Lukasz Piszczek steht nicht gern im Mittelpunkt, doch vor dem letzten Saisonspiel ging es nicht anders: Piszczek beendet seine Profi-Karriere und wurde nach elf Jahren in Schwarzgelb verabschiedet. Jetzt geht es zurück in die polnische Heimat. Dort will er mit Freunden bei seinem Heimatverein LKS Goczalkowice spielen und sich um seine Nachwuchs-Akademie kümmern.

Vor dem Anpfiff überreichten ihm Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, Sportdirektor Michael Zorc und Lizenzspieler-Leiter Sebastian Kehl unter dem Applaus der Mannschaftskollegen einen großen Blumenstrauß und ein Bild. Darauf zu sehen: Lukasz Piszczek, wie ihn seine Mannschaftskollegen nach dem DFB-Pokalfinale hochleben ließen, dazu die Worte „Für immer einer von uns!“. „Du hast Dich in den Geschichtsbüchern von Borussia Dortmund verewigt“, dankte ihm Stadionsprecher Nobby Dickel über die Lautsprecher. Mehrmals musste Piszczek tief durchatmen. Schließlich klatschte er jeden ab, den er sah, und verschwand mit einem „Auf geht's“ in der Kabine. Es sollte schließlich noch Fußball gespielt werden an diesem Samstagnachmittag, und er steht nicht gern im Mittelpunkt.

Seit 2010 ein Borusse 

Es gibt viele Bilder aus der BVB-Karriere von Lukasz Piszczek: als Arbeiter auf der rechten Abwehrseite, als Vizekapitän, der die Mannschaft auf den Platz führt, bei Toren und Rettungstaten, mit Meisterschale und Pokal. Eines der eindrücklichsten Bilder in seiner schwarzgelben Zeit ist auch eines der jüngsten: Nach dem Pokalfinale in Berlin in der vergangenen Woche übermannten ihn die Gefühle. Nach und nach kamen die Mannschaftskollegen zu ihm, nahmen ihn in den Arm und warfen ihn schließlich in die Luft. 

„Ich freue mich sehr. Ich habe immer gesagt, dass ich den Vertrag verlängert habe, weil ich meine Karriere mit einem Titel beenden möchte. Heute haben wir das geschafft. Ich bin sehr stolz auf die Mannschaft. Das waren Emotionen pur“, sagte Piszczek, als seine Mitspieler ihn wieder auf den Boden ließen. „Ich wusste, dass meine Karriere langsam zu Ende geht. Ich konnte mir das nie vorstellen. Danke an die Mannschaft für die Leistung. Den Tag heute werde ich für mein ganzes Leben mitnehmen. Das war besonders für mich, das war einfach toll.“

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Über die Stationen LKS Goczalkowice, Gwarek Zabrze, Zaglebie Lubin in seiner polnischen Heimat sowie Hertha BSC in Deutschland war er ins Ruhrgebiet gekommen. Fast auf den Tag genau vor elf Jahren begann das Kapitel BVB für den Abwehrspieler, als am 19. Mai 2010 vermeldet wurde: „BVB verpflichtet Lukasz Piszczek“. „Lukasz hat sich sehr gut entwickelt und ist vielseitig einsetzbar“, erklärte BVB-Sportdirektor Michael Zorc damals, nachdem er mit ihm einen Drei-Jahres-Vertrag abgeschlossen hatte.

In den folgenden Jahren entwickelte sich der gelernte Stürmer, den der damalige Hertha- und spätere BVB-Trainer Lucien Favre erstmals in der Abwehr einsetzte, zu einem der besten Rechtsverteidiger der Welt. Als gelerntem Offensivspieler kam ihm das moderne Anforderungsprofil eines Außenverteidigers entgegen, denn auf der Position geht es nicht mehr nur darum, gegnerische Angriffe zu unterbinden. „Er ist die Triebfeder für unser Spiel“, lobte der ehemalige BVB-Trainer Jürgen Klopp, der in Piszczek den Idealtypus eines Rechtsverteidigers sah.

