Gewiss ist nur die Ungewissheit. Zwar gibt es einen Spielplan, doch kann der keiner Planung folgen, sondern bestenfalls der nächsten Gelegenheit. Corona hat auch die Regionalliga West fest im Griff. Umso beachtlicher ist es, wie stabil unsere neu zusammengestellte U23 als Mannschaft jetzt schon performt. „Und wir werden noch besser – das können wir gar nicht verhindern“, sagt Enrico Maaßen. Auch er ist neu beim BVB, gerade einmal fünf Monate in Dortmund. Der Pandemie begegnet der Trainer in Etappen.

Die Anerkennung kam von berufener Stelle; von den Kollegen, in diesem Fall von jenen aus Münster. Nach dem 2:0 gegen die ebenfalls ambitionierten Preußen formulierten diese Anfang November: „Ihr seid aber keine typische U23.“ Enrico Maaßen dürfte diese Charakterisierung seiner Mannschaft gefallen haben. Der Trainer sieht die Seinen am liebsten untypisch, unerwartet, unvorhersehbar. So geordnet sie hinten arbeiten sollen, so variabel mögen sie vorne wirbeln. Das klappt bislang gut und erfolgreich. Die U23 von Borussia Dortmund hat sich auf Anhieb in der Spitzengruppe der Regionalliga West etabliert. 

Enrico, lass uns die Pandemie einen Moment lang beiseiteschieben: Wie zufrieden bist Du nach fünf Monaten bei Borussia Dortmund mit der rein sportlichen Entwicklung Deiner Spieler?
Wenn wir Corona einmal ausklammern, dann hatten wir bis hierhin eine super Zeit. In der Form war das unser Wunsch, aber im Detail so nicht zu erwarten. Wir sind im Sommer sowohl im Trainerteam, als auch mit einem rundum veränderten Kader in die Serie gestartet. Gemessen an dieser Ausgangssituation sind wir schnell zu einer Einheit geworden. Ein Schlüssel hierfür ist, dass sich alle Jungs einbringen und für eine gute Atmosphäre sorgen. Wir sind gierig aufs Gewinnen und zugleich gönnt der eine aber auch dem anderen etwas. Das ist eine gute Mentalität. 

Du bist mit klaren Vorstellungen hier angekommen. Wie sieht der Fußball Deiner Mannschaft in Wirklichkeit aus?
Gegen den Ball sind wir klar strukturiert und spielen sehr intensiv. Mit dem Ball sind wir sehr variabel und wandelbar – mit dem Hintergedanken, nicht starr in Systemen zu denken, sondern die Jungs prinzipienbasiert zu entwickeln. Das bedeutet, wir schaffen einen Rahmen, in dem sich die Spieler bewegen und eigene Lösungen wählen. Für den Gegner sind wir so sehr schwer zu bespielen und aus dem Spiel heraus nur sehr schwer zu knacken. 

Klingt so, als habe die Mannschaft gar keine Schwächen mehr. 
Doch, natürlich haben wir die. (lacht) Wir müssen effizienter werden. Zwei Beispiele belegen das: Gegen Bonn haben wir zehn hochkarätige Torchancen, der Gegner kommt zweimal vor unser Tor, und am Ende spielen wir 1:1. Und gegen Rot-Weiss Essen lassen wir nach der 1:0-Führung den zweiten und dritten Treffer liegen und kassieren in der 94. Minute dann den Ausgleich, wieder 1:1. Aber: Solche Erfahrungen gehören zu einer Entwicklung mit dazu.

Entwicklung ist das Stichwort. Speziell in einer U23 geht es neben dem mannschaftlichen Erfolg ja auch um den Fortschritt eines jeden Einzelnen. Stillstand ist Rückschritt. Nicht zufällig betrachtet der Trainer die beiden einzigen Unentschieden aus den ersten zwölf Punktspielen noch einmal näher, nicht etwa die zehn eingefahrenen Siege bis Mitte November... 

Enrico, was ist neben Qualität und Flexibilität speziell in dieser generell schon eng getakteten Saison wichtig?
Rotation ist wichtig, um auch mit den Kräften zu haushalten; gerade jetzt im Winter, wenn die Böden noch tiefer und schwerer werden. Du kannst aber nur rotieren lassen, wenn die Achse steht. Das tut sie. 

Mit Niklas Dams in der Abwehr, Franz Pfanne im Mittelfeld und Steffen Tigges im Sturm?
Die Drei kommen sicher nicht zufällig auf ihre Einsatzzeiten. Sie sind als Eckpfeiler sehr wichtig für unsere junge Mannschaft. Ein weiteres Plus von uns ist es, neben der gut funktionierenden Achse ohne Qualitätsverlust rotieren zu können und somit einen Großteil der Jungs auch teilhaben zu lassen. 

Das spricht auch für den Spirit in der Truppe.
Spirit und Zusammenhalt in dieser Mannschaft sind großartig. Wir performen sehr stabil. 

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Und das, obwohl es keinen Rhythmus, keine wiederkehrenden, geschweige denn gleichbleibenden, geschweige denn verlässlichen Muster gibt. Schon der Blick auf den ursprünglichen Spielplan offenbart eine gewisse Unwucht. Für die Zeit zwischen dem 5. und 27. September waren für unsere U23 sechs Punktspiele im Vier-Tages-Rhythmus angesetzt – und alle haben stattgefunden. Für den gesamten Oktober sind durch die notwendige Verlegung des Auswärtsspiels in Lippstadt von ohnehin nur vier am Ende drei Spiele für unsere U23 übriggeblieben. Ligaweit mussten 18 der bis Ende Oktober ursprünglich 120 angesetzten Spiele wegen diverser Corona-Fälle verlegt werden. 

