Er ist vermutlich der einzige Bayern-Spieler, der von der Südtribüne umjubelt wurde: Alexander Zickler machte für Borussia Dortmund im Juni 1995 den Weg frei zur Deutschen Meisterschaft. Im Trainerteam von Marco Rose nimmt er die Position des Co-Trainers ein. Neben ihm: René Maric, der einen ganz anderen Weg beschritt, vielleicht nicht den „American Dream“, wohl aber einen „Austrian Dream“ mit Leben füllte. Vom Taktik-Blogger zum Trainer-Assistenten. 

Fünf Stichworte, fünf kurze Antworten bitte. Borsigplatz ... 
Maric: Ein lohnendes Ziel im Mai. 

Gelbe Wand ...
Zickler: Nicht so angenehm, wenn du als Gegner kommst. Dortmunds zwölfter Mann. Die Südtribüne hat eine wahnsinnige Wucht. 

Strobelallee ...
Maric: Die letzte Etappe auf dem Weg ins Stadion. 

Adi Preißler ... 
Zickler: Legende. 

Minister Stein ... 

Beide schauen sich ratlos an, zucken mit den Schultern, lachen laut: Sind wir durchgefallen? 

Nein. Bestanden! Bis auf das letzte Stichwort – die letzte Kohle fördernde Dortmunder Zeche – ist das Duo schon gut informiert über Verein und Stadt. Vier von fünf möglichen Punkten für Zickler/Maric in dieser kleinen Fragerunde ...  

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Wie überbrückt Ihr die Distanz zur Familie?
Zickler: Ich habe eine Großfamilie. Die vergangenen beiden Jahre waren nicht so einfach. Nach Dortmund ist mein Sohn mitgekommen und spielt hier bei uns im Nachwuchs in der U16. So ist ein Stück Familie bei mir, was mir sehr wichtig ist. Wir versuchen, so oft es geht, nach Salzburg zu fahren. Und die Familie versucht, häufig hierher zu kommen, was aber natürlich auch nicht so einfach ist. Mein Sohn und ich haben uns hier gut eingelebt und fühlen uns sehr wohl in Dortmund.
Maric: Bei mir ist das etwas einfacher, da ich noch keine eigene Familie habe. Ich bin aber vor ein paar Monaten Onkel geworden und will den Kleinen und die anderen möglichst oft sehen. Da bietet sich das Wochenende in der Länderspielpause zu einer Fahrt nach Österreich und Kroatien an. Ich fühle mich in Dortmund fast schon heimisch, schließlich habe ich meine Kumpels bei mir. Dortmund ist eine unterschätzte Stadt. 

Das Los von Fußballtrainern ist das „Vagabundieren“. Ist das der Preis, den man für den Traumjob in der Bundesliga zahlen muss?
Zickler: Das geht ja schon als Spieler los, wobei ich glücklicherweise von diesen immer wiederkehrenden Veränderungen weitgehend verschont geblieben bin. Ich habe in Dresden angefangen, Fußball zu spielen, war dann lange Zeit in München, viele Jahre in Salzburg. Du kannst weder als Spieler noch als Trainer über fünf, sechs, sieben Jahre planen, und das macht es mit Familie nicht einfach. Es wäre natürlich super, wenn wir ganz, ganz lange hierbleiben könnten. 

Co-Trainer in der Bundesliga haben häufig eine mäßig erfolgreiche Profi-Karriere hinter sich. Bei Euch ist das komplett anders: Hier ein früherer Topspieler, daneben jemand, dessen Laufbahn beendet war, bevor an eine solche zu denken gewesen wäre. 
Maric: Wenn man den Durchschnitt sieht, haben auch wir eine mittelmäßige Karriere: Er in der Bundesliga, ich nicht.
Zickler (lacht schallend)René, man hat Dein Talent nicht gesehen, nicht sehen wollen ...
Maric: Erstens das, zweitens hat’s körperlich nicht gereicht, drittens war ich nicht der Mentalitätsspieler. Ich hab‘ zwar immer bei den Älteren gespielt, aber dann kamen schnell die Verletzungen. 

