Lange hat es gedauert, bis sich der DFB-Pokal zu dem etabliert hat, was er heute darstellt. Das war in den Kindertagen anders. Zwölf Jahre nach seiner Gründung spendierte der Verband dem Wettbewerb eine neue Trophäe. 1965 war das. Borussia Dortmunds Alfred „Aki“ Schmidt war der Erste, der sie überreicht bekam.

Im Grunde hatte das Endspiel um den DFB-Pokal 1964/65 nie eine faire Chance. Es war eine „Notlösung“, mit viel gutem Willen ein Trostpflaster für das geplatzte Traumfinale. Das Traumfinale lautete: Borussia Dortmund gegen FC Schalke 04. Das Revierderby als Pokalendspiel – diese Vorstellung elektrisierte die Fußball-Fans im Ruhrgebiet, das damals noch ein echter Kohlenpott war. Bis zum 17. April 1965. Da war Halbfinale. Da gewann der BVB mit 4:2 gegen den 1. FC Nürnberg. Da führte Schalke mit 3:1 in Aachen. Beim zweitklassigen Regionalligisten Alemannia. Und flog mit 3:4 nach Verlängerung aus dem Wettbewerb. Nix war’s mit dem ersten Revierderby-Pokalfinale der Geschichte. Dafür aber mit dem ersten Pokalsieg der Schwarzgelben.

Die Geschichte des Endspiels im Niedersachsenstadion zu Hannover ist schnell erzählt. Mannschaftskapitän Aki Schmidt brachte die Borussen schon nach zehn Minuten mit einem formvollendeten Lupfer in Führung. Lothar Emmerich erhöhte nur acht Minuten später aus der Distanz auf 2:0. Damit war die Messe gelesen. „Unsere schnelle Führung hat Aachen geschockt“, sagte Torwart Hans Tilkowski. „Sie hat ihnen den Mut genommen. So ist einfach kein gutes Spiel zustande gekommen.“ Obendrein lähmte die Hitze an jenem Tag den Antrieb des BVB, mehr zu tun als unbedingt erforderlich war. Und so entwickelten sich die folgenden 72 Minuten vor den Augen von Bundespräsident Heinrich Lübke, Bundestrainer Sepp Herberger und 54.998 weiteren Zuschauern zu den langweiligsten in der Historie der Pokalendspiele. Dass Lübke die Begegnung dennoch „ganz unterhaltsam“ fand, war entweder präsidiale Diplomatie oder seinem nicht sehr ausgeprägten Fußball-Sachverstand zuzuschreiben. Bundestrainer Sepp Herberger befand nach dem Spiel süffisant: „Das Wetter war schön. Am besten hat mir die Musik der Bundeswehrkapelle gefallen.“

Hans Tilkowski, tags zuvor in Abwesenheit zum dritten Mal Vater geworden und schon deshalb allerbester Dinge, schrieb in seiner Biographie: „Aachen war zu ängstlich, Borussia ohne Inspiration und ich im Tor weitgehend arbeitslos.“ Dass er an diesem Nachmittag überhaupt spielte, der Stammtorwart des Bundesliga-Dritten BVB und aktuelle Nationaltorwart, der Ende 1965 als erster Keeper überhaupt zu Deutschlands „Fußballer des Jahres“ gewählt werden sollte, kam für manche übrigens durchaus überraschend.

Allen voran für Bernhard Wessel. Borussias Nummer zwei hatte in allen Pokalrunden zuvor das Tor gehütet: beim 1:0 bei Preußen Münster (Tor: Reinhold Wosab), beim 2:1 bei Tennis Borussia Berlin (Tore: Schmidt/Wosab), beim 2:0 bei Eintracht Braunschweig (Tore: Emmerich) und auch beim 4:2 im Halbfinale gegen Nürnberg (Tore: Timo Konietzka 2, Emmerich, Wosab). Eine klare Aufgabentrennung von Trainer Hermann Eppenhoff lag dem zwar nicht zugrunde. Vielmehr war es in den 60er-Jahren so, dass es bisweilen Terminüberschneidungen zwischen Vereinswettbewerben und Länderspielen gab und Tilkowski als Nationaltorhüter hin und wieder fehlte. Dennoch hatten viele Experten auch im Finale mit Wessel gerechnet. Zumal Herausforderer Aachen klarer Außenseiter war.

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Doch Eppenhoff entschied sich für Hans Tilkowski. Dessen wichtigster Job zwischen dem 2:0 in der 18. und dem Schlusspfiff in der 90. bestand darin, die eigene Konzentration hochzuhalten und seine Vorderleute immer wieder zu mahnen, den Spielbetrieb nicht gänzlich einzustellen. „Du musst ja nur ein einziges Mal schlafen, der Gegner kommt glücklich zum Anschluss – und schon hast du ein völlig neues Spiel“. Und zwar eines, auf das Tilkowski an diesem Tag keine Lust hatte. Er wollte den Pokal. „Am Ende sind es Titel, die zählen“, sagt er. „Es ist weniger die Frage, wie sie zustande kommen sind.“

Apropos Pokal: Der war funkelnagelneu, zum Endspiel 1965 entworfen und angefertigt worden. Bundespräsident Lübke hatte ihn im Hubschrauber mit nach Hannover gebracht. Aki Schmidt nahm ihn nach dem Spiel entgegen. Am nächsten Tag präsentierten die BVB-Pokalhelden ihn in Dortmund auf offenen Wagen der Hansa-Brauerei. Der Fan-Andrang hielt sich allerdings in Grenzen, als die Mannschaft ihre Runden um den Borsigplatz drehte. Kein Vergleich zu den Meisterschaften 1956, 1957 und 1963. Und schon gar kein Vergleich zur Triumphfahrt ein Jahr später nach dem 2:1-Erfolg über den FC Liverpool im Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger.
Frank Fligge