„Mein Gehirn speichert alles ab, was mit Fußball zu tun hat. Nach jedem Spiel mache ich meine persönliche Analyse und notiere mir, was ich gut gemacht habe – aber auch, was nicht so gut war“, erklärte Piszczek. Sehr viel war gut in den vergangenen Jahren. In 382 Spielen trug er das schwarzgelbe Trikot und schoss 19 Tore. Mit 54 Einsätzen ist er Champions-League-Rekordspieler des Vereins (1 Tor). Als Leistungsträger wurde er zweimal Deutscher Meister (2011, 2012), dreimal DFB-Pokalsieger (2012, 2017, 2021) und holte dreimal den Supercup (2013, 2014, 2019). Wie Marcel Schmelzer stand er zwischen 2011 und 2017 sechsmal in Serie in einem großen Finale, darunter 2013 das Endspiel in der UEFA Champions League. Insgesamt nahm Piszczek an acht großen Finals teil, davon sieben mit dem BVB. Sowohl sein erstes als auch sein letztes Pflichtspiel in Schwarzgelb absolvierte er gegen Bayer Leverkusen.

Der fast 36-Jährige war mehr als ein Jahrzehnt eine Institution auf der rechten Dortmunder Abwehrseite, unaufgeregt verrichtete er an der Außenlinie seine Arbeit. „Wie wichtig Piszczu in den vergangenen Jahren war, kann man gar nicht in Worte fassen“, sagte Trainer Edin Terzic nach dem Pokalgewinn. „Piszczu ist mein Held, mein ganz persönlicher Held. Er ist auf den letzten Metern seiner Karriere ein solcher Stabilisator für uns“, erklärte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. „Das, was er da auf der rechten Seite in den letzten Wochen abgeliefert hat, ist großartig. Der Junge ist seit 2010 bei uns. Das ist eine tolle Geschichte.“ 

Musterprofi und Vorbild

Der ehemalige Nationalspieler Polens war aber nicht nur auf dem Platz eine Führungsfigur, sondern auch abseits davon. Piszczek war zwischenzeitlich Vizekapitän und Mitglied des Mannschaftsrats beim BVB. „Wenn ein junger Spieler einen Tipp braucht, dann helfe ich gerne“, sagte er. „Piszczu ist ein absoluter Musterprofi und damit auch ein Vorbild gerade für unsere vielen jungen Spieler. Er hat sich in seiner Zeit beim BVB sowohl sportlich als auch von seiner Persönlichkeit zu einem sehr angesehenen Führungsspieler entwickelt“, so Zorc anlässlich einer von insgesamt sechs Vertragsverlängerungen beim BVB. 

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„Ich mag Stabilität in meinem Leben. Es war 2010 persönlich schon ein schwerer Schritt, von Hertha wegzugehen. Dortmund musste ich einfach machen. Und warum sollte ich vom BVB weggehen? Ich bin doch schon bei einem großen Verein. Um Dortmund zu verlassen, hätte eine Menge passieren müssen“, erklärte Piszczek im vergangenen Juni im kicker anlässlich seiner letzten Vertragsverlängerung.

Mit seinem Arbeitsethos, seiner Bodenständigkeit, seiner Hilfsbereitschaft und seiner Unaufgeregtheit passt Piszczek zur Stadt und Region. „Ich bin zwar kein gebürtiger Dortmunder, doch dieser Verein und diese Fans sind mir über die Jahre so sehr ans Herz gewachsen, dass ich mich seit Jahren als echter Borusse fühle und nie im Ansatz den Wunsch verspürt habe, den BVB verlassen zu wollen“, hatte er schon 2018 gesagt und kündigte an: „Ich möchte meine Karriere in Dortmund beenden.“ Jetzt ist dieser Moment gekommen. Danke für die schöne Zeit, Piszczu!
Christina Reinke