Eine Saison mit Höhen und Tiefen und einem bitteren Ende liegt hinter uns. Wir blicken auf die Spielzeit 2022/23 zurück und stellen dabei ein großes Comeback in den Mittelpunkt. Teil 3 des Saison-Rückblicks. (Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2.)

Ende April lassen die Münchner bei einer Niederlage in Mainz Punkte liegen. Die Spielplaner der DFL haben vorgesehen, dass der BVB erst am Abend spielen muss und das Ergebnis des größten Konkurrenten beim Anstoß gegen Eintracht Frankfurt bereits kennt. Als die Profis den SIGNAL IDUNA PARK betreten, werden sie von einer atemberaubenden Atmosphäre empfangen. Die Fans auf den Tribünen haben den richtigen Riecher und treiben ihre Mannschaft nach vorn. Mit einem 4:0-Sieg stürmt der BVB auf Platz eins. „Der BVB ist wieder da!“, schallt es von den Rängen. „Es war sehr intensiv. Marco hat mir schon im Bus gesagt, dass das Stadion heute ausrasten wird – für mich ist es jedes Mal ein Gänsehaut-Moment, heute war es richtig krass. Bestes Stadion der Welt!“, sagt Karim Adeyemi. 

Doch auch nach diesem Erfolgserlebnis ist der BVB nur für eine Woche Tabellenführer, nachdem Schwarzgelb in Bochum nicht über ein Unentschieden hinauskommt. Es ist ein Auf und Ab, ein ständiger Wechsel auf Platz eins, der Kampf um die Deutsche Meisterschaft spitzt sich zu, es ist spannend bis zum Ende. Zu Hause gibt sich die Mannschaft weiterhin keine Blöße und zeigt sich gegen Wolfsburg (6:0) und Mönchengladbach (5:2) treffsicher. Vor der nächsten Auswärtsfahrt der Borussen müssen die Münchner mit einem Heimspiel gegen Leipzig vorlegen. Gerade als der BVB in Augsburg eingetroffen ist, beginnt das Spiel. Mannschaft, Trainer und Betreuer verfolgen die Partie gemeinsam im Hotel und sehen die Niederlage der Bayern. Ein Sieg in Augsburg und der BVB wäre wieder Tabellenführer.

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Am nächsten Tag gewinnt der BVB mit 3:0. Die ersten beiden Tore erzielt Sebastien Haller, der auch schon in den beiden vorangegangenen Heimspielen getroffen hat, und stößt die Tür zur Meisterschaft weit auf. Terzic bezeichnet die Rückkehr des Torjägers als „das größte Wunder“ der Saison. Er habe aber nicht nur als Stürmer gefehlt, „sondern auch als Mensch in der Kabine. Er ist so wichtig.“ Wie die Spielzeit auch ausgehen wird: „Es bleibt die tollste Geschichte, die wir diese Saison erlebt haben. Wir sind unglaublich stolz, dass Seb endlich wieder regelmäßig mit uns auf dem Platz steht. Das ist nicht selbstverständlich. Extrem viel Wille, Fleiß und positive Energie haben ihn in diese Situation gebracht.“ 

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Der Stürmer macht das Offensivspiel des BVB besser. Gemeinsam hat das Trio Haller, Malen und Adeyemi, alle vor dem Jahreswechsel noch torlos, 24 Treffer erzielt. Mit Haller auf dem Platz holt der BVB 2,5 Punkte pro Spiel, ohne ihn nur 1,7. Überhaupt weisen die Statistiker schon vor dem letzten Saisonspiel herausragende Werte für die Mannschaft auf: Mit 56 Toren im Kalenderjahr 2023 stellt Schwarzgelb die torgefährlichste Offensive in allen europäischen Topligen. 22 Siege sind Bestwert in der Liga. Der BVB spielt im eigenen Stadion die beste Saison der Vereinsgeschichte; 42 Punkte sind schon vor dem letzten Spiel Bestwert. „Wenn wir eine Phase in unserem Spiel hatten, in der es sich nicht leicht angefühlt hat, waren unsere Fans da, um uns zu tragen. Das war ein schöner gemeinsamer Weg, den wir bis jetzt gegangen sind. Den wollen wir am Samstag mit einem Sieg krönen“, sagt Terzic vor dem letzten Saisonspiel, in das der BVB mit einem Vorsprung von zwei Punkten geht und auf das eine ganze Stadt eine Woche lang hinfiebert. Von Tag zu Tag sieht man mehr Menschen in schwarzgelben Trikots, Fahnen hängen aus den Fenstern und wehen vor den Häusern. Die Woche scheint sich endlos hinzuzuziehen, bis der letzte Spieltag endlich gekommen ist. 

