Die Körpergröße ist überschaubar. Dafür aber ist er mit überproportionaler Spielintelligenz sowie mit dem Sinn für die Schönheit des Spiels gesegnet. Und doch verkörpert Mateu Morey auch jene Tugenden, die in unserer Region besonders geschätzt werden: die eines Kämpfers, der sich in seinen Gegenspieler verbeißt, bis dieser den Ball hergibt. Der junge Spanier war die positive Überraschung des Testspiel-Sommers, bis ihn eine Schulterverletzung stoppte. Jetzt, im heißen Herbst, ist der Mallorquiner bereit, seine Fähigkeiten in den Dienst der Mannschaft zu stellen.

Das erste Pflichtspiel für den neuen Verein ist immer das wichtigste. Mateu Morey wird es in guter Erinnerung behalten, schon mal wegen des erfreulichen Ausgangs, aber auch weil er zuvor 50 Minuten lang die rechte Seite des Rasengevierts genau so bespielt hatte, wie sie sich das beim BVB von ihm erhoffen. Kompromisslos in der Zweikampfführung, seriös im Defensivverhalten und angriffslustig jenseits der Mittellinie.

"Vielen Dank an die Kollegen, sie haben mir sehr geholfen", sagte der kleine Spanier mit dem krausen Haar, er lächelte kurz und erzählte, "dass es war nach der langen Pause nicht ganz einfach war, aber es hat mir sehr gut getan, endlich wieder auf dem Platz zu stehen". Dafür nahm er es auch gern in Kauf, dass sein Punktspieldebüt im kleinen Rahmen stattfand. Die Kollegen hießen nicht Marco Reus, Axel Witsel und Jadon Sancho. Sondern Kolbein Birgir Finnsson, Magnus Kaastrup und Joseph Boyamba. Im Kreis der U23, am elften Spieltag der Regionalliga West, vor 800 Zuschauern im Stadion Rote Erde beim 2:0-Sieg über Rot-Weiß Oberhausen.

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Mateu Morey ist wieder da. Zurück auf dem Fußballplatz, nachdem er die vergangene Saison wegen eines Meniskusschadens komplett verpasst hatte und die neue unterbrechen musste, noch bevor es richtig losging. Als er 2017 mit Spaniens U17 die Europameisterschaft gewann und ein Jahr später mit dem FC Barcelona die UEFA Youth League, schwärmte ein englisches Fußballportal schon von "the next Lahm". Wie Philipp Lahm, der frühere Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, ist auch Mateu Morey mit eher überschaubarer Körpergröße gesegnet, dafür aber mit überproportionaler Spielintelligenz. Bayern, Juve, ManUnited – als Morey noch in der Jugend des FC Barcelona verteidigte, waren die Topklubs aus den Topligen der Fußballwelt hinter ihm her.

Reif für den nächsten Schritt

Mateu Morey mag dazu nicht viel sagen. Vorbei ist vorbei, natürlich sei er stolz auf seine frühen Erfolge, "aber sie geben dir keine Garantie dafür, dass es unbedingt klappen muss mit der ganz großen Karriere". Ja, er hätte nach vier Jahren in La Masia, der wohl berühmtesten Nachwuchsakademie der Welt, auch in Barcelona bleiben können. Die Blaugrana sind ihm ans Herz gewachsen, die Entfernung zum Heimatstädtchen Petra auf Mallorca ist überschaubar, da drängt sich eine Veränderung nicht unbedingt auf. In den spanischen Zeitungen ist Barca schon dezent dafür kritisiert worden, dass wieder eine Begabung aus dem eigenen Nachwuchs sein sportliches Glück woanders sucht. Morey ist im März 19 geworden und spürte selbst, "dass ich an dem Punkt war, an dem die Zeit reif war für den nächsten Schritt". Für den Wechsel nach Dortmund. "Es war keine leichte Entscheidung, aber nach langer Überlegung habe ich gemeinsam mit meiner Familie die Entscheidung getroffen, die wunderbare Etappe beim FC Barcelona zu beenden, um ein neues und aufregendes Abenteuer zu beginnen."

