Felipe Santana, Spitzname "Tele Santana", in Anlehnung an den berühmten brasilianischen Fußball-Lehrer, der die Selecao bei den Weltmeisterschaften 1982 und 1986 betreute, hat seinen "Traum verwirklicht, nach Europa zu gehen". Doch er weiß: "Das Schwierigste wartet noch auf mich: Ich muss mich hier beweisen und durchsetzen."

Ist Dein Spitzname "Tele Santana" eine Hypothek?
Felipe Santana:"Ich habe damit kein Problem, im Gegenteil. Der Name Tele Santana hat in Brasilien einen sehr guten Klang. Er war aufgrund seiner Fähigkeiten, sowohl als Spieler als auch als Trainer, in meiner Heimat eine angesehene Persönlichkeit."

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Jubelpose: Felipe Santana feiert gemeinsam mit Sebastian Kehl seinen Treffer im Heimspiel gegen Stuttgart.

Du bist seit einem halben Jahr in Europa. Hast Du die Umstellung in eine neue Kultur bereits vollzogen?
Santana:"Am Anfang war es sehr, sehr schwer für mich, obwohl ich viel Unterstützung bekommen habe durch Dede und Tinga, den Trainer und die Kollegen. Sie haben mir sehr geholfen. Die Motivation, in Europa Fußball zu spielen, hat es mir einfacher gemacht, mich anzupassen. Es war immer ein Traum von mir, nach Europa zu gehen."
Was war am schwierigsten?
Santana:"Das Schwierigste wartet noch auf mich: Ich muss mich hier beweisen und durchsetzen. Es ist nicht einfach, für einen Brasilianer nach Europa zu kommen, denn von uns wird von Anfang an viel verlangt. Man erwartet technische Kabinettstückchen. Ich muss noch viel an mir arbeiten, bin aber auch guter Dinge, dass ich das schaffen werde."
Was war das Überraschendste in der neuen Kultur?
Santana:"Am meisten überrascht hat mich das Wetter. Dede und Tinga haben mir zwar gesagt, dass es im Winter kälter wird als null Grad. Aber ich habe minus 17 Grad erlebt. Das war für mich die größte Überraschung."
Dede gilt als der europäischste aller Brasilianer. Er hat viele Tugenden verinnerlicht. Er weiß, dass 12 Uhr 12 Uhr bedeutet und nicht eine Stunde später...
Santana lacht...
... aber auch er hatte nach seinem Wechsel mit Widrigkeiten zu kämpfen. Welche Hilfe hat Dede Dir geben können?
Santana: "Dede hat das Pech gehabt, dass er von uns drei Brasilianern im Team der erste war, der nach Deutschland gegangen ist. Er hat seitdem viele Erfahrungen gesammelt. Ähnliches gilt für Tinga, der auch schon zweieinhalb Jahre hier ist. Beide konnten mir sehr viele Informationen geben und mir sagen, worauf ich zu achten hätte. Deshalb war es für mich einfacher, aber nicht wirklich leicht..."
Wie verbringst Du Deine Zeit?
Santana: "Die Familie steht an erster Stelle. Ich versuche, so oft und so lange wie möglich mit ihr zu sprechen. In Deutschland gibt es den Vorteil von Flatrates, so dass man stundenlang telefonieren kann und nur einen bestimmten Betrag bezahlen muss. Außerdem höre ich viel Musik, fotografiere gerne und versuche, so häufig wie möglich in Begleitung von Freunden zu sein."

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Interview unter Palmen: Felipe Santana und Dolmetscher Paulo Rodriguez während des Trainingslagers in Marbella.

