Als die Borussen nach dem „Wahnsinn von Anfield“ mit hängenden Köpfen die Kabine verließen, haben sie womöglich eine Inschrift auf der gegenüber liegenden Wand übersehen, die der FC Liverpool an die Seinen richtet. Eine Botschaft, die der tragische Verlierer eines phantastischen Fußballspiels durchaus als Motto mitnehmen könnte ins Saisonfinale: „Hold Your Heads Up High“. Kopf hoch, Jungs!

Die erste Niederlage im Jahr 2016, die erste Niederlage überhaupt in dieser Saison, die so richtig, richtig weh tut, wird die Mannschaft verarbeiten müssen. „Jetzt gilt es, damit umzugehen“, sagte Thomas Tuchel nach dem 3:4 an der Anfield Road: „Das ist für uns alle eine Zeit, in der wir uns neu kennenlernen. Das war ein Meilenstein, den wir nicht gepackt haben. Es wird interessant sein zu beobachten, wie war als Gruppe damit umgehen. Spätestens am Mittwoch ist der Termin, an dem wir diese Enttäuschung in Trotz und Energie umwandeln und dort das nächste große Ziel erreichen müssen.“ Das Finale im DFB-Pokal.

„Eine Erklärung würde dazu führen, dass Dinge logisch wären“

Bild
Shinji Kagawa im Kopfballduell

2:0 und 3:1 hatte seine Mannschaft durch Tore von Henrikh Mkhitaryan, Pierre-Emerick Aubameyang und Marco Reus beim FC Liverpool geführt, bis zur 66. Minute nicht nur wie der sichere Sieger des Spiels ausgesehen, sondern fest im Halbfinale stehend. Niemand im Stadion hätte zu diesem Zeitpunkt ein 4:3 für die „Reds“ noch für möglich gehalten. Aber so ist der Sport. „Wir gratulieren Liverpool. Sie haben es verdient“, anerkannte Tuchel nach einem Spiel, über das man in Jahrzehnten noch reden wird. Jedenfalls in Liverpool. „Wir hatten 2013 das Glück, in ähnlicher Form den FC Malaga zu schlagen, diesmal war es nicht auf unserer Seite“, haderte Roman Weidenfeller, der bei keinem der vier Gegentore eine Abwehrchance besaß.

„Wir konnten es nicht wie Champions gewinnen und sollten uns benehmen wir Champions“, sagte Tuchel: „Wir müssen wieder aufstehen. Das Ziel war weiterzukommen. Das müssen wir wegstecken. Wir hatten es lange in  der Hand.“

Wie kann eine Mannschaft nach 2:0- und 3:1-Führung noch verlieren? Zuletzt passierte dem BVB so etwas vor über 20 Jahren, am 29. August 1995 in Rostock (2:3 nach 0:2) – übrigens einer mit allen Wassern gewaschenen Meister-Elf. „Eine Erklärung würde dazu führen, dass Dinge logisch wären“, antwortete Tuchel. Doch logisch war in diesem irren Finish eben wenig bis nichts. Die wilde Fahrt, die Jürgen Klopp seinem Team verordnete, geht in neun von zehn Fällen nach hinten los. Aber das hatten wir ja schon mal, 1966, als „Fischken“ Multhaup seiner Mannschaft sagte: „In neun von zehn Fällen gewinnt Liverpool, aber heute, meine Herren...“

Damals siegte Dortmund. Diesmal gewann Liverpool.

„Wir hätten einfach den Ball sauber laufen lassen und das Spiel kontrollieren müssen“, haderte Mats Hummels: „Man muss jeden Ball haben wollen und mit allem, was man hat, dagegenhalten. Doch das war bei uns dann nicht mehr der Fall.“

„Alles hat sich perfekt angefühlt für eine lange Zeit. Ich war stolz auf meine Mannschaft und auf das, was ich gesehen habe“, beschrieb Tuchel: „Das ist das, was im Fußball passieren kann, was auf dem höchsten Level im Sport passieren kann. Das Spiel war großartig – mit einem ganz bitteren Ende für uns.“

„Das Spiel war großartig – mit einem ganz bitteren Ende für uns“

Bild
Noch in Jahrzehnten wird man über dieses Spiel reden: Liverpool 4, Dortmund 3

„Können wir die großen Spiele nicht mehr gewinnen?“, war die unausgesprochene Frage, die Mannschaft und Offizielle auf dem Rückflug nach Dortmund beschäftigte. „Natürlich spielen wir auf Ergebnisse, und das Ziel war es, in die nächste Runde zu gehen“, so Tuchel. Nach den verlorenen Endspielen 2013, 2014 und 2015 mag sich Liverpool in diese Reihe einordnen. Die Stimmung war entsprechend gedrückt. Doch es gab auch nach 2012, dem Doublesieg mit dem 5:2 im Finale gegen Bayern München, noch große Siege: Malaga und Madrid beispielsweise auf dem Weg ins Champions-League-Finale, München im Pokal-Halbfinale 2015.

Chancen auf große Siege gibt es auch noch in dieser – trotz Liverpool – phänomenal verlaufenden Saison. Am kommenden Mittwoch in Berlin. Und vielleicht am 21. Mai erneut im Olympiastadion.

Hold Your Heads Up High. Und holt Euch den Pokal!
Boris Rupert