Die Premiere League glänzt mit Weltstars und spielerischer Extraklasse, La Liga trumpft auf mit der gigantischen Strahlkraft von Real Madrid und FC Barcelona. Und dennoch verfügt auch die Bundesliga über ein Alleinstellungsmerkmal: Emotionen! Davon konnte sich am Samstagabend die gesamte Fußballwelt überzeugen. Erstmals waren Journalisten aus allen Kontinenten bei einem Spiel der Fußball-Bundesliga mit dabei: 20 TV-Sender transportierten Momente, die unbeschreiblich sind.

La Coruna. Malaga. Nun München. Auch wenn am Ende kein Sieg stand, dieses 2:2 gegen den FC Bayern fühlte sich so an. 0:2 lag der BVB nach einer Stunde hinten, ohne bis dahin einen Deut schlechter gewesen zu sein als der Gegner. Dann wankte er bedenklich, aber er fiel nicht. Er bäumte sich auf. Trainer Edin Terzic machte das Spiel bewusst wild mit der Hereinnahme eines zweiten Mittelstürmers. Nach 4-3-3 (gegen den Ball 4-5-1) zu Beginn und nach 4-2-3-1 ab Minute 54 brachte die zweite Systemumstellung in diesem Spiel – ein 4-4-2 mit Mittelfeldraute – die Wende. Die Mannschaft setzte das um, was der Coach zuvor gefordert hatte. Taktische Disziplin in den ersten 60 Minuten, dann Mut im eins gegen eins, umgesetzt vor allem durch Karim Adeyemi, den der mit Gelb vorbelastete Kingsley Coman buchstäblich nicht zu fassen bekam. Erst im zweiten Versuch riss er den Borussen nach 89 Minuten und 29 Sekunden vom Ball weg. Schiedsrichter Deniz Aytekin zeigte Gelb-Rot.

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Zu diesem Zeitpunkt stand es 2:1 für die Gäste durch Fernschüsse von Leon Goretzka (33. Minute) und Leroy Sané (53.), ironischerweise im Ruhrgebiet geboren, in Bochum und in Essen. In der 74. Minute hatte der bewegliche, umtriebige Youssoufa Moukoko auf 1:2 verkürzt, eingeleitet von Tony Modeste, was Terzic bemerkenswert fand: „Dass er den besser postierten Mitspieler gefunden hat, ist nicht selbstverständlich für jemanden, der unbedingt Tore schießen möchte.“

Zwei Minuten und 13 Sekunden der angezeigten, vierminütigen Nachspielzeit waren verstrichen, als Terzic – im Eishockey würde man sagen: „seinen Torwart vom Eis nahm“ – Alex Meyer das Signal gab, bei einem Eckball mit nach vorne zu gehen. Meyer kehrte bis zum Abpfiff nicht mehr an seinen Arbeitsplatz im Strafraum zurück, sondern wirkte als elfter Feldspieler.

Elf gegen neun.

Thorgan Hazard auf Meyer, der zu Nico Schlotterbeck. Langer Ball in den Strafraum. Josip Stanisic köpft ihn zur Ecke. Noch 64 Sekunden. Goretzka klärt per Kopf. Einwurf Hazard auf Höhe des Mittelkreises. Noch 52 Sekunden. Langer Ball von Adeyemi nach links in den Strafraum. Nouassir Mazraoui klärt vor Niklas Süle. Einwurf auf der linken Seite, Höhe 16-Meter-Linie. Noch 26 Sekunden. Raphael Guerreiro wirft zu Jude Bellingham, Flanke vom linken Flügel, Manuel Neuer wehrt mit einer Hand ab. Hazard versucht es vom rechten Strafraumeck. Benjamin Pavard hindert Marius Wolf am Nachschuss, Stanisic pölt die Kugel hoch raus, auf Adeyemi, rechts im Halbfeld.

Noch elf Sekunden.

Adeyemi geht ins Dribbling. Noch acht Sekunden. Hoher Ball zentral in den Strafraum, aber zu ungenau. Schlotterbeck will ihn nicht ins Aus gehen lassen. Auf der Grundlinie rutscht der Abwehrspieler weg. Aber der Ball ist noch im Feld. Schlotterbeck rappelt sich auf.

Noch vier Sekunden.

Schlotterbeck steht immer noch außerhalb des Spielfelds. Hat den Kopf oben. Sieht Modeste am langen Pfosten. Gefühlvolle Flanke über Upamecano, Neuer und Pavard hinweg. Modeste ist da! Mit dem Kopf! Die Uhr springt in diesem Moment von 93:59 auf 94:00. „Dann ist das Stadion explodiert“, sagt Schlotterbeck später über diesen Moment. „Wir haben bis zum letzten Moment daran geglaubt, dass in Dortmund alles passieren kann“, meint Adeyemi.

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Es sind die Momente puren Glücks. In den Augen der Spieler, der Trainer und der Fans. „Die ganze Mannschaft, das ganze Stadion hat sich mit Tony gefreut“, erklärt Terzic später. Bereits am Dienstag, vor dem Spiel in Sevilla, hatte er sich gewünscht, „dass beide treffen, Youssoufa und Tony“, um die Diskussion um die beiden verstummen zu lassen. Am Samstag sagte der Trainer: „Wir sind uns sicher, dass sowohl Youssoufa als auch Tony weiterhin Tore für uns erzielen werden.“

Gegen den FC Bayern München trafen der jüngste und der älteste Spieler auf dem Platz zum 2:2, das sich – wie gesagt – anfühlt wie ein Sieg, aber tatsächlich keiner ist. „Wir haben nicht gewonnen“, betonte Schlotterbeck. „Es ist sicher besser, einen Zähler mitzunehmen als mit leeren Händen aus der Partie zu gehen. Die Saison ist noch lang, wer weiß, wofür der noch gut ist“, meinte Jude Bellingham. Mit 16 Zählern aus neun Partien (1,78 im Schnitt) liegt der BVB außerhalb des markanten Zwei-Punkte-Schnitts.

Nächster Gegner ist am kommenden Sonntag Tabellenführer FC Union Berlin. Vorher geht es am Dienstag in der UEFA Champions League gegen den FC Sevilla. „Da wollen wir drei Punkte holen“, kündigte Moukoko an: „Dann sind wir – glaube ich – durch.“
Boris Rupert