Immer wieder versuchen Rechtsextreme, die Strahlkraft von Borussia Dortmund für Ihre Zwecke zu missbrauchen. Viele Jahre lang gab es beim BVB kein klares Konzept für den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Das hat sich vor eineinhalb Jahren geändert.

Matthias Dersch von den Ruhr Nachrichten sprach mit dem BVB-Fanbeauftragten Daniel Lörcher über den Masterplan des Klubs und die Haltung, Politik gehöre nicht ins Stadion.

In einem TV-Beitrag der ARD-Sendung „Kontraste“ wird dem BVB vorgeworfen, das Neonazi-Problem zu lange ignoriert zu haben, jetzt sei es praktisch zu spät. Was halten Sie dem entgegen?
Wir stellen uns der Kritik bezüglich der Klubvergangenheit. Und wir stellen uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung mit aller Entschlossenheit und einem hohen personellen, logistischen und finanziellen Aufwand. Wir haben ein zielorientiertes 20-seitiges Konzept erarbeitet, das wir dem ARD-Team von „Kontraste“ 45 Minuten lang vorgetragen haben. Dieses Papier beinhaltet auch, dass wir unsere Maßnahmen von externen, unabhängigen Wissenschaftlern begleiten und darüber hinaus messen lassen, ob sie fruchten oder nicht. Anschließend haben wir den beiden Journalisten ein rund

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Daniel Lörcher

45-minütiges Interview gegeben, in dem wir uns offen zu nach wie vor vorhandenen Schwächen und Problemen bekannt und unsere Ziele und Maßnahmen deutlich formuliert haben. Natürlich kann man uns vorwerfen, dass Borussia Dortmund sich früher in dieser Intensität dem Thema Rechtsextremismus hätte stellen müssen – dies sehen wir ja selbstkritisch auch so. Aber seit eineinhalb Jahren gehen wir das Problem mit voller Kraft an. Leider kommt das manchmal in der Berichterstattung zu kurz. Im Wissen darum, dass es außerordentlich schwierig ist, medial auch solche positiven Inhalte zu vermitteln, bemühen wir uns aber dennoch…

Wie lauten die Ziele ihres Konzepts?
Wir wollen einen Klimawandel innerhalb der Fanszene erreichen. Jeder soll sich offen gegen Rassismus und Diskriminierung stellen dürfen, ohne Angst vor Gewalt oder Repression haben zu müssen. Dieser Klimawandel soll bis spätestens 2015 gelingen und ist eines der Kernziele. Aber unser Engagement ist nachhaltig angelegt. Wir stehen mit Herzblut und Leidenschaft dahinter. Und vieles von dem, was wir angestoßen haben und noch anstoßen werden, geht weit über das Übliche hinaus. Es geht uns nicht um plakative Einzelprojekte, sondern um ein stetes Grundrauschen, das permanent auf das Problem aufmerksam macht und daran erinnert, sich ihm gemeinsam entgegenzustellen.

Können Sie Beispiele für geplante Aktionen nennen?
Am (heutigen) Samstag startet ein T-Shirt-Contest, in dem BVB-Fans dazu aufgerufen werden, Designs einzusticken, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus stellen. Der Siegerentwurf wird über unsere Fanshops verkauft. Die Erlöse fließen zu 100 Prozent in unsere Stiftung „leuchte auf!“, die das Geld für antirassistische Projekte einsetzt. Außerdem wird es demnächst über die seit einiger Zeit stattfindenden Gedenkstättenfahrten in ehemalige Konzentrationslager auch speziell solche Fahrten geben, auf denen wir ganz konkret den Spuren zweier jüdischer Familien aus Dortmund folgen, die von den Nazis deportiert und getötet wurden. Wir wollen innerhalb der Fanszene den Willen wecken, sich aktiv zu engagieren. Das sind übrigens nur zwei von vielen Aktionen, die ich hier nennen könnte. Auch unsere Spieler werden involviert und bekennen sich. Das Gesamtpaket der Maßnahmen wird – wie gesagt – wissenschaftlich begleitet. Das ist uns ganz wichtig.

Auf der Tribüne gilt häufig noch der Spruch „Fußball ist Fußball, Politik ist Politik“ …
Das ist eine Haltung, die wir beseitigen wollen, da sie rechtes Gedankengut toleriert und bewusst von Neonazis genutzt wird. Antirassismus ist keine Politik, sondern eine Sache des gesunden Menschenverstandes.

In dem TV-Beitrag wurde auch der Fall eines BVB-Anhängers erwähnt, der am vergangenen Samstag in Hamburg mit einem „Sieg Heil“-Ruf die Schweigeminute für den verstorbenen HSV-Masseur Hermann Rieger gestört hat. Wie ist der Verein in dieser Sache vorgegangen?
Borussia Dortmund hat dem Mann ein bis 2020 gültiges Stadionverbot erteilt, also das Maximum seiner Möglichkeiten ausgeschöpft. Außerdem hat der BVB den Hamburger SV als Hausherren darin bestärkt, diesen Mann anzuzeigen und ihn mit einem bundesweiten Stadionverbot über die maximal mögliche Dauer zu belegen. Grundsätzlich wird jeder mit einem Stadionverbot belegt, der durch eine rechtsextreme Ordnungswidrigkeit oder Straftat auffällt. Wir gehen auch gerichtlich gegen Rechtsextreme vor, die mit dem BVB werben wollen, falls notwendig wie unlängst bewiesen, durch alle Distanzen. Und wir streben auch Vereinsausschlussverfahren an.

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Wie haben die BVB-Fans im Hamburger Stadion auf den „Sieg Heil“-Rufer reagiert?
Es herrschte große Empörung. Die Ordner hatten schnell reagiert und den Mann noch während der Schweigeminute abgeführt. Niemand hat sich ihnen entgegengestellt, um das zu verhindern. Im Gegenteil, es wurde applaudiert, als er weggebracht wurde. Uns ist es unheimlich wichtig, dass die Fans verinnerlichen, dass sie sich aktiv gegen Rechts positionieren müssen. Wir müssen sie für das Problem sensibilisieren. Daher haben wir unter anderem Aufklärungsbroschüren im Stadion verteilt, in denen rechte Symbole als solche enttarnt werden. Für die meisten Menschen sind viele Symbole ja überhaupt nicht offen als rechtsextrem ersichtlich. Das darf man nie vergessen!

Welche Reaktionen erreichen Sie aus der BVB-Fanszene auf Projekte wie diese?
Uns schreiben viele Fans und auch Fanklubs an und fragen, wie sie sich selbst engagieren können. Das gab es in den vergangenen Jahren in dieser Form noch nicht. Damit jetzt kein falscher Eindruck entsteht: Es liegt noch viel Arbeit vor uns, wir stehen erst am Anfang. Nicht umsonst lautet die letzte Folie unseres Konzepts auch: „Wir fangen gerade erst an.“

Was entgegnen Sie Stimmen, die dem BVB vorhalten, er bereite den Nährboden für rechtsextreme Rekrutierung?
Rechtsextremismus ist leider insgesamt in der Stadt Dortmund und in Deutschland ein Problem. Laut einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung haben 9 Prozent der Deutschen ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Natürlich ist Rechtsextremismus also auch in unserer Fanszene sichtbar. Wir wollen als Verein aber aktiv in Vorleistung treten und uns mit allen Mitteln gegen Rassismus und Diskriminierung engagieren. Wir hoffen, dass wir dadurch gemeinsam mit allen Netzwerkpartnern auch innerhalb der Fanszene und der Stadt eine Menge anstoßen können.