Es waren Wochen der Glückseligkeit und Unbeschwertheit. Eine Zeit, in der der Fußball seine ganze Faszination entfaltete. Wir haben 2006 Momente erlebt, in denen sich unser Land in einem kollektiven Feierund Freudentaumel befand. Und jetzt stellen wir uns die Frage: War es wirklich nur ein (Sommer)märchen? Zu schön, um wahrhaftig zu sein?

Der Blick zurück ist durch die SPIEGEL-Enthüllungen getrübt. Und selbstverständlich gilt jetzt genau das, was die Fußball-Welt in Zusammenhang mit all den großen und kleinen FIFA-Skandalen der Vergangenheit gefordert hat: Alles muss hinterfragt und erklärt werden. Ohne Rücksicht auf die Verdienste der beteiligten Personen. Und jedes nachgewiesene Fehlverhalten muss für die Schuldigen Konsequenzen haben. Und selbstredend gilt bis zum Beweis die Unschuldsvermutung. Wenn der Fußball in Deutschland, Europa und der Welt es nicht schafft, seine Glaubwürdigkeit herzustellen, verspielt er seine Zukunft. Die ist angesichts der aktuellen Schlammschlacht selbst im Land des Weltmeisters ohnehin nicht rosig.
Dass es nahezu ausschließlich externe Institutionen sind, die den Fußball gerade aufmischen, ist für die Verbände wenig rühmlich. FBI, Staatsanwaltschaft und Presse haben für jene Aufklärung gesorgt, die eigentlich aus dem Establishment selbst hätte kommen müssen. Jetzt muss der Fußball es sich gefallen lassen, dass er von anderen vor sich hergetrieben wird. Wer zur Selbstreinigung nicht in der Lage ist, muss mit den Konsequenzen leben.

Und erst nachdem ich jegliche Form von Stimmenkauf, Korruption und Vetternwirtschaft aufs heftigste verurteilt und schonungslose Enthüllung gefordert habe, möchte ich ganz zart den Finger heben und auf einen Aspekt hinweisen, der meines Erachtens bisher zu kurz gekommen ist. Wenn eine Mauschel-FIFA ausschließlich durch Korruption eine WM in ein schon klimatisch untaugliches Land mit der schwächsten Bewerbung vergibt, wird der Fußball nicht nur durch die Machenschaften seelenloser Funktionäre im Hintergrund beschädigt. Er wird auch noch Schaden nehmen, wenn der Ball in einer homophoben Kamelreithochburg, in der der Fußball nun einmal nicht zuhause ist, rollt. 
Selbst wenn es bei der WM 2006 einen wie auch immer gearteten Stimmenkauf gegeben haben sollte, muss die Vergabe nach Deutschland anders bewertet werden. Die moralische Schuld der Handelnden wird dabei nicht in Frage gestellt. Es ist allerdings ein Riesenunterschied, ob eine WM in ein Land vergeben wird, das objektiv kein einziges Kriterium erfüllt oder in ein Land, das zu einem Sommermärchen in der Lage ist. Oder um es anders zu formulieren: Eine Entscheidung für Deutschland hätte es auch in einem sauberen Wahlgang unter Funktionären geben können, die das Wohl des Fußballs im Auge haben. Die Katar-Entscheidung war, ist und bleibt grotesk.
2006 war Deutschland weltoffen, heiter und tolerant. Gerade in diesen Tagen muss man daran erinnern. Als die Fans in Köln Ghana feierten (und sich die afrikanischen Fans mit „Kölle Alaaf“ revanchierten), erklärte Kapitän Stephen Appiah: „Ich hätte beinahe geweint, als ich die Leute gehört habe.“ Auf die Beinah-Tränen eines afrikanischen Profis und auf Wochen der Weltoffenheit durften wir damals stolz sein. Vieles von dem, was damals passierte, bleibt großartig. Unabhängig davon, wie die WM nach Deutschland kam.
(Hansi Küpper)