Es ist ca. 20.25 Uhr, das Spiel von Borussia Dortmund gegen Bayern München ist vor wenigen Minuten abgepfiffen worden. Doch kaum einer hat das Epizentrum des SIGNAL IDUNA PARK verlassen. Die Südtribüne ist voll. Immer noch. Der BVB hat gerade eine schmerzvolle 0:3-Niederlage gegen den Erzrivalen aus München einstecken müssen, doch die Südtribüne singt. Sie klatscht. Sie feiert ihre Mannschaft, die sich vor ihr unten auf dem Rasen versammelt hat.

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Blick nach Vorne: Lukasz Piszczek.

„Und wenn du das Spiel verlierst, ganz unten stehst, dann steh’n wir hier und sing’ Borussia, kämpfen BVB“, schallt es tausendfach von der Tribüne. Gesungen nach der Melodie des Hits „Supergirl“ der Rockband Raemonn. Es ist ein außergewöhnlicher Moment, in dem die Fans ihre Mannschaft aufbauen wollen. Sie wollen ihr Mut machen, um den Blick nach vorne zu richten. „Das war eine richtig geile Aktion von den Fans“, sagte Jonas Hofmann nach dem Spiel, „das zeigt, wie sehr sie auch nach so einer bitteren Niederlage hinter uns stehen“.

Eine bittere Niederlage, die der BVB nicht verdient hatte – schon gar nicht in dieser Höhe. Über 80 Minuten agierte man – trotz einer vollkommen neu zusammengewürfelten Abwehrreihe – auf Augenhöhe mit dem FC Bayern. Die Defensive hielt dem bayerischen Offensiv-Ensemble stand, und der schwarzgelbe Angriff zelebrierte ein ums andere Mal das furiose und blitzschnelle Umschaltspiel, für das er so gefürchtet ist.

Trotz höheren Ballbesitzes (60%) auf Seiten der Münchner kreierte die Borussia mehr und auch die besseren Chancen: Lewandowski (3.), Blaszczykowski (21.), Reus (29.) oder Bender (51.) hätten die Führung besorgen können. Mkhitaryan (69.) und wiederum Reus (73.) hätten auch nach dem 0:1 noch zurückschlagen können. „Uns mangelt es an der Zielstrebigkeit“, analysierte Roman Weidenfeller das Problem der Mannschaft,  denn kein Ball fand den Weg ins Tor.

Auf der anderen Seite fand er ihn. Ausgerechnet der Ex-Borusse Mario Götze schrieb die entscheidende Geschichte dieses Spiels. Nach seinem Führungstreffer musste der BVB alles nach vorne werfen – und dabei logischerweise Lücken in der Defensive in Kauf nehmen. Die Bayern nutzten dies mit zwei blitzsauber vorgetragenen Kontern. Auch wenn Dante vor dem 2:0 ein klares Foul an Reus beging und es so Robben erst ermöglichte, in Richtung BVB-Tor zu stürmen.

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Debüt im BVB-Trikot: Manuel Friedrich.

„Das kann man ja keinem erzählen, das glaubt dir ja niemand“
Aber dieses Spiel schrieb auch andere Geschichten. Zum Beispiel die von Manuel Friedrich. „Vor zwei Wochen habe ich mich noch zu Hause auf dem Laufband fithalten müssen“, beschreibt er seinen Weg vom vertragslosen Profi zum BVB-Startelf-Spieler gegen die Bayern, „das kann man ja keinem erzählen, das glaubt dir ja niemand.“

Oder die von Lukasz Piszczek. Seit dem Champions-League-Finale im Mai hatte er kein Pflichtspiel bestreiten können. Genau 182 Tage war das her. In der 79. Minute schickte der Trainer den Polen erstmals wieder aufs Feld. „Es ist toll, dass ich heute endlich wieder spielen konnte“, sagte Piszczek, „ich bin froh, dass diese lange Leidenszeit endlich hinter mir liegt.“ Richtig freuen konnte er sich dennoch nicht: „Das Ergebnis stand heute an erster Stelle, deshalb können wir nicht zufrieden sein.“

Der Fokus der Mannschaft muss sich nun sofort nach vorne richten. Es gilt, das Spiel gegen die Bayern so schnell wie möglich abzuhaken, denn „am Dienstag steht das vielleicht noch wichtigere Spiel gegen Neapel an“, sagt Roman Weidenfeller. Nur drei Punkte zählen dann für den BVB, um reelle Chancen auf das Achtelfinale der UEFA Champions League zu behalten. „Wir werden alles dafür geben und werden die drei Punkte hier behalten“, gibt sich Rekonvaleszent Piszczek kämpferisch. Auch die Südtribüne wird wieder alles für die Mannschaft geben. Der schwarzgelbe Kern, der hofft, dass er dann die erste – umgedichtete – Strophe des Raemonn-Songs singen kann: „Und wenn du das Spiel gewinnst, ganz oben stehst, dann steh’n wir hier und sing’ Borussia, Borussia BVB.“

Dennis-Julian Gottschlich