In einem aufregenden Transfersommer war Mateu Morey sicherlich nicht die spektakulärste Neuerwerbung in Schwarzgelb. Aber allemal eine überaus spannende. Ein Außenverteidiger, der das Spiel so offensiv interpretiert, wie es in Barcelona seit den Jahren von Johan Cruyff gelehrt wird. Kurze Pässe und wenige Kontakte, immer mit einem Sinn für die Schönheit des Spiels. Cruyffs Meisterschüler Pep Guardiola hat dieses Prinzip zu Beginn des dritten Jahrtausends perfektioniert. Unter seinen Nachfolgern ist das berühmte Tiki-Taka ein wenig verwässert worden – und gilt doch den Lordsiegelbewahrern des schönen Spiels immer noch als das Maß aller Dinge. "Tiki-Taka ist die Kunst, den Ball und den Gegner laufen zu lassen", sagt Mateu Morey. "Das Schöne hier in Dortmund ist, dass wir auch immer den Ball haben wollen." Und er habe sich schon ein wenig verliebt in die Art, wie der BVB sein Spiel aufzieht.

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Dazu muss man wissen, dass Lucien Favre zwar als kleiner Junge dem brasilianischen Fußball verfiel. Aber später dann, als junger Trainer, hat er zu Johan Cruyff aufgeschaut. Sein prägendes Praktikum bei der Ausbildung zum Fußballlehrer absolvierte Favre bei König Johan in Barcelona. Bis heute ist der BVB-Trainer ein Aficionado des schnellen Spiels mit kreativen Lösungen. Zur Verpflichtung eines in La Masia ausgebildeten Spielers muss man ihn nicht lange überreden, auch wenn dieser wegen einer Knieverletzung lang hatte pausieren müssen und die Zwangspause noch einmal verlängern musste, weil das Gelenk bei Belastung wieder rebellierte. Für den BVB-Trainer zählen andere Kriterien.

Was halten Sie von Mateu Morey, Monsieur Favre? "Er ist okay!" Wer Favres strenge Maßstäbe kennt, wird diesen knappen Satz als überschwängliches Kompliment werten.

Das Duell mit Jadon Sancho

Der Schweizer Fußballprofessor ist bekannt für stundenlanges Videostudium, und natürlich hat er sich auch das Best-of von Mateu Morey angeschaut. Die Flankenläufe auf dem rechen Flügel, an deren Ende mindestens eine gefährliche Hereingabe steht, flach oder hoch, für die richtige Entscheidung genügt Morey ein kurzer Augenaufschlag. Bei der U17-Europameisterschaft 2017 in Kroatien schoss Morey im Viertelfinale gegen Frankreich ein großartiges Tor, er verwandelte im Halbfinale beim Elfmeterschießen gegen Deutschland seinen Versuch wie auch im Endspiel gegen England, nachdem er zuvor schon in der regulären Spielzeit getroffen hatte. Dass er es in jenem Finale auf seiner rechten Abwehrseite mit einem gewissen Jadon Sancho zu tun hatte, ist ihm bis heute vor Augen. "Jadon kann einer der besten Spieler auf der Welt werden", sagt Morey, und natürlich sei es ihm ein besonderes Vergnügen, zweieinhalb Jahre nach dem EM-Finale mit eben diesem Ausnahmetalent in einer Mannschaft zu spielen.

Es gibt ein Video, das Morey nach der Rückkehr vom EM-Finale zeigt. Der Bürgermeister von Palma de Mallorca empfängt im altehrwürdigen Rathaus den jungen Helden der Insel, der in kurzen Hosen und Poloshirt erschienen ist, die Goldmedaille baumelt um seinen Hals und die Honoratioren schmachten ihn an. Ein stolzes Mallorca empfängt seinen Europameister. Mateu Morey lächelt bescheiden zurück, vorbei an der Kamera in die Augen des Bürgermeisters.

Was folgte, war im Jahr darauf der Gewinn der UEFA Youth League. Barcas Jugend regierte Europa und damit auch ein bisschen die Welt. Morey war ganz oben, aber dann zickte das Knie, konservative Heilung ohne Operation, aber die Saison war futsch. Dann kam das Angebot vom BVB, Michael Zorc hat es so begründet: "Mateu Morey ist ein großes Abwehr-Talent aus der Fußballschule des FC Barcelona, das über ausgeprägte technische Qualität verfügt. Wir sehen diesen Transfer perspektivisch und freuen uns darauf, Mateu im Profibereich weiterentwickeln zu können."

