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Auf der Achterbahn in die Königsklasse
Nach vier Niederlagen in den ersten vier Spielen des Jahres 2025 trennt sich Borussia Dortmund vom bisherigen Cheftrainer. „Wir schätzen Nuri Sahin und seine Arbeit sehr, haben uns eine lange Zusammenarbeit gewünscht und hatten bis zuletzt die Hoffnung, dass wir gemeinsam die sportliche Wende schaffen“, sagt Lars Ricken am 22. Januar, dem Tag nach der 1:2-Niederlage beim FC Bologna in der UEFA Champions League, und fügt hinzu: „Leider haben wir den Glauben daran verloren, in der gegenwärtigen Konstellation noch unsere sportlichen Ziele erreichen zu können. Diese Entscheidung tut mir persönlich weh, aber sie war nach dem Spiel in Bologna nicht mehr vermeidbar.“ Die Trennung erfolgt im Guten. „Ich wünsche diesem besonderen Verein alles Gute“, bekräftigt Sahin, der als Spieler eine Ära bei Borussia Dortmund geprägt hat. Das nötige Quäntchen Glück ist ihm auf seiner zweiten Station als Cheftrainer nicht hold gewesen.
Für drei Spiele übernimmt U19-Trainer Mike Tullberg das Team und haucht ihm Leben ein. „Vor zehn Tagen, als er kam, waren wir eine Mannschaft, die ein bisschen tot war“, sagt Emre Can nach diesen drei Partien, einem 2:2 gegen Werder Bremen, das nach 70-minütiger Unterzahl als Teil-Erfolg zu werten ist, sowie einem 3:1 gegen Donetsk und einem 2:1 in Heidenheim.
Parallel arbeitet die sportliche Leitung an der Verpflichtung eines erfahrenen Cheftrainers und findet die Lösung in Niko Kovac. „In unserer Situation ist ein externer Input extrem notwendig durch einen erfahrenen Trainer von außen, weil ich der Überzeugung bin, dass Weiterentwicklung damit einhergeht“, erläutert Ricken. Und Kovac krempelt vom ersten Tag an die Ärmel hoch: „Nur derjenige, der arbeitet, wird was kriegen. Für wenig gibt’s nicht viel. Ich bin ein Freund von viel ist mehr.“ Die Premiere aber geht in die Hose. Die als „Endspiel um Platz vier“ apostrophierte Partie gegen den VfB Stuttgart endet vier Tage nach Kovacs Amtsübernahme mit einer 1:2-Heimniederlage. Statt nach Punkten mit den Schwaben gleichzuziehen, liegen nach dem 21. Spieltag sechs Zähler und sechs Plätze zwischen dem Tabellenelften und -fünften.
Während sich die Leistungen in der UEFA Champions League stabilisieren – in den Play-offs setzt sich Schwarzgelb mit 3:0 (auswärts) und 0:0 (zuhause) gegen Sporting Lissabon durch, im Achtelfinale folgt einem 1:1 im Hinspiel ein 2:1-Auswärtssieg bei Lille OSC –, gerät der Start des neuen Trainers in der Bundesliga zäh. Nach einem 0:2 in Bochum ist Platz vier sieben Punkte entfernt. Hoffnung, dass die Mannschaft endlich in der Spur ist, keimt auf nach einer 6:0-Gala gegen Union Berlin mit vier Toren von Serhou Guirassy und vier Vorlagen von Pascal Groß sowie einem soliden 2:0-Erfolg beim FC St. Pauli. Doch in den ersten sechs Kovac-Wochen ist Borussia Dortmund noch ein sehr fragiles Gebilde. Geradezu erschütternd ist die Leistung bei der 0:1-Heimniederlage gegen den FC Augsburg. Kovac, der sich bis dahin stets schützend vor seine Schützlinge gestellt hat, übt massive Kritik: „Keine Chancen kreiert, keine Torgefahr, keine Aggressivität, keine Intensität, keine schnelle Ballzirkulation. Unterm Strich haben wir das bekommen, was wir gezeigt haben: nämlich nichts.“
Die tabellarische Situation spitzt sich Mitte März noch weiter zu. Der BVB reist als Tabellenzehnter zum Sechsten nach Leipzig, möchte den Rückstand mit einem Auswärtssieg von vier auf einen Zähler verkürzen, liegt jedoch nach 47 gespielten Minuten mit 0:2 zurück, bäumt sich erst dann auf, schießt noch 21-mal (insgesamt 26 Abschlüsse) aufs Tor der Sachsen, scheitert aber an den herausragenden Paraden des Torhüters Peter Gulacsi. Nach sechs Ligaspielen lautet die Bilanz von Niko Kovac: zwei Siege, vier Niederlagen. Platz vier ist jetzt sogar zehn Punkte entfernt.
Was folgt, ist ein Schlussspurt, wie es ihn noch nie gegeben hat in 62 Jahren Fußball-Bundesliga. Erstmals schafft es eine Mannschaft, die nach dem 27. Spieltag in der unteren Tabellenhälfte steht, noch auf den vierten Platz. Borussia Dortmund sorgt für ein Novum – auf das man nicht stolz ist. Nur erleichtert.
Die Aufholjagd beginnt mit einem 3:1-Sieg gegen den 1. FSV Mainz 05, der zu diesem Zeitpunkt Rang vier belegt. Beim Sportclub Freiburg, dem nächsten direkten Konkurrenten, folgt sogar ein 4:1-Erfolg und in München, beim FC Bayern, immerhin ein 2:2. „Es fühlt sich komisch an. Wir nehmen den einen Punkt mit, obwohl wir die drei unbedingt brauchten“, sinniert Emre Can.
