael Guerreiro den entscheidenden Angriff. Jadon Sancho (17. Torvorlage, das gab’s noch nie für einen Borussen nach 26 Spieltagen!) sah und nutzte den winzigen Spalt, der sich in Herthas Abwehrgeflecht aufgetan hatte, und Marco Reus traf zum 15. Mal in dieser Saison. Das 3:2 war der 19. Dortmunder Treffer in der Schlussviertelstunde. Das ist zum einen Ligaspitze und unterstreicht zum anderen den Willen, der in dieser Truppe steckt! „Mit dieser Moral wird es schwer, uns aufzuhalten“, meinte Reus hinterher.

„Die Mannschaft wollte das Spiel unbedingt gewinnen“, stellte Michael Zorc fest, er sprach von „einer Dynamik, die entstehen kann“ und kündigte an: „Wir gehen jetzt ins letzte Drittel der Saison und werden alles versuchen, um Deutscher Meister zu werden.“ Allerdings fügte der Sportdirektor in einem Atemzug hinzu: „Wir spielen erstmal gegen die Wolfsburger, die einen sehr guten Lauf haben.“

Bei Borussia Dortmund ist der Glaube an das ganz Große zurück. Die Euphorie, die 20.000, vielleicht sogar 25.000 BVB-Fans im Olympiastadion verbreiteten, ist ein nach außen deutlich sichtbares Zeichen.
Boris Rupert

Spielbericht: Reus erlöst Borussia
Stimmen zum Spiel: „So ein Sieg verschafft Selbstvertrauen!“