Die Szene entbehrte nicht einer gewissen Symbolik. Als die Mannschaft am späten Vormittag in den Flieger zurück nach Dortmund einsteigen wollte, und es sich auf der Treppe hinauf in die Boeing 737 staute, öffnete der Himmel seine Schleusen. Es passte irgendwie ins Bild: Wie begossene Pudel waren die Kicker schon zwölf Stunden zuvor vom Platz gegangen: Sie hatten nach einem kuriosen Spielverlauf noch die Chance auf einen Punktgewinn, reisten aber mit leeren Händen nach Hause.

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Kann es nicht fassen: Kevin Großkreutz

Aus Neapel berichtet Boris Rupert
"In dem Spiel war alles drin, was wir nicht gebraucht hätten. Es gab in der Vergangenheit schon einige kuriose Spiele, aber so etwas habe ich auch noch nicht erlebt", fasste Sven Bender treffend die 90 Spielminuten von Neapel zusammen. Es gab zwei Schlüsselszenen.
Nach gut 20 Minuten, in einer Phase, in der Borussia Dortmund endlich etwas zielstrebiger im Spiel nach vorn auftrat, passsicherer agierte und einen Fuß drin hatte in dieser hart umkämpften Partie, musste Neven Subotic nach einem Schlag ins Gesicht außerhalb des Platzes behandelt werden. Mannschaftsarzt Dr. Markus Braun und die Physiotherapeuten versorgten die Platzwunde oberhalb des Auges, doch der Vierte Offizielle, Venâncio Tomé, verweigerte dem Abwehrspieler zunächst die Rückkehr auf dem Rasen: Auf dem Pflaster war nach Aussage von Jürgen Klopp noch ein Blutfleck zu sehen.
Also mussten Braun und Co. nochmal ran. Neues Pflaster, und dann gab es endlich grünes Licht vom Vierten Offiziellen und vom Schiedsrichter, der Neapel parallel gestattete, einen Eckball auszuführen, während Subotic in Richtung eigenen Strafraum rannte. In dem Moment, als er dort ankam, senkte sich eine Flanke über seinen Kopf hinweg, Schmelzer verlor das Kopfballduell mit Higuain, und Neapel bejubelte das 1:0.

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Sven Bender:

Die Situation war sicherlich unglücklich, wenn auch nicht entscheidend, denn die kurz ausgeführte Ecke und die daraus resultierende Flanke hätten durchaus unterbunden werden können, gleichwohl eine geordnete Abwehr möglicherweise bessere Chancen gehabt, das Kopfballgegentor zu verhindern.
Klopp jedenfalls war in Rage, beschwerte sich beim Vierten Offiziellen. "Das Gesicht, das ich da gemacht habe, ist mir echt peinlich", meinte der selbstkritische Coach hinterher, die Worte waren offenbar nicht so harsch. Denn "der Vierte" wollte den Vorfall offenbar auf sich beruhen lassen, doch der Linienrichter informierte seinen Chef, und Referee Proenca verwies Klopp aus dem Innenraum. "Ich habe die Situation mit Neven Subotic an der Außenlinie in dem Moment anders

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Jürgen Klopp musste auf die Tribüne.

gesehen, als sie tatsächlich war. Ich dachte, der Schiedsrichter hätte warten müssen, bis Neven wieder da ist. Das muss er aber nicht." Klopp entschuldigte sich direkt nach Schlusspfiff beim Schiedsrichtergespann.
Und er nahm den folgenden Spielverlauf und damit die Niederlage auf seine Kappe. "Die Emotionen, die ich herein gebracht habe, haben aus einem von uns nicht gut geführten Spiel ein hektisches gemacht."
Da schloss er ausdrücklich auch den Platzverweis von Roman Weidenfeller mit ein, der zweiten Schlüsselszene in dieser Begegnung. Sekunden zuvor hatte der BVB den zweiten Rückschlag zu verkraften gehabt, als Mats Hummels mit eingeklemmtem Ischiasnerv wie ein Neunzigjähriger zur Außenlinie schlurfte und sich auswechseln lassen musste. Es lief da bereits die Nachspielzeit. Sven Bender ging zurück in die Innenverteidigung, Jakub Blaszczykowski auf die Doppelsechs, und es waren nur noch Sekunden zu spielen bis zum Halbzeitpfiff, bis zu einer Neujustierung der Teamstatik, als ein verhängnisvoller Fehlpass und die Fehleinschätzung, auf Abseits spielen zu wollen, Roman Weidenfeller zu einer verhängnisvollen Rettungstat nötigten. Der Keeper rannte raus aus seinem Tor, kam zwar auch einen Sekundenbruchteil vor Higuain an den Ball, reflexartig jedoch mit der Hand. Damit vereitelte er regelwidrig eine Torchance des Gegners, die Rote Karte war zwangsläufig - und Weidenfeller bedient: "Den Letzten", sagte er, "beißen die Hunde."

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Roman Weidenfeller spielt den Ball außerhalb des Strafraums mit der Hand. [Fotos: firo]

Weidenfeller: "Den Letzten beißen die Hunde..."
"In der zweiten Halbzeit haben wir mit einem Mann weniger recht gut gespielt und uns ordentlich verkauft", fasste Sven Bender den Rest der Partie zusammen, in der Borussia zunächst das 0:2 kassierte - und der chancenlose Weidenfeller-Vertreter Mitch Langerak dabei gegen den Pfosten knallte, die Spitzen beider Schneidezähne und seine "Serie" (zuvor elf Pflichtspiele, elf Siege) einbüßte. "Die Niederlage tut mehr weh als die Zähne", meinte der Australier später: "Wir haben unseren Trainer verloren, wir haben Roman verloren. Das waren die entscheidenden Momente in diesem Spiel." Das hielt Langerak mit phantastischen Reflexen sogar offen. Soweit offen, dass in den letzten Minuten "Malaga reloaded" möglich gewesen wäre: Reus und (der sehr starke) Aubameyang erzwangen Zunigas Eigentor und damit eine Schlussphase, "in der wir sehr gelitten haben", so Neapel-Coach Benitez. Mit Herz und Leidenschaft brachten zehn Dortmunder elf Napolitaner ins Wanken, aber nicht mehr zu Fall.
Mit null Punkten flog der Vorjahresfinalist zurück nach Dortmund. In zwei Wochen treffen mit Borussia Dortmund und Olympique Marseille zwei Mannschaften aufeinander, die fast schon mit dem Rücken zur Wand stehen. "Champions League", hatte Hans-Joachim Watzke vor dem Spiel in Neapel gesagt, "ist keine klassische Saison. Das ist wie ein Pokalwettbewerb. Da musst du von Anfang an voll da sein."

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Mitch Langerak prallte beim 0:2 gegen den Pfosten und brach sich beide Schneidezähne ab.

Das aber war Borussia in Neapel nicht. "In der ersten Halbzeit haben wir nicht das gespielt, was wir uns vorgenommen hatten", sagte Sven Bender offen und ehrlich - und fügte kämpferisch hinzu: "Wir müssen am zweiten Spieltag richtig einen raushauen, denn wir wissen seit letztem Jahr, wie geil die Champions League ist." Noch ist nichts verloren, weiß auch Jürgen Klopp: "Wir müssen uns besser präsentieren, und wir müssen besser spielen. Dann können wir auch in dieser Gruppe erfolgreich sein."