Lars Ricken sieht den BVB für den immer härter werdenden Konkurrenzkampf im Nachwuchsbereich der Profi-Vereine gerüstet. „Wir sind jetzt die Gejagten, aber diese Herausforderung nehmen wir an und werden unsere Stärken klar herausarbeiten“, versichert Borussia Dortmunds Nachwuchskoordinator in seiner Bilanz zum Jahreswechsel.

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Der ehemalige Profi, im Champions-League-Finale von 1997 in München gegen Juventus Turin Schütze des Jahrhunderttors, kündigt infrastrukturelle Verbesserungen auf dem Trainingsgelände im Sportpark Hohenbuschei an, er betont aber: „Brackel ist unsere Arbeitsstätte. Und das soll so bleiben.“

Müssten Sie Schulnoten vergeben, welche Zensur würden Sie den Nachwuchsmannschaften ins Halbjahreszeugnis schreiben?
„Pauschal lässt sich das schwer beurteilen. Man muss schon differenzieren und spezielle Dinge berücksichtigen. Im Sommer war es eine glatte 1, weil wir in vier Spielklassen Meister geworden sind, aktuell ist es eine 2+. Insofern haben wir noch Luft nach oben.“

Beginnen wir bei der U23, die noch kein Saisonspiel verloren hat. Wird das Ziel nun nach oben korrigiert in Richtung Aufstieg in die 3. Liga?
„Sportlich wollen wir immer das Maximale erreichen. Aber das ist ein zweischneidiges Schwert. In der 3. Liga spielst du in der Regel gegen den Abstieg, in der Regionalliga gewinnst du häufiger, schießt deutlich mehr Tore und kannst deine Stärken besser zeigen. Wir wollen die Jungs in der U23 auf ihrem Karriereweg weiter ausbilden und fördern, denn die wenigsten Spieler schaffen auf Anhieb den Sprung aus der U19 in die Bundesliga, wie z.B. Marcel Halstenberg, der von unserer U23 erst zum FC St. Pauli gewechselt und jetzt Stammspieler bei RB Leipzig geworden ist. Die Entