Es gibt den „Held von Berlin“. Das ist Norbert Dickel. Und es gibt den „Held von Auxerre“. Das ist Stefan Klos. Auch wenn er nie ein A-Länderspiel bestritten hat, war der gebürtige Dortmunder einer der besten Torhüter seiner Zeit. Und einer der beliebtesten, einer der erfolgreichsten. Weltpokalsieger, Champions-League-Gewinner, zweimal Deutscher Meister mit dem BVB. Und Klos ist eine treue Seele. Er hat in seiner Karriere nur für zwei Klubs gespielt. Der andere ist der Rangers FC, mit dem er viermal Meister und Pokalsieger wurde. Jetzt treffen seine beiden früheren Vereine aufeinander. Auch darüber wollen wir reden.

Im Ibrox-Stadium fällt am späten Abend des 24. Februar die Entscheidung über den Einzug ins Achtelfinale der Europa League. Wenn die schwarzgelbe Delegation zuvor durch den Haupteingang, vorbei an der Rezeption, die Stufen hinauf zum Ehrengastbereich des Stadions nimmt, wird ihr womöglich der Name eines gebürtigen Dortmunders ins Auge fallen. Der von Stefan Klos, in den frühen Jahren dieses Jahrtausends Mannschaftskapitän des insgesamt 55-maligen Schottischen Fußballmeisters, steht auf dem hölzernen Board, auf dem alle Mitglieder der „Hall of Fame“ aufgelistet sind. 

Der 50 Jahre alte Stefan Klos wird das Rückspiel seiner beiden Ex-Klubs interessiert aus seiner Wahlheimat in der Schweiz am Fernseher verfolgen. 637 Pflichtspiele bestritt er für Borussia Dortmund und Glasgow Rangers. Handverlesen ist die Zahl deutscher Fußballprofis, die je in solche Sphären vorgestoßen sind. Acht Profijahre für den BVB, neun für die Rangers. Dass die Zahl an Einsätzen für Borussia (339) größer ist als für Glasgow (298), liegt daran, dass er in seiner Zeit in Dortmund nur ein Spiel verpasste, im Herbst der Karriere indes mit mehreren Verletzungen zu kämpfen hatte. „In den letzten zwei Jahren habe ich kaum gespielt: Bänderriss im Knie, Kreuzbandriss, alle Bänder in der Schulter gerissen, Finger gebrochen...“

Fangen wir mit der möglicherweise unangenehmsten Frage an: Wem drückst Du die Daumen?
Ich hoffe auf richtig spannende Spiele. Der Bessere soll sich dann durchsetzen.

Und wer ist Favorit?
Ich denke schon, dass der BVB favorisiert ist, wenn beide Mannschaften in Bestbesetzung antreten können. Da sehe ich die individuelle Qualität bei den Spielern von Borussia Dortmund als höher an.

Wie sind die Rangers einzuschätzen?
Nach dem Neuanfang vor knapp zehn Jahren in der vierten Liga haben die Rangers im vergangenen Sommer ihre erste Meisterschaft seit 2011 gefeiert. Die Euphorie ist groß. Aber es ist noch nicht alles gefestigt. Außenverteidiger Nathan Patterson wechselte Anfang Januar zum FC Everton, Meistertrainer Steven Gerrard ist seit November bei Aston Villa. Aber es werden nicht die Namen, sondern der größere Wille dieses Duell entscheiden.

Welcher Faktor käme den Zuschauern zu, wenn beide Partien vor vollen Rängen ausgetragen werden dürften?
Dann hätten beide Mannschaften in ihren Heimspielen einen klaren Vorteil. In Dortmund sind Europapokalspiele immer besondere Begegnungen. Da das Rückspiel in Glasgow stattfindet, ist die Konstellation eine ganz besondere, denn auch die Rangers-Fans können Spiele beeinflussen, wenn es noch richtig um etwas geht. Für sie sind Auftritte im Europapokal absolute Highlights. Im ausverkauften Ibrox-Park zu spielen, ist ein ganz besonderes Erlebnis mit dieser Lautstärke. In Schottland hat man die Winterpause deshalb vorgezogen. 

49.252 Menschen erlebten am 18. Dezember den 1:0-Sieg gegen Dundee United. Am zweiten Weihnachtstag, dem „Boxing-Day“, waren nur noch 500 zugelassen. Die Liga verzichtete daher auf die weiteren traditionsreichen Termine rund um den Jahreswechsel, legte eine Pause bis zum 18. Januar ein. Regierungschefin Nicola Sturgeon hob bis zu diesem Datum die Teilnehmer-Beschränkungen für Veranstaltungen unter freiem Himmel auf. Es ist also davon auszugehen, dass die Rangers im Rückspiel von 50.000 Fans unterstützt werden, die so laut sind wie an kaum einem anderen Ort in Europa. Am 25. November 1999 hatten sie jedenfalls ihren Anteil an einem 2:0-Sieg gegen den BVB... 

Auf dem Aufstellungsbogen fehlt bei diesem UEFA-Cup-Spiel Dein Name. Warum?
Kahnbeinbruch. Jörg Albertz. Ein Schuss aus kurzer Distanz im Training. Seine linke Klebe ist ja bekannt. 

Und im Rückspiel?
Da lag ich im Krankenhaus, wurde am Tag vorher operiert, eine Schraube eingesetzt.

Du hast das Spiel im Fernsehen gesehen?
Ja, und ich habe dabei gedacht: Das sind diese Europapokalabende, in denen in Dortmund auch noch ganz spät Spiele entschieden oder gedreht werden. Es fehlten ja nur Sekunden für uns zum Einzug in die nächste Runde. 

Im Elfmeterschießen vergaben unter anderem Claudio Reyna und Giovanni van Bronckhorst, die eine interessante Anekdote zu einem unserer aktuellen Profis verbindet: Der eine ist der Papa, der andere der „Namensgeber“ von Giovanni Reyna. Wie war das damals mit den beiden?
Richtig gute Typen und super Fußballspieler! Wir hatten überhaupt viele gute Charaktere aus vielen Ländern. Claudio hatte noch ein Domizil in New York und sagte immer, in zehn Stunden sei er von Tür zu Tür. Da brauchte ich ja länger nach Dortmund: Erst mit dem Flieger nach Amsterdam, dann mit dem Auto nach Dortmund. Und Giovanni ist ja seit November zurück bei den Rangers als Cheftrainer.

Wann warst Du das letzte Mal in Dortmund im Stadion?
Vor Corona war ich recht häufig da, zwei- bis dreimal im Jahr. Ich verbinde es mit Besuchen bei meinen Eltern oder bei meinem Bruder, die nach wie vor in Dortmund leben. Mein ältester Sohn wohnt in Berlin. Da habe ich den BVB im Pokalfinale 2017 gegen Frankfurt gesehen. Mit dem 80. Geburtstag meines Vaters im Januar hätte ich gerne den Besuch des Freiburgspiels verbunden. Das hätte gut gepasst, ging aber nicht, da so gut wie keine Zuschauer dabei sein durften. 

Was überwiegt im Rückblick auf Deine Karriere: Nicht wie Michael Zorc und Lars Ricken nur für den Verein Deiner Geburtsstadt gespielt zu haben oder durch den nicht ganz freiwilligen Wechsel ins Ausland ganz andere Erfahrungen gemacht zu haben?
Ich trauere nichts hinterher. Wir hatten eine wunderbare Zeit in Schottland, auch wenn der Start nicht einfach war. Wir hatten schon zwei Kinder, die nur die deutsche Sprache kannten. Zwei weitere Kinder haben wir noch in Glasgow bekommen. Dort war ich später oft verletzt, was ich aus Dortmund so nicht kannte. Und ich hatte Konkurrenz, immer einen Nationaltorwart als Nummer zwei: einen Franzosen, einen Finnen, einen Norweger, einen Schotten. Mir wurde nichts geschenkt. Es war eine richtig gute Erfahrung, sowohl im Verein als auch in der Stadt und im Land. Uns hat es in Schottland richtig gut gefallen.

Dem Wechsel von Stefan Klos zu den Glasgow Rangers war im Jahr 1998 ein für einen derart verdienten Spieler unwürdiges Gezerre um Paragraphen vorausgegangen. 1994 hatte Klos seinen Kontrakt verlängert, um vier Jahre bis zum 30. Juni 1998. In der Zeit wurden beim BVB viele Verträge verlängert, nicht aber der von Stefan Klos. Der sagt: „Wenn man mir ein Vertragsangebot vorgelegt hätte, wäre ich mit hoher Wahrscheinlichkeit geblieben. Aber es gab kein Angebot. Und es ist auch nicht so, dass ein Berater etwas falsch verstanden oder unnötigen Druck aufgebaut haben könnte. Ich hatte keinen Berater. Ich habe das mit Herrn Meier selbst gemacht. Aber ich habe mir auch gesagt: Wenn du so lange beim Verein bist, und es kommt nichts, dann musst du den Verein verlassen. Ich konnte doch nicht hingehen und fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, bleiben zu können.“ Das sind die Worte von Stefan Klos. Michael Meier haben wir nicht befragt. Die beiden haben sich ausgesprochen. Es war damals die Zeit, in der der Fall Jean-Marc Bosman Transferentschädigungen auf eine neue Ebene gestellt hat, die Vereine wiederum mit Paragraph 11 ihre Rechte wahren wollten.

Paragraph 11 im Musterarbeitsvertrag des DFB: „... Werden diese Bestimmungen nach Abschluß dieses Vertrages dahingehend geändert, daß die bisherige Transferentschädigungsregel (§ 29 ff LSt) teilweise oder ganz entfällt, so verpflichtet sich der Spieler, den Vertrag unter den seitherigen Bedingungen um ein Jahr fortzusetzen, falls der Verein es wünscht.“

Klos blieb über den 30.6.1998 hinaus – aber nur bis zur Winterpause. Am 18. Dezember 1998 absolvierte er beim 3:0 über den VfB Stuttgart sein 254. und letztes Bundesligaspiel für den BVB. Nur ein einziges hatte er seit dem 6. September 1991, als er Teddy de Beer als Nummer eins ablöste, verpasst: das Saisonfinale 1995/96 nach einem Bruch des Daumens, was ihn auch die Teilnahme an der EM-Endrunde 1996 und damit den Titel Europameister kostete. 

Fehlt ein A-Länderspiel zur Abrundung der großen Laufbahn?
Während der Karriere sollte man mit nichts zufrieden sein und jedes Ziel verfolgen. Ich habe von der U15 bis zur U21 alle Jugendnationalmannschaften durchlaufen, auch die Olympia-Auswahl. Und ich war auch bei der A-Mannschaft ein paarmal dabei, weil ein Torwart verletzt war, bin aber nicht zum Einsatz gekommen. Mit dem Wechsel nach Schottland habe ich meine Chancen dann nicht erhöht. Aber ich trauere nichts hinterher. 

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Andersherum gefragt: Was war der schönste Moment bei all den Erfolgen?
Boah .. ja ... fangen wir mit dem wichtigsten Pokal an, das ist der Gewinn der Champions League. Die erste Meisterschaft mit Borussia Dortmund 1995 war ein sehr schöner Moment, aber auch große Erleichterung, es endlich geschafft zu haben. Drei Jahre vorher waren wir auf der Ziellinie abgefangen worden, und ich erinnere mich, wie Michael Zorc damals zu mir sagte: Ich weiß nicht, ob ich nochmal so nah drankomme.

Das Spiel Deines Lebens: Auxerre 1993?
Uff... Es war ein einziger Elfmeter, einer von sechs, den ich gehalten habe. Das ist keine überragende Quote. Wenn zwei von uns verschossen hätten, würden wir uns gar nicht über dieses Elfmeterschießen unterhalten. Es war bestimmt nicht das Spiel meines Lebens; wir haben ja nach 120 Minuten mit 0:2 verloren, sondern es war das Spiel, das mir und meiner Karriere einen Schub gegeben hat, weil jeder im Verein sehen konnte: Auf den kannst du dich in Stresssituationen verlassen. Ich war ja noch jung, 21, in meiner zweiten Profisaison. Der UEFA-Cup hatte zudem einen anderen Stellenwert als die Europa League heute, denn nur die Meister spielten in der Champions League. Wir waren als Vizemeister dabei, wie so viele andere namhafte Klubs in Europa, darunter Juventus Turin, unser Gegner in den Endspielen.