Der gebürtige Dresdner Alexander Zickler hat so gut wie alles gewonnen, was man im Vereinsfußball gewinnen kann: Champions League, Weltpokal, UEFA-Cup. Sieben deutsche und drei österreichische Meisterschaften, viermal den DFB-Pokal. 308 Spiele hat er von 1993 bis 2005 für Bayern München bestritten; zwei seiner 79 Treffer in diesem Zeitraum (im Spiel gegen Werder Bremen) ermöglichen Borussia Dortmund am 17. Juni 1995 überhaupt erst den Gewinn der Deutschen Meisterschaft. Für Salzburg trifft der ehemalige deutsche A-Nationalspieler in 165 Partien 65-mal ins Schwarze. 

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Und René Maric? Wenn es überhaupt zu einer Karriere gereicht hätte, ist diese beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat. In Oberösterreich, 40 Kilometer entfernt von der deutschen Grenze, wächst er auf. Schon als 13-Jähriger zieht er sich einen Kreuzbandriss zu, später bricht er sich das Becken, erleidet einen Schlüsselbeinbruch, erkrankt an einem Knochentumor und reißt sich später nochmal das Kreuzband. Er wird früh Trainer der D-Jugend-Mannschaft seines Vereins TSU Handenberg. Ihn treibt an, herauszufinden, warum Spieler auf dem Platz welche Handlungen begehen. Dazu schaut er alle Videos, die er finden kann. Der Wissbegierige tut sich im Netz mit Gleichgesinnten zusammen und zählt zu den Mitbegründern der Plattform „spielverlagerung.de“, die er als Nebenjob zu seinem Studium betreibt. Der damalige Mainzer Trainer Thomas Tuchel wird auf Maric aufmerksam, schreibt ihn per E-Mail an. 

So kommt der erste Kontakt zum Profifußball zustande. Den zweiten sucht er aktiv. Er ist fasziniert von der A-Jugend-Mannschaft des FC Salzburg, die damals von Sieg zu Sieg eilt. Trainer dieser Mannschaft ist ... Marco Rose.  

Wie kam der Kontakt zu Rose zustande?
Maric: Ich habe in Salzburg studiert, dort etwas über die Mannschaft geschrieben, bin bei meiner Anfrage auf sehr offene und interessierte Menschen in der Akademie gestoßen. Nach ein paar Monaten hat mir Marco die Chance gegeben, in seinem Trainerstab mitzuarbeiten. 

Und wie war es bei Dir, Alex?
Zickler: Wir waren damals so aufgestellt, dass du als Cheftrainer einer Nachwuchsmannschaft im unteren Bereich gleichzeitig Co-Trainer bei einer Akademie- Mannschaft bist. So habe ich Marco kennen- und schätzen gelernt. Wir haben von Anfang an gemerkt, dass wir gut zueinander passen. 

Stärkt es das Trainer-Team, wenn beide Assistenten derart unterschiedliche Lebensläufe und damit komplett verschiedene Blickwinkel haben?
Zickler: Das glaube ich schon. Ich bewundere die Arbeit, die René leistet, sein analytisches Vorgehen, seine Detail-Versessenheit und sein Fachwissen.
Maric: Unser Blick aufs Spiel ist kaum unterschiedlich. Aber Zicko hat eine ganz andere Erfahrung, wie es in einer Umkleidekabine auf Top-Niveau zugeht. Er kann sich in diese Spieler hineinversetzen. Marco kann das als früherer Bundesligaspieler auch. Ich komme aus dem Amateurbereich und versuche, auf diesem Gebiet viel zu lernen.  

Wie läuft die Arbeit im Trainerteam ab? Ist Rose ein autoritärer Chef?
Zickler: Am Ende des Tages entscheidet er. Ihn zeichnet aus, dass er ein absoluter Teamplayer ist, nicht von oben herabblickt, sondern die Dinge auf Augenhöhe bespricht. Der Umgang ist extrem respektvoll. Jeder weiß, dass er seine Meinung sagen kann. Und das möchte Marco auch. 

Mit ihrem Cheftrainer Marco Rose erleben Zickler und Maric erfolgreiche Jahre, zunächst in Salzburg, wo sie in ihrem gemeinsamen Jahr an der Akademie die UEFA Youth League gewinnen. Auf dem Weg dorthin werden die Nachwuchsmannschaften von Manchester City, Paris St. Germain, Atlético Madrid und FC Barcelona ausgeschaltet. Mit den Profis schaffen sie es später bis ins Halbfinale der Europa League. Sie gewinnen zwei Österreichische Meisterschaften. Mit Borussia Mönchengladbach erreichen sie die Champions League und schaffen es dort bis ins Achtelfinale. 