Vor und nach München ist nochmal Champions League. Im Viertelfinal-Hinspiel geht die Mannschaft mit 0:4 beim FC Barcelona unter, schnuppert indes nach einer herausragend guten Leistung im SIGNAL IDUNA PARK an einer Sensation. Am Ende stehen „nur“ ein 3:1-Erfolg gegen Spaniens Champion sowie die Punkte 17 und 18, die Borussia Dortmund zur „Fünfjahresswertung“ der UEFA beisteuert und damit in der Saison 2024/25 der erfolgreichste deutsche Teilnehmer ist vor München (17 Zähler), Frankfurt (15), Leverkusen (11), Heidenheim (9), Hoffenheim und Stuttgart (je 7) sowie Leipzig (2). Bei der Berechnung dieser Wertung gibt es für einen Sieg zwei Zähler, für ein Unentschieden einen Punkt.
Zurück in die Bundesliga. Angesichts von 14:6 Torschüssen hört sich der 3:2-Erfolg gegen Borussia Mönchengladbach knapper an, als der Spielverlauf tatsächlich gewesen ist. Ebenfalls mit 3:2 siegt der BVB bei der TSG Hoffenheim. Das aber haarscharf. Schwarzgelb lässt einen Elfmeter liegen und biegt mit einer dünnen, aber verdienten 2:1-Führung in die Schlussphase ein, die jedoch nur bis zum Beginn einer am Ende 13-minütigen Nachspielzeit hält. Nach dem unnötigen 2:2 schmeißt Borussia nochmal alles nach vorne und bejubelt tatsächlich durch Waldemar Antons Treffer in der fünften Minute der Nachspielzeit einen spektakulären Dreier. Borussia Dortmund ist erstmals seit Weihnachten zurück auf Rang sechs, der zumindest die Teilnahme an der UEFA Conference League bedeuten würde.
4:0 gegen Wolfsburg! Das nächste Ausrufezeichen. Für 24 Stunden rückt Schwarzgelb sogar auf Rang vier vor. Freiburg, als Vierter, ist nach Abschluss des 32. Spieltags nur noch einen Zähler entfernt, Frankfurt (auf Platz drei) noch fünf. Im letzten Auswärtsspiel der Saison geht es zum vorjährigen Doublesieger Bayer Leverkusen, und Schwarzgelb erwischt einen schwachen Start, kann sich bei Gregor Kobel bedanken, dass man nach einer halben Stunde nicht höher als mit 0:1 im Hintertreffen liegt, und bei Julian Brandt, der die erste Dortmunder Torchance zum fast postwendenden Ausgleich nutzt. Julian Ryerson stellt den Spielverlauf mit dem 1:2 (43.) bis dahin auf den Kopf. Nach dem Seitenwechsel aber ist der BVB präsent, gestaltet das Geschehen ausgeglichen und zieht der Werkself mit einem Doppelschlag – Adeyemi zum 3:1 (73.), Guirassy zum 4:1 (77.) – den Stecker. Endstand 2:4. Und weil Frankfurt zwei Stunden später nicht über ein 1:1 gegen St. Pauli hinauskommt, hat Borussia die Champions-League-Teilnahme vor dem finalen Spieltag sogar in eigener Hand.
„Der Trainer hat uns in den Arsch getreten“, sagt Karim Adeyemi nach dem Sieg in Leverkusen plakativ: „Er hat uns gesagt, dass wir laufen müssen, egal gegen wen. Und dass es dann mit unserer Qualität und mit unserer Spielweise für die anderen sehr schwer wird.“ Gregor Kobel erwähnt einen anderen Aspekt: Konsequenz. „Er lässt nicht viel durchgehen, was auch gut so ist.“ Die entscheidenden Parameter auf dem Weg in die Königsklasse sind Effizienz und Intensität.
- Unter Niko Kovac steigt die Zahl der Torschüsse von 12,9 auf 16,1 pro Spiel.
- Die Anzahl erzielter Tore wächst von 1,8 auf 2,5. Die Anzahl der Gegentore sinkt von 1,7 auf 1,2 pro Spiel.
- Die Laufleistung erhöht sich von 114,8 auf 118,2 Kilometer. In acht von 14 Spielen unter Kovac ist der BVB das Team mit der höheren Laufleistung, dabei in sieben der finalen acht Partien.
„Was Niko hier geleistet hat, ist mit eine der größten Trainerleistungen in der Geschichte des BVB“, stellt Lars Ricken nach dem finalen 3:0-Heimsieg gegen Holstein Kiel heraus. „Ich habe hier meinen Job gemacht“, sagt Kovac und betont: „Ich möchte untermalen: Allein schafft man im Fußball gar nichts. Da meine ich nicht nur meine Spieler, sondern auch meinen Staff und unsere Fans. Innerlich bin ich stolz darauf, was die Jungs geleistet haben.“
„Niko hat nicht immer über Spielideen gesprochen. Er war pragmatisch. Es ging um das Laufen, Zweikämpfe und das Attackieren. Damit kam der Erfolg“, bemerkt BVB-Chef Hans-Joachim Watzke. Und Kapitän Emre Can verweist „auf Kleinigkeiten“, auf die Kovac geachtet habe: „Das ist die alte Schule. Er hat uns damit sehr geholfen.“
Mit Niko Kovac am Steuer ist der neben Bayern München einzige Bundesligist, der sich in den zurückliegenden zehn Jahren durchgängig für die UEFA Champions League qualifiziert hat, zurück in der Spur. Eine Punktlandung.
Boris Rupert