Königsklasse und Borussia Dortmund, das bedeutet in den entscheidenden Spielen meistens Hochspannung, Dramatik, Spektakel. Wieder einmal hat der BVB den Zuschauern kein Spiel für schwache Nerven geboten, wieder einmal hat er in der Schlussphase Knock-Out-Qualitäten bewiesen. Die Schwarzgelben stehen dank des Sieges in Marseille im Achtelfinale der UEFA Champions League – und das als Erster der „Hammer“-Gruppe F.

Dabei drohte es ein trister Abend an der französischen Mittelmeerküste für die Mannschaft von Jürgen Klopp zu werden. Der Einzug in die Runde der letzten 16 Mannschaften in Europas höchster Spielklasse – er war nicht nur bedroht, er war in akuter Gefahr. Eine gute Viertelstunde vor dem Abpfiff erzielte Higuain im Parallelspiel für Neapel die Führung gegen den FC Arsenal. Zu diesem Zeitpunkt wäre der BVB ausgeschieden aus der Königsklasse, hätte nach der Winterpause in der UEFA Europa League weiterspielen müssen.

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Sarr und Großkreutz feiern den Sieg gegen Marseille. [Foto: firo]

Reihenweise gute Chancen, dieses Spiel gegen Marseille für sich zu entscheiden, hatte der BVB bis dahin schon liegengelassen. Kubas Kopfball, der im letzten Moment von der Linie gekratzt wurde, und Reus‘ Pfostenschuss (beide 57.), Lewandowskis Treffer ans Außennetz (67.) oder Hofmann, der den Ball am Fünfmeterraum nur über die Linie drücken musste, die Kugel aber auf dem holprigen Rasen nicht richtig traf – es waren echte Hochkaräter, die die Westfalen in Südfrankreich verpassten. „Wir hatten Chancen für zwei bis drei Spiele“, bestätigte Sportdirektor Michael Zorc.

Beinahe sah es danach aus, als ob sich die alte Fußballregel, nach der eine Mannschaft für das Auslassen solcher Chancen bestraft wird, durch Neapels Treffer bewahrheiten sollte. Wild gestikulierend stand der zu diesem Zeitpunkt bereits ausgewechselte Kapitän Kehl an der Seitenlinie, zeigte seinen Mannschaftskollegen mit beiden Händen die 1:0-Führung Neapels an. Roman Weidenfeller schlug vor Schock die Hände vors Gesicht. Alles schien sich gegen die Schwarzgelben gewendet zu haben.

Doch dann, als die Anspannung bei jedem BVB-Fan kaum mehr zu ertragen war, kam er. Der erlösende Moment. 87 Minuten waren gespielt, in der Hauptrolle nun der „Erlöser“: Kevin Großkreutz. Gekonnt zog Mkhitaryan in den Strafraum, leitete das Spielgerät weiter zu Schieber, der „mir den Ball perfekt auflegt“, erklärte Großkreutz nach dem Spiel.

Wie in Zeitlupe erscheint die folgende Szene, in der Dortmunds Nummer 19 an der Strafraumkante abzieht, dabei wegrutscht, den Ball aber so trifft, dass er an vier Franzosen vorbei unhaltbar im linken unteren Eck des Tores einschlägt. Einen „gewürgten Ball“, nennt Jürgen Klopp Großkreutz‘ Schuss nach dem Spiel – egal, der Ball bringt Borussia Dortmund ins Achtelfinale der Champions League.

Es war Großkreutz' erster Torschuss in diesem Spiel und wahrscheinlich einer der wichtigsten in seiner bisherigen Karriere. Zum zweiten Mal in Serie schafft es der BVB durch Großkreutz' insgesamt zweites Champions-League-Tor, die Vorrunde als Gruppensieger zu beenden. Am Ende war es ein echtes „Fotofinish“, in dem ein Dreiervergleich zwischen den punktgleichen Teams aus Neapel, London und Dortmund herhalten musste, um die knappste und wohl auch schwerste Gruppe der diesjährigen Saison zu entscheiden. Noch nie zuvor ist ein Team, wie nun Neapel, mit zwölf Punkten nach sechs Spieltagen aus der Königsklasse ausgeschieden.

„Jede der drei Mannschaften mit zwölf Punkten hätte es verdient gehabt, ins Achtelfinale einzuziehen“, sagte Kapitän Sebastian Kehl nach dem Spiel – umso besser, dass den Schwarzgelben am Ende sogar der Gruppensieg gelungen ist. Denn nun trifft man in der nächsten Runde auf einen der – etwas – schwächeren Gruppenzweiten. Was aber noch wichtiger ist: Man hat im Rückspiel das Heimrecht. Das verspricht Hochspannung, Dramatik, Spektakel.
Dennis-Julian Gottschlich