Er sieht die schlimme Verletzung nicht als Schicksalsschlag an, sondern als Herausforderung. Mateu Morey macht in seiner Reha Fortschritte. Große Schritte sogar. Als er vor dem Jahreswechsel erstmals Stollenschuhe an den Füßen hat, fühlt sich das für ihn an wie ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk: „Dieses Gefühl war sehr nah dran am reinen und unverfälschten Glück!“ 

Seinen Glücksbringer hat Mateu Morey immer dabei. Der Glücksbringer trägt blütenreines Weiß mit einem Streifen in zartem Rot. Mateu hat ihn fotografiert, „schau mal hier“, und da zieht er auch schon das Mobiltelefon heraus und zeigt ... aber dazu später mehr. Borussias spanischer Verteidiger hat gute Laune und reichlich Zeit mitgebracht, um die Fans in Schwarz und Gelb über die Fortschritte in seinem Genesungsprozess auf dem Laufenden zu halten. Vier Monate anstrengender Rehabilitation in Dortmund liegen hinter ihm. Anfang Mai hat er sich im Pokalspiel gegen Holstein Kiel ohne gegnerische Einwirkung schwer am Knie verletzt. Die fatale Szene hinterließ auch deshalb nachhaltige Spuren, weil Mateus Schmerzensschreie im wegen der Corona-Maßnahmen leeren Stadion so furchtbar deutlich zu hören waren. Ende August haben wir Mateu zum ersten Mal getroffen, um über den schweren Weg zurück zu reden. Vier Monate später folgt nun die Fortsetzung. Ein Gespräch über das Leben in der Reha, persönliche Siege, schwierige deutsche Wörter und den Traum, endlich wieder im schönsten Stadion der Welt aufzulaufen.  

Mateu, es gibt gute Nachrichten! 
Ach ja? Welche denn? 

Den Wetterbericht! 18 Grad, leicht bewölkt. Leider nicht in Dortmund, sondern bei deiner Familie auf Mallorca ...
Wieso leider? Ich habe das genossen in den vergangenen Tagen. Ich war über Weihnachten zu Hause, das erste Mal seit dem vergangenen Sommer. Es war eine großartige Zeit! Weihnachten. Ich mag Dortmund wirklich sehr und genieße hier jede Minute. Das ist eine Stadt mit wunderbaren Menschen und unglaublichen Fans. Aber, bei allem Respekt: Das Wetter hier ist nicht unbedingt das Beste, was Dortmund zu bieten hat. 

Um das schöne Wetter auf Mallorca dürften dich viele hier beneiden, auch deine Mannschaftskollegen, die in diesem Winter eine so kurze Winterpause hatten, dass es nicht mal für ein Trainingslager im Süden reicht. Was hast du denn in der Heimat so alles angestellt? 
In erster Linie habe ich das Wiedersehen mit meinen Freunden und meiner Familie gefeiert. Es war unglaublich schön, mal wieder in einem etwas größeren Kreis zusammenzukommen, auch wenn wir alle sehr vorsichtig sein mussten. Und ich habe unter perfekten Bedingungen an meiner Reha arbeiten können. Das war wirklich sehr wichtig – körperlich, aber auch für den Kopf. Jetzt bin ich bereit für das neue Jahr, und ich bin sehr guter Dinge, dass es ein gutes Jahr wird. 

Die zwei Wochen auf Mallorca dürften gutgetan haben nach den vier Monaten, die du beim BVB in der Reha gearbeitet hast. So furchtbar abwechslungsreich geht es im Kraftraum ja nicht zu. 
Ja, für den Kopf war es wichtig, mal ein bisschen abzuschalten. Aber ich bin Profi und habe selbstverständlich auch auf Mallorca weitergearbeitet. Ich will jetzt nicht so weit gehen und behaupten, dass ich auch unter dem Weihnachtsbaum meine Übungen gemacht habe. Aber mein Physiotherapeut Jaume hat schon dafür gesorgt, dass die Fitness nicht zu kurz kam. Jaume wohnt gar nicht so weit weg vom Haus meiner Eltern, wir kennen uns schon ewig, und er weiß sehr gut, wie er mit mir arbeiten muss. Ich vertraue ihm zu hundert Prozent! 

Bei unserer letzten Unterhaltung im August hast du mir erzählt, dass es für dich keine Probleme gibt, sondern nur Herausforderungen. Die Entlassung aus dem Krankenhaus, die Rückkehr nach Dortmund, das Ablegen der Krücken – für dich sind das alles kleine Fußballspiele, und du willst sie alle gewinnen. Wann hast du denn den letzten Sieg gefeiert? 
Das war kurz vor meiner Abreise nach Mallorca. Der Tag, an dem ich mich getraut habe, meine Fußballschuhe anzuziehen. Schau mal hier, ich habe ein Foto gemacht! 