Die Vorfreude gipfelt am Samstag, als sich die Anhänger schon frühmorgens auf den Weg zu den Kneipen machen, um den besten Platz zu ergattern. Auch die Fans, die sich über eine der begehrten Karten freuen dürfen, ziehen früher als sonst Richtung SIGNAL IDUNA PARK und legen dabei teilweise den Straßenverkehr lahm. Im ohnehin schon stimmungsvollen Stadion ist die Atmosphäre noch einmal ganz besonders. Wir sind laut wie noch nie.

Ein Tor fehlt

Nach dem Anpfiff liegt Borussia Dortmund schnell zurück. Einen Foulelfmeter verschießt Sebastien Haller. Im Fußball wird das Wort „ausgerechnet“ häufig überstrapaziert, aber an dieser Stelle passt es. Ein Tor im letzten Saisonspiel, ein möglicherweise entscheidendes auf dem Weg zum Titelgewinn von dem Mann, der noch im Sommer schwer erkrankt war? Diese Wendung wäre wahrscheinlich selbst Hollywood zu viel gewesen. Kurz darauf liegt die Borussia mit 0:2 hinten. Unterdessen führt München in Köln und ist in der Tabelle wieder vorbeigezogen. Dortmund rennt an, kommt aber erst rund 20 Minuten vor dem Schlusspfiff zum Anschlusstreffer. Zehn Minuten später brandet bei einem harmlosen Einwurf Jubel auf. Köln hat ausgeglichen, der BVB ist in diesem Moment wieder Tabellenführer. In der zweiten Halbzeit hält es niemanden mehr auf seinem Sitz. Alle stehen, auch wer keine Stehplatzkarte hat. In die Dortmunder Drangphase platzt die Nachricht, dass München erneut in Führung liegt, eine Minute vor dem Abpfiff. Der Dortmunder Ausgleich weit in der Nachspielzeit ändert nichts mehr. Am Ende fehlt ein Tor zur Deutschen Meisterschaft.

Mit Abpfiff wird es schlagartig leise. Wo die Spieler stehen, sinken sie zu Boden. Sie halten sich die Hände vors Gesicht, lassen ihren Emotionen freien Lauf. Stille. Minutenlang. Fassungslosigkeit auf den Rängen und auf dem Rasen. Fast niemand verlässt das Stadion. Wir waren so laut wie noch nie. Jetzt sind wir so leise wie noch nie.  

Die Stille nach dem Schock.

Nach einigen Momenten geht Edin Terzic nacheinander zu seinen Spielern und tröstet sie. Zaghafter, aufmunternder Applaus kommt hier und da auf. Doch die Stille überwiegt bei weitem in Deutschlands größtem Stadion. Was dann nach einigen Minuten passiert, gibt es sonst wohl nirgendwo. Die Fans auf der Südtribüne haben ein Gespür für die Situation und stimmen Fangesänge an. „Unser ganzes Leben, unser ganzer Stolz.“ „Wir sind alle Dortmunder Jungs.“ „Es gibt nie, nie, nie einen anderen Verein.“ Sie fordern sie Spieler auf, zu ihnen zu kommen. Langsam gehen die Borussen Richtung Südtribüne. Kurz darauf gehen einige Spieler hinter die Bande und klatschen mit den Fans ab, die sie auffangen wollen. Edin Terzic geht alleine eine Runde durch das Stadion und bedankt sich bei den Fans auf den Rängen. 

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„Genau das ist Borussia Dortmund. Dieser Zusammenhalt und das gegenseitige Hochziehen nach Misserfolgen und Enttäuschungen. Wir kommen wieder“, schreibt Mats Hummels mit einem Tag Abstand. „Wir werden es wieder versuchen. Wir werden wieder versuchen, es besser zu machen“, sagt Edin Terzic. 
Christina Reinke

Zu Teil 1 und Teil 2 des Saison-Rückblicks.