Rückschlag in der Vorbereitung

Es ließ sich ganz gut an in den ersten Dortmunder Wochen. Mateu Morey war auf den Punkt fit und tat das, was er am liebsten und am besten tut. Angreifen und verteidigen. Gleich im ersten Testspiel gegen den FC Schweinberg verantwortete er ohne jede Anpassungsschwierigkeiten die für ihn völlig ungewohnte linke Flanke, bereitete ein Tor vor und schoss auch noch eines selbst. In Barcelona hatte er eine ganz spezielle Jubel-Choreographie, beide Arme vor der Brust gekreuzt. Nichts davon war beim BVB zu sehen – bloß nicht zu viel Aufsehen erregen nach einem sportlich doch nicht ganz so wertvollen Erfolgserlebnis gegen einen Kreisligisten, und wer will schon über Gebühr ein Tor gegen Schweinberg zelebrieren, nur weil es das erste für den neuen Arbeitgeber ist?

Bei der Tournee durch die USA zählte er zu den auffälligsten Spielern. Zurück in Deutschland war Mateu Morey die positive Überraschung des Sommers und fest eingeplant für das Supercupspiel gegen den FC Bayern. Favre hatte den Spanier in seinem Tableau als defensive Absicherung für Achraf Hakimi vorgesehen, als Absicherung für den Hispano-Marokkaner, auf dass dessen Brillanz die Dortmunder Offensive noch mehr beflügeln möge. So wurde es geprobt im Testspiel gegen den FC St. Gallen, das letzte im Trainingslager von Bad Ragaz. 

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Das Spiel war eigentlich schon vorbei, der BVB führte 4:1, als da auf der rechten Seite noch ein finaler Angriff vorgetragen wurde. Achraf Hakimi chippte den Ball in den Lauf von Mateu Morey, der noch einmal Tempo aufnahm, in die Mitte zog und dabei ohne Einflussnahme eines Gegenspielers abdriftete, für die Ewigkeit einer halben Sekunde über den aufgeweichten Rasen schwebte und dann ungeschützt aufschlug. Hakimi winkte sofort hinüber zur Bank, erst zaghaft und dann etwas heftiger. Morey schüttelte den Kopf, er stand auf, machte ein paar Schritte und schleppte sich Richtung Außenlinie.

Die Diagnose an sich war nicht so dramatisch. Schulterluxation, ein Fall von Auskugelung, kommt schon mal vor und erfordert keine Operation. Aber erstens zieht auch eine harmlose Luxuation eine Pause von ein paar Wochen nach sich und zweitens fügt sich eine neue Verletzung nach einer gerade überwundenen für gewöhnlich nicht gerade perfekt in das Selbstwertgefühl eines werdenden Profis.

Spitzname: "Terrier"

Dass Mateu Morey ein etwas anderer Fußballprofi ist, zeigte sich gerade im Umgang mit diesem erneuten Rückschlag. Er war es, der als Erster die Diagnose bekam. Und gleich darauf bei der BVB-Medienabteilung anfragte, ob er seine Verletzung denn über die sozialen Medien kommunizieren dürfe, er wolle da keine Verfahrensweisen aushebeln. Dieses Problem ist dann schnell aus der Welt geschafft worden, aber das Bild des mündigen, über den Tellerrand hinaus schauenden Profis ist erhalten geblieben. 

Zwei Monate lang hat Mateu Morey an seinem Comeback gearbeitet, auf dem Platz und in der Reha, aber auch im Deutsch-Kurs und mit dem Handy, mit WhatsApp-Nachrichten in einer neuen Sprache. Unter den Begleitern im Tross der Mannschaft hat er schon eine Spitznamen weg, wie er deutscher kaum sein könnte. Mateu Morey ist der Terrier. Der Mann, der sich in jeden Gegner verbeißt, bis er ihm endlich den Ball überlassen hat. "Ich werde um meine Chance beim BVB kämpfen", sagt Morey. Wer mag schon daran zweifeln?