Coole Schuhe! Blütenreines Weiß mit einem Streifen in zartem Rot. Jetzt hast du sie das erste Mal getragen seit deiner folgenschweren Verletzung im vergangenen Mai beim Pokal-Halbfinale gegen Holstein Kiel? 
Oh ja! Davor hatte ich schon einigen Respekt, aber irgendwann musste es ja mal sein. Ich brauche dieses Gefühl, ich muss mich langsam wieder daran herantasten, wie es ist, ein Fußballprofi zu sein. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Sind die Schuhe zu eng, gibt es Druckstellen, kann ich darin überhaupt laufen ... 

Eingelaufen dürften die Schuhe doch sein. Sie standen eben ein paar Monate nutzlos herum. 
Nein, nein, wir reden jetzt nicht über die Schuhe, die ich gegen Kiel an den Füßen hatte. Die gibt’s nicht mehr, ich habe sie sofort entsorgt. Das macht die Sache ja noch ein bisschen komplizierter. Das Einlaufen von neuen Fußballschuhen ist an sich schon schwierig genug, und wenn du dann auch noch ein halbes Jahr pausiert hast ... 

Und – wie war es? 
Aufregend! Die ersten Schritte bin ich ganz vorsichtig gelaufen, es hat ein bisschen gedrückt, aber es gab keinen Schmerz. Dieses Gefühl, wie soll ich es beschreiben? Es war sehr nah dran am reinen und unverfälschten Glück! 

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Und welchen ganz persönlichen Sieg planst du als nächstes? Ein Bundesligaspiel im ausverkauften SIGNAL IDUNA PARK?
Langsam, langsam! Ja, wir nähern uns dem eigentlichen, dem ganz großen Ziel. Aber ich will und darf mich da nicht unter Druck setzen. Jetzt geht es darum, einen ganz wichtigen Zwischenschritt zu machen. Ich will endlich wieder gegen den Ball treten! 

Du könntest doch mal ganz heimlich, wenn gerade keiner von den Ärzten oder Physios dabei ist ... 
Na ja, unter uns, zwischen zwei Übungen bei der Krankengymnastik konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und habe den Ball kurz mit der Sohle gestreichelt. Aber auf dem Platz? Nein! Disziplin ist alles. Natürlich habe ich davon schon geträumt, auch davon, wie es ist, wenn unser Stadionsprecher Nobby Dickel die Aufstellung vorliest und dabei auch meinen Namen nennt, und wie ich endlich wieder auf den Rasen laufe. Um ehrlich zu sein: Dieser Film läuft seit dem Tag der Verletzung jedes Mal in meinem Kopf ab, wenn ich abends die Augen schließe. Aber träumen allein reicht nicht. Also halte ich mich an die Vorgaben der medizinischen Abteilung, damit bin ich bisher sehr gut gefahren! Erstmal gewöhne ich mich bei meinen Laufeinheiten an das neue Gefühl an den Füßen, auch das ist eine großartige Sache! 

So anstrengend die Reha ist – genießt du sie nicht auch ein bisschen, weil sie dir das Gefühl vermittelt, jeden Tag ein Stückchen weiterzukommen? Heute kannst du mehr als gestern, und morgen machst du vielleicht einen Fortschritt, an den du vor einer Woche nie geglaubt hättest? 
Da ist was dran! Jeder Schritt ist hart, aber wenn ich nach einem anstrengenden Tag todmüde bin, denke ich daran zurück, wie es mir zum Beginn der Reha ging, als ich kaum mehr konnte, als auf dem Sofa zu sitzen. Daraus beziehe ich meine Kraft und meine Zuversicht. 

Du hältst die BVB-Fans regelmäßig über Twitter und Instagram auf dem Laufenden. Aus jedem deiner Posts dort spricht eine unglaubliche Zuversicht. Warst du schon immer so ein positiver Mensch?
Nun ja, wenn du meine Eltern oder meine Freundin fragst, die könnten dir ganz andere Sachen erzählen! Natürlich hast du während einer so langen Verletzungsphase auch Phasen, in denen es dir nicht ganz so gut geht. Das ist normal, aber du darfst diesen Phasen nicht die Hoheit über dein Gefühlsleben geben. Mir persönlich macht es einfach Spaß, Zuversicht zu verbreiten. Positive Gedanken bringen dich weiter, negative werfen dich zurück. Nichts wird besser, wenn du dich selbst bemitleidest! So habe ich es während der Reha in Dortmund gehalten. 

Wie würdest du diese vier Monate in einem Satz zusammenfassen?
Dafür reichen vier Wörter: Ich bin besser geworden. Als ich Ende August hier ankam, konnte ich kaum laufen, ich hatte gerade erst die Krücken zur Seite gelegt, aber ohne die Orthese am rechten Knie ging gar nichts. Jetzt kann ich gehen, laufen, springen. Diese vier Monate waren unglaublich wichtig für mich! Dafür bin ich den Physios, den Ärzten, dem ganzen Staff unendlich dankbar! Außerdem habe ich mich als Mensch weiterentwickelt. Nicht nur in den vier Dortmunder Monaten, sondern in der gesamten Zeit seit der Verletzung. 

