„Wir müssen den Stein immer wieder nach oben rollen“, sagt Hans-Joachim Watzke im Interview mit dem Stadionmagazin „Echt“ (Mainz-Ausgabe) zur Situation von Borussia Dortmund und freut sich nach dem personellen Umbruch auf die Saison: „Ich bin sicher, dass wir einen hochkarätigen und spannenden Kader beisammen haben.“

Bild

Herr Watzke, vor einigen Tagen haben Sie im Rahmen der Bilanz-Pressekonferenz einen BVB-Rekordumsatz vermeldet. Sind Sie trotzdem erleichtert, dass ab sofort wieder der Ball im Vordergrund steht?
Absolut! Ich persönlich bin vor allem eines: ein riesiger Fan des Fußballs. Das ist mein Sport, der seit Jahrzehnten einen großen Teil meines Lebens ausmacht. Und um den und um meinen Klub, Borussia Dortmund, geht es mir letztlich. Dass Zahlen, und am liebsten positive Zahlen, heute zum Fußball dazugehören, kann ich nicht bestreiten. Ich glaube, dass sich unsere Zahlen sehen lassen können. Seit 2006 haben wir unseren Umsatz um fast 500 Prozent gesteigert.

Selbst transferbereinigt stiegen die Konzernumsatzerlöse trotz fehlender Teilnahme an der UEFA Champions League im abgelaufenen Geschäftsjahr um 6,7% auf einen neuen Rekord von 281,3 Mio. € (Vorjahr 263,6 Mio. €). Nach Steuern erwirtschaftete Borussia Dortmund im Konzern einen Gewinn in Höhe von 29,4 Millionen Euro. Klingt nach rigorosem Wachstumskurs...
Ich werte das Ergebnis als deutlichen Indikator für Borussia Dortmunds Ertragsstärke. Unser sportliches und wirtschaftliches Fundament ist einmalig in inzwischen 107 Jahren der Klubgeschichte. Natürlich wachsen wir in fast allen Bereichen weiter. Und das müssen wir auch, wenn wir uns nachhaltig in den Top Ten der UEFA-Klubrangliste behaupten wollen. Dennoch möchten wir der Verein bleiben, der wir sind. Wir werden im Wissen um einen Spagat zwischen Borsigplatz und Shanghai niemals vergessen, wo wir herkommen.

Welches Feedback erhalten sie in dieser Hinsicht von den BVB-Fans?
Deutlich überwiegend ein sehr positives. In diesem Sommer haben von 55.000 BVB-Dauerkartenbesitzern nur 34 ihr Ticket gekündigt! Auf der Warteliste für eine Dauerkarte stehen nach wie vor deutlich mehr als 30.000 Menschen, wir zählen inzwischen 140.000 Mitglieder. Das sind gute Indikatoren. Ich bin sicher, dass das Gros der Fans sich mit unserem Klub und dem eingeschlagenen Kurs identifizieren kann.

Bild

In diesem Sommer müssen Sie einen sportlichen Umbruch moderieren. Blicken Sie persönlich auf den intensivsten Transfersommer Ihrer BVB-Zeit zurück?
Wir haben seit dem Pokalfinale Ende Mai rund ein Dutzend Transfers gemacht. Das ist sicher kein Sommer, wie wir ihn beim BVB gewohnt sind. Und ja, er war sehr arbeitsintensiv für alle. Ich gebe zu: Insbesondere Mats Hummels’ Wechsel war für mich schwer. Aber für ihn auch. Ich habe um Mats gekämpft wie um keinen anderen Spieler. Wir haben zigmal telefoniert, uns oft privat getroffen. Aber ich bin nicht sauer, dass er gegangen ist. Einen Wechsel zu Manchester City hätte ich nicht verstanden. Dass es ihn nach München drängte, verstehe ich. München ist seine Heimat. Dort lebt seine Familie, dort hat er seine Freunde.

Mit Mkhitaryans Wechsel hatten Sie nicht gerechnet?
Nein. Wir hatten in den Gesprächen mit ihm immer das klare Gefühl gewonnen, dass er bei uns verlängern möchte. Das war rückblickend betrachtet eine Fehleinschätzung. Dazu stehe ich. Wir haben auch in den vergangenen Jahren fast immer einen wichtigen Spieler verloren und arbeiten beim BVB ein bisschen wie Sisyphos: Wir müssen den Stein immer wieder nach oben rollen. Auf die Wechsel von Mkhitaryan, Gündogan und Hummels haben wir – wie es hier üblich ist – besonnen reagiert. Michael Zorc war immer auf alles vorbereitet. Er hat einen Super-Job gemacht und hatte immer erstklassige Handlungsoptionen. Ich bin sicher, dass wir einen hochkarätigen und spannenden Kader beisammen haben. Und ich kenne unsere Fans gut genug, um zu wissen, dass sie sensibel darauf reagieren werden, wenn am Anfang noch nicht direkt jedes Rad ins andere greift.