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Fußballspielen können sie alle. Was bringt Ihr den Spielern bei? Was wollt Ihr vermitteln?
Zickler: Wir haben eine bestimmte Vorstellung vom Fußball: Aggressivität, Laufbereitschaft. Das wollen wir vereinen mit der fußballerischen Qualität, die jeder im Kader mitbringt. Und trotzdem gibt es in Bezug auf jeden Gegner kleine Abweichungen. Die versuchen wir, mit der Mannschaft zu erarbeiten, damit sie flexibel bleibt. Es ist zwar ein Ball, aber Fußball ist nicht immer gleich.
Maric: Wir wollen die Jungs davon überzeugen: Wenn sie gemeinsam eine Idee verfolgen, haben sie einen Vorteil.  

Wie trainiert man Aggressivität?
Maric: Überzahl, Unterzahl – aber es würde jetzt zu weit führen, hier ins Detail zu gehen. 

Ganz kurz bitte ...
Maric: Wir setzen Reizpunkte durch Belohnung im Training, wenn sie aggressiv nach vorne verteidigen, wenn sie weite Wege in hohem Tempo gehen, früh schon Zweikämpfe suchen. 

Das große Problem in diesem Jahr war und ist der späte Trainingseinstieg der EM-Teilnehmer. Hinzu kommen verletzte Spieler, die noch gar nicht gemeinsam mit der Mannschaft auf dem Rasen standen. Wie werden die Nachzügler integriert? 
Zickler: Wir machen viel über Video und zeigen, was unsere Spielprinzipien sind, damit auch diese Spieler visuell schon einmal erleben, was auf sie zukommt. Vielleicht folgen auch Einzelsitzungen neben dem Training auf dem Rasen, wo wir zeigen, was sie möglicherweise hätten besser machen können. 

Kann man als Trainer eigentlich abschalten vom Fußball? Schließlich ist nach dem Spiel immer vor dem Spiel ...
Maric: In englischen Wochen ist das nicht möglich. Aber wenn die Nachbereitung erledigt ist, muss man sich auch anderen Dingen zuwenden. Sonst sieht man nachher den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Man lernt, wann man sich diese Pausen nehmen kann.
Zickler: Einfach ist das nicht. Hast du selbst kein Spiel, hat der Sohn eins. Und da gucke ich natürlich gerne zu. Und wir sprechen zuhause auch viel über Fußball. Und wenn ich mal in Salzburg bin, dann hat – wie an diesem Länderspielwochenende – der eine am Samstag ein Turnier, der andere am Sonntag. Bei uns bestimmt der Fußball schon ein Stück weit das Leben. Aber trotzdem versuche ich abzuschalten, wenn ich bei der Familie bin – und für sie da zu sein.  

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Die Champions League hat begonnen. Wo habt Ihr die Auslosung geguckt?
Maric: Gar nicht. Wir standen noch auf dem Platz und hatten Training. Als wir in die Kabine kamen, haben wir die Gruppe gewusst. 

Salzburg wäre ein möglicher, gar nicht unwahrscheinlicher Gegner gewesen. Es gab eine 33%-ige Chance ...
Zickler: (lacht): Ich hätte mich gefreut – allein schon, um die Nacht nach dem Spiel im eigenen Bett verbringen zu können.
Maric: Ajax war aus Topf drei einer meiner beiden Kandidaten, die ich mir sehr gewünscht habe. Istanbul ist sowohl auswärts als auch zuhause eine richtig interessante Partie. Es sind drei Traditionsvereine in unserer Gruppe. Es sind sehr reizvolle Aufgaben. Auch wenn die Klubs vielleicht nicht die ganz, ganz großen Namen haben, sind es Mannschaften mit sehr hoher Qualität.  

Wie fühlt sich Champions League auf der Trainerbank an?
Zickler: Es sind weitere Highlights. Du misst dich mit den besten Mannschaften Europas. Unsere Gruppe ist vielleicht nicht so prominent besetzt wie die eine oder andere, aber sie ist hoch interessant. Es wird packende Spiele geben. 

Lachend verlassen die beiden Co-Trainer den Besprechungsraum. Und doch dreht sich auch hier alles um Fußball. „Wir müssen konstanter werden“, hört man René Maric sagen. Alex Zickler klopft ihm dabei auf die Schulter. Sie arbeiten an einer gemeinsamen Idee. In einem Team. 
Interview: Boris Rupert 
Fotos: Alexandre Simoes