Wie meinst du das? 
Ganz einfach: Ich bin mental und physisch stärker geworden. Ich habe gelernt, das Leben mit den Augen eines ganz normalen Menschen zu sehen, also außerhalb der Blase Profifußball. Verstehe mich nicht falsch, ich meine das mit der Blase nicht negativ, aber wenn du diesen Beruf ernst nimmst, dann musst du Abstriche machen, besonders in einem Verein, der auf einem Niveau spielt wie der BVB. Welcher Profi kann es sich schon erlauben, einen ganzen Sommer mit seiner Familie zu verbringen, mit den Eltern, Großeltern und der Freundin? Ich habe in einem Rhythmus gelebt, wie er unvorstellbar ist für jemanden, der alle drei Tage spielen muss und ansonsten trainiert, reist und regeneriert. Das heißt ja nicht, dass ich in dieser Zeit gefaulenzt habe. 

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Die Reha dürfte anstrengend genug gewesen sein, auch und gerade in den vergangenen vier Monaten in Dortmund.
Ich bin nicht mal zu den Auswärtsspielen in der näheren Umgebung gefahren, nach Gladbach, Leverkusen oder Bochum, und weißt du warum? Weil mich das in der Reha zu sehr eingeschränkt hätte. Reha bedeutet für mich, von montags bis samstags nach festen Zeiten zu arbeiten. Am Samstag nur halbtags plus Stadionbesuch, wenn wir ein Heimspiel haben. Bei den Auswärtsspielen würde noch die Anreise dazukommen, deshalb schaue ich sie mir zu Hause im Fernsehen an. Den Sonntag nutze ich zur Regeneration. Ich habe wirklich in einem komplett anderen Rhythmus als meine Mannschaftskollegen gelebt. Das hat mich als Mensch vielseitiger und damit wohl auch besser gemacht. 

Wie zufrieden bis du mit der bisherigen Saison? 
In der Bundesliga ist es gut gelaufen, auch gegen die Bayern, über dieses Spiel muss ich wohl nichts mehr sagen, oder? Als sehr schmerzhaft habe ich das Ausscheiden in der Champions League empfunden. Ja, auch die Europa League ist eine schöne Sache, gegen Glasgow haben wir eine gute Chance, dann werden wir weitersehen. Aber ein Verein wie der BVB muss natürlich immer den Anspruch haben, auf höchstem Niveau zu spielen. Ich habe mir das entscheidende Spiel in Lissabon zu Hause im Fernsehen angeschaut und sehr gelitten. Aus und vorbei, verdammt: Dabei hatten die Jungs doch einen so großartigen Start in die Champions League geschafft, mit den beiden Siegen in Istanbul und zu Hause gegen Sporting. 

Auch dich hat die Mannschaft mit einem Sieg begrüßt. Das erste Spiel, das du nach deiner Rückkehr gesehen hast, war ein 3:2 gegen Hoffenheim ...
... mit einem superspäten Siegtor von Erling Haaland, vielen Dank noch mal, das war ein wirklich sehr schönes Einstandsgeschenk! Ich habe mit meiner Freundin auf der Tribüne gesessen und es genossen, wieder Teil der Familie zu sein. 

Warst du auch mal wieder in der Kabine? 
Nein, kein einziges Mal nach dem Spiel damals gegen Kiel. Warum sollte ich? Die Kabine gehört denen, die nachmittags oder abends spielen, ich muss mich da nicht wichtig machen. Außerdem wäre es unhöflich gegenüber meiner Familie, meinen Freunden oder wer sonst gerade neben mir sitzt. Aber: Wenn wir am letzten Spieltag die Meisterschaft gewinnen sollten, würde ich natürlich eine Ausnahme machen! Ich bin gespannt, was das neue Jahr so bringt. 

Mal abgesehen von der Rückkehr auf den Platz – was hast du dir persönlich für 2022 vorgenommen? 
Ich will unbedingt meinen Deutsch-Unterricht wieder aufnehmen. Ich war ganz gut dabei vor der Verletzung, aber ihr habt schon komplizierte Wörter, zum Beispiel Schied... ähm Schied... (auf Spanisch): Como se dice arbitro en aleman? 

Schiedsrichter! 
Genau! Ein wirklich schwer auszusprechendes Wort. Und dann gibt es da noch diese entzückenden Tiere, die auf die Bäume hochklettern und die meine Freundin so sehr liebt: Eichhörnchen. Habe ich das gut ausgesprochen? 

Perfekt! 
Danke: Also, das nächste Interview zu meinem Geburtstag im März machen wir auf Deutsch. Versprochen!

Autor: Sven Goldmann
Fotos: Alexandre Simoes