In Ousmane Dembélé haben Sie einen blutjungen Offensivspieler verpflichtet, den fast alle europäischen Topklubs auf der Einkaufsliste hatten.
Wir haben uns sehr früh und sehr intensiv um ihn bemüht. Er bringt für eine große Karriere alles mit. Wir sind sicher, dass unser Trainer Thomas Tuchel ihn zu einem Topspieler entwickeln kann. Dasselbe gilt für Emre Mor, der schon bei der EM im Trikot der Türkei bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Beim BVB setzen wir diesen Spielern allerdings keinen Rucksack aus überhöhten Erwartungen auf. Sie sollen ambitioniert, aber in Ruhe den nächsten Schritt machen.

In Raphael Guerreiro kommt ein frischgebackener Europameister. Sind Sie froh, dass Sie den Transfer vor dem Turnier bereits eingetütet hatten.
Auf jeden Fall. Raphael hat seinen Marktwert während der EM schließlich nicht gerade in den Keller gespielt. Wir sind überzeugt davon, dass er uns auf hohem Niveau flexible neue Handlungsoptionen bietet. Und Raphael ist genau wie Marc Bartra und Mikel Merino, die wir aus Spanien geholt haben, ein richtig guter Typ. Die Offenheit und Bodenständigkeit, mit der diese Jungs hier von Beginn an aufgetreten sind, nötigt mir Respekt ab.

Bild

In Mats Hummels hat ein Weltmeister den BVB verlassen, gleich zwei (Mario Götze, André Schürrle) sind hinzugekommen. Wie fügen Sie sich ein?
Hervorragend. Beide haben keine berauschende Saison hinter sich und sind zu 100 Prozent fokussiert auf den Fußball. Innerhalb des Teams waren sie vom ersten Tag an voll integriert. Und ganz ehrlich: Im Fall von Mario Götze war es fast so, als wäre er nie weggewesen. Ich hatte immer gehofft, dass wir ihn irgendwann einmal zurück nach Dortmund holen können. Mario ist ein Ausnahmefußballer aus dem eigenen Stall, der nur einen Wunsch hatte: wieder nach Hause zu kommen.

Götze selbst hat nach seiner Rückkehr betont, er würde seine Wechselentscheidung mit dem Wissen von heute so nicht mehr treffen.
Und das nehme ich ihm auch hundertprozentig ab. Er hätte einen leichten Weg beschreiten und für mehr Geld bei anderen europäischen Topklubs spielen können. Er hat sich aber für den etwas schwereren Weg zurück nach Hause entschieden. Und dabei bewusst in Kauf genommen, dass er den einen oder anderen Kritiker, der ihn wegen seines Wechsels nicht mit offenen Armen empfängt, noch überzeugen muss. Sowohl unsere Eindrücke in den Trainingslagern als auch die während der Teampräsentation und die Umfragen der Medien bestätigen uns in unserer Meinung, dass eine deutliche Mehrheit der BVB-Fans diesen Transfer begrüßt. Und da Mario zu jeder Zeit ehrlich mit uns umgegangen ist und uns immer direkt gesagt hat, was ihn bewegt, kann ich die Haltung der Menschen total verstehen.

Borussia Dortmund gilt als ein Klub, der seine Geschichte, seine Kultur und Tradition pflegt. Wie bringen Sie – mal abgesehen von Götze – den Neuzugängen bei, was es bedeutet, Teil der BVB-Familie zu sein?
Wir alle kümmern uns sehr intensiv um die neuen Spieler. Dazu gehört natürlich auch, ihnen die Seele des Klubs näher zu bringen: Unser langjähriger Fanbeauftragter Jens Volke, der selbst aus der Ultraszene hervorgeht, ist seit einigen Wochen Teil der Kommunikationsabteilung. Er wird in seiner jetzigen Funktion unter anderem mit neuen Jugend- und Profispielern die historischen Orte des Klubs besuchen und sie mit unserer besonderen Klubkultur vertraut machen. Borussia Dortmund ist es extrem wichtig, dass die Jungs verstehen, welche Bedeutung der Fußball für die Region hat, mit welchem Selbstverständnis wir als Verein agieren. Und wenn man sieht, mit welcher Demut etwa Marc Bartra, der vom großen FC Barcelona zu uns gekommen ist, hier auftritt, dann ist mir überhaupt nicht bange, dass eine Distanz zwischen unseren Neuen und den Fans entstehen könnte.

Lassen Sie uns zum Abschluss über die Saisonziele sprechen. Was müsste geschehen, damit Sie am Ende der Spielzeit sagen: „Das war in Ordnung so!“?
Unsere Saisonziele haben sich in der jüngeren Vergangenheit eigentlich kaum verändert. Wir möchten am Ende der Saison das Gefühl haben, das Maximale aus unseren Möglichkeiten herausgepresst zu haben. Wenn das einhergeht mit der erneuten Qualifikation für die Champions League und dem Erreichen der K.o.-Phase der Königsklasse, dann bin ich sehr zufrieden.