Für den November hingegen wuchs die Anzahl an Spielen für den BVB zwischenzeitlich auf sieben an, von denen wiederum jene gegen Borussia Mönchengladbach II und Rot-Weiß Oberhausen abgesagt und verschoben werden mussten. Andere Ansetzungen gelten nur vorerst, bis zur nächsten Veränderung. Gewiss ist nur die Ungewissheit. 

Hinzu kommen die mitunter kurzfristigen Auswirkungen durch Corona und das zweifelhafte Los, dass der jeweils nächste Gegner vor der Begegnung mit unserer U23 allein qua Spielplan spielfrei hatte, grundsätzlich also sieben und im Zweifel noch mehr Tage frei hatte und entsprechend fit ist, wohingegen Maaßens Mannen auch 72 Stunden zuvor im Einsatz gewesen sein können.

Enrico, es wird schnell deutlich: Man kann für einen Moment zur Seite treten und Dinge isoliert betrachten – niemals aber wird man diese Saison und unser Leben in dieser Zeit losgelöst von der COVID-19-Pandemie besprechen können. Welchem Grundsatz im Umgang mit Corona folgst Du? 
Wir müssen in Etappen denken. Niemals zuvor war es so wichtig, dies zu tun. Es geht nicht mal von Spiel zu Spiel, sondern oft noch kleinteiliger, manchmal sogar von Tag zu Tag. Und man sieht, dass das funktioniert: Es gibt keinen verlässlichen Rhythmus, und trotzdem liefern die Jungs eine stabile Performance. Das ist wirklich außergewöhnlich. 

Du sagst es: Mal ist die eigene Mannschaft eine Woche in vorsorglicher Quarantäne, dann streut sich ein spielfreies Wochenende ein, weil beim Gegner Corona-Verdacht besteht, dann wieder spielt Ihr zwei Spiele in drei Tagen. Wie begegnet man all diesen Unwägbarkeiten, ohne ständig umplanen zu müssen? 
Indem wir jeden Tag sinnvoll nutzen; in unserem Fall auf Basis klarer Belastungsprinzipien. Wir planen immer für einen Monat im Voraus, wobei die Belastungssteuerung einen wesentlichen Aspekt der Trainingsarbeit darstellt. Jede Woche ist einem grundsätzlichen Ranking nach Farben zugewiesenen. Die Farben stehen für Intensitätsgrade. 

Wie verteilen sich die über eine Woche? 
Wir trainieren in der Wochenmitte sehr intensiv, diese Trainingseinheit kommt einem Spiel nahe. Der Vorteil bei dieser Herangehensweise: Durch die starke Belastung zur Wochenmitte konditionieren wir die Jungs auf zwei Peaks – dadurch fällt es leichter, sich auch kurzfristig auf neue Spielansetzungen einzustellen. Denn das Modell funktioniert in einer normalen Woche genauso wie in einer Englischen. 

Dennoch ist der Spielbetrieb in der Regionalliga West – anders als im Norden, Süden und Osten – mit dem neuerlichen Lockdown nicht pauschal unterbrochen, sondern laut Beschluss des Westdeutschen Fußballverbands (WDFV) vorerst ohne generelle Spielabsagen fortgesetzt worden. Der WDFV als Träger des Regionalliga-Spielbetriebs in Nordrhein-Westfalen hatte in Rücksprache mit der Landesregierung Anfang November festgelegt, dass die Regionalliga West „als Spielklasse mit professionellen Strukturen anzusehen ist und nicht in den Amateurbereich fällt“. Grundlage der Bewertung war, dass in der 4. Liga Menschen beschäftigt sind, die ihren Lebensunterhalt überwiegend mit Fußball bestreiten; heißt es in der Begründung des WDFV. 

Enrico, wie bewertest Du den Sonderweg im Westen? 
Das Wichtigste ist die Gesundheit. Solange die nicht gefährdet ist, finde ich es gut, dass wir weitermachen. Denn wir können unseren Beruf ausüben in einer schwierigen Zeit. Und es tut uns allen gut, auf dem Platz zu stehen. Aber noch einmal: Voraussetzung ist ein Hygienekonzept, das greift. Bei Borussia Dortmund haben wir ein Konzept mit sehr hohen Standards. 

Wie sehen die konkret aus? 
Wir messen jeden Tag bei Ankunft im Trainingszentrum Fieber, ziehen uns verteilt auf verschiedene Kabinen um, tragen bis zum Trainingsplatz die Maske, werden vor jedem Spiel getestet, sodass wir am Tag des Abschlusstrainings wissen, ob alle gesund sind, halten Mannschaftsbesprechungen in mehreren Etappen ab und schicken jeden Spieler oder Mitarbeiter schon bei leichtesten Symptomen in häusliche Versorgung. Diese Form der Achtsamkeit halte ich für das Mindeste – und dafür müssen wir alle eben das eine oder andere in Kauf nehmen.  

Du hast die Mannschaftbesprechung angesprochen: Wie vermittelt man mannschaftstaktische Dinge in Kleingruppen?
Das geht schon, die Jungs nehmen das super an. Es ist nicht einfach zu kommunizieren, weil wir dabei alle Masken tragen. Du siehst keine Gestik, keine Mimik, keine noch so kleine Regung. Hier geht, wie in so vielen Alltagssituationen, im Miteinander einiges verloren. Aber noch einmal: Hier geht es um unsere Gesundheit, dafür nehmen wir diese Situation gerne in Kauf. 
Autor: Nils Hotze