Das hört sich an wie bei Dede, der viel Besuch aus der Heimat hat.
Santana: "Wir Brasilianer verbringen gemeinsam viel Zeit zusammen. Dadurch vermissen wir die Heimat nicht so sehr. Wir haben zum Beispiel eine Köchin, die Luisa, die in einem Dortmunder Restaurant beschäftigt ist und auch privat für uns kocht. All das erleichtert mir den Anfang in Europa."
Suchen Brasilianer eher das Leben in der Gruppe?
Santana: "Es gibt sicherlich größere Unterschiede, was das Zusammensein betrifft, zwischen Südamerikanern und Europäern. Dede, Tinga und ich sind häufig beieinander. Wir legen Wert darauf, viel Zeit miteinander zu verbringen."
Zu Beginn, während der ersten Wochen im Sommer, hattest Du auch Probleme, Dich sportlich zurechtzufinden. Im Testspiel gegen Juventus Turin musstest Du auf der rechten Abwehrseite aushelfen, und es lief nicht wirklich gut - ähnlich wie bei Julio Cesar, der in seinen ersten Spielen für den BVB große Schwierigkeiten offenbarte, dann aber seinen Weg ging. Kannst Du in seine Fußstapfen treten?
Santana:"Der erste wichtige Schritt war es, dem Trainer und dem Verein zu zeigen, dass ich in der Lage bin, Spieler wie Subotic, Hummels oder Kovac zu ersetzen. In den ersten Bundesligaspielen ist mir das dann auch gelungen. Ich möchte zwar am liebsten in jedem Spiel spielen, respektiere aber die Meinung des Trainers, weil ich weiß, dass ich noch viel an mir arbeiten muss. Den ersten Schritt habe ich gemacht und meine Qualitäten angedeutet. Ich werde dem Trainer in nächster Zeit zeigen, dass ich spielen möchte. Ich bin guter Dinge, dass es klappen wird."
Das hört sich an, als würdest Du das erste Jahr beim BVB als Eingewöhnungsjahr betrachten?
Santana: "Es war schon meine Idee, das erste Jahr hier mit der Anpassung an die Kultur, an die Lebensbedingungen, das Wetter und an die Trainingsarbeit zu verbringen. Ich hatte das Glück, dass ich in der Hinrunde einige Male zeigen konnte, was ich kann. Ich bereit für die nächsten Aufgaben und werde immer mein Bestes geben. Ich gehe davon aus, dass ich in der nächsten Saison voll angreifen kann und um meinen Stammplatz kämpfen kann."
Und dennoch hast Du bereits einen Bundesliga-Rekord aufgestellt: Nie zuvor gelang einem Verteidiger in drei aufeinander folgenden Spielen jeweils ein Tor wie Dir in Deinen ersten drei Einsätzen gegen Hoffenheim, Stuttgart und Frankfurt.
Santana:"Ich freue mich über diesen Rekord, werde mich auf den Lorbeeren aber nicht ausruhen. Wie gesagt, ich weiß, dass ich noch viel an mir arbeiten muss."

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„In der nächsten Saison kämpfe ich um einen Stammplatz.“

Wie gut ist die Bundesliga?
Santana:"Die Bundesliga hat in Brasilien einen sehr großen Stellenwert, und das, was ich bislang gesehen habe, bestätigt dieses gute Niveau. Ein großer Unterschied zu meiner Heimat ist der, dass man in Brasilien zu einem Spiel geht, um das Spiel anzusehen. In Deutschland ist es ein Event. Es ist etwas ganz anderes. In der Bundesliga wird der Fußball viel mehr gelebt, speziell im Stadion."
Wie gefällt Dir der BVB?
Santana: "Ich bin glücklich, bei diesem Verein gelandet zu sein, der vor gut zehn Jahren den Weltpokal gewonnen hat - gegen ein Team aus meiner Heimat. Und ich bin stolz, dass ich hier bin, in dem Jahr, in dem Borussia 100 Jahre alt wird. Der Boom, den wir in den ersten sechs Monaten hatten, wird weitergehen."
Was wollt Ihr in der Rückrunde erreichen?
Santana:"Wir haben die Qualität, einen internationalen Platz zu erreichen, müssen aber alles dafür geben. Dann kommen die Ergebnisse von ganz alleine. Aber die Konkurrenz ist sehr groß. Es gibt viele Klubs, die sich berechtigterweise die gleichen Hoffnungen machen dürfen."
Beispielsweise Werder Bremen. Wie hoch sind die Chancen, die nächste Runde im Pokal zu erreichen?
Santana: "Wir spielen zu Hause und sind deshalb im Vorteil. Unsere Fans werden uns wieder großartig unterstützen. Wir können zwar nicht in Bestbesetzung antreten, aber auch Bremen wird nicht komplett sein. Beim Bundesligaspiel in Bremen haben wir gezeigt, dass wir diese Mannschaft schlagen können. Wir hätten dieses Spiel eigentlich gewinnen müssen, haben aber zwei Punkte aus der Hand gegeben."
Bei Werder spielt Naldo - ein Profi, mit dem Du vor Deinem Wechsel in die Bundesliga häufig verglichen wurdest. Kennst Du Naldo überhaupt?
Santana:"Wir kennen uns. Ich habe ihn zuletzt im Urlaub getroffen, und wir hatten die Möglichkeit, uns zu unterhalten. Aber vergleichen möchte ich uns nicht. Naldo ist Naldo, Felipe Santana ist Felipe Santana. Naldo hat schon viel erreicht in seiner Karriere. Er hat einen Status in Deutschland und wird respektiert. Ich bin erst seit einem halben Jahr hier. Mein Wunsch ist es natürlich, irgendwann einen ähnlichen Stellenwert zu erreichen wie Naldo."
Interview: Boris Rupert