Ist die Rolle für den Torwart in einem Elfmeterschießen die angenehmere?
In wichtigen Spielen liegt auf den Schützen eine riesige Last. Als Spieler musst du ausblenden: Wenn ich den jetzt verschieße, bringt jeder mit mir in Verbindung, dass wir wegen mir ausgeschieden sind. Jeder weiß noch heute, dass Lothar Matthäus in einem Pokalfinale, das fast 40 Jahre zurückliegt, seinen letzten Elfmeter für Borussia Mönchengladbach verschossen hat gegen seinen neuen Verein Bayern München. Und jeder erinnert sich an Uli Hoeneß, 1976 im EM-Finale. Matthias Sammer war der technisch beste Spieler, mit dem ich je zusammengespielt habe. Aber er wäre vor einem Elfmeterschießen wohl als Erster in der Kabine gewesen.

Stefan Klos hält. Diesen einen Schuss von Stéphane Mahé. Und er hält so viele Bälle in seiner großen Zeit beim BVB. Unaufgeregt erledigt er seinen Job. Der Angriff gewinnt Spiele, die Abwehr gewinnt Meisterschaften, heißt es. Stefan Klos ist der Rückhalt der Abwehr. Nach dem so knapp verpassten Titel 1992 hält er 1995 und 1996 die Meisterschale hoch und gewinnt 1997 mit dem BVB die höchsten Trophäen: Champions League und Weltpokal. Mehr geht nicht im Vereinsfußball. 

Nach der Karriere ist es ruhig um Dich geworden. Hast Du Dich bewusst aus dem Fußball und aus der Öffentlichkeit zurückgezogen?
Ich war 18 Jahre lang jeden Samstag und häufig unter der Woche unterwegs. Es ist ja nicht nur der Tag, an dem du Fußball spielst. Du reist an, du fährst wieder zurück. Die Hotels sehen alle gleich aus. Es macht fast keinen Unterschied, ob du in Mailand, Madrid oder in Lissabon übernachtest. Nach so vielen Jahren bist du dann nicht mehr so dabei, wie zehn Jahre vorher. Ich hätte nicht direkt in den Trainerjob gehen können, sondern brauchte Abstand. 

War auch die Zeit gekommen, der Familie etwas zurückzugeben?
Als Fußballer bist du ständig unterwegs. Meine Frau hat sich um alles gekümmert, vier Kinder und Hunde, und für eine schöne Atmosphäre zuhause gesorgt. Ich habe es dann sehr genossen, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen und die Kinder groß werden zu sehen. Wäre ich im Fußball geblieben, wäre dies mit Umzügen verbunden gewesen und sehr wahrscheinlich mit mehr als dem einen während meiner aktiven Karriere. Trainer bleiben ja nie lange. Ich wollte nicht wegen des Jobs irgendwo hin, wo man sonst nie hingegangen wäre. Wir haben uns dann dazu entschieden, in die Schweiz zu gehen. Die Kinder waren im Englischen – oder man muss besser sagen: im Schottischen – besser als im Deutschen, auch wenn wir zuhause Deutsch gesprochen haben. In der Nähe von Luzern – ich kannte das noch von unseren Trainingslagern – haben wir eine internationale Schule gefunden, wo der Unterricht teilweise auf Deutsch, teilweise auf Englisch lief. Wir sind jetzt fast 14 Jahre da. Die ältesten Kinder sind schon ausgezogen. Die Jüngste macht gerade ihr Abitur. Alle werden flügge. 

Und was machst Du?
(lacht) Ich gebe Dir ein Interview.
Autor: Boris Rupert 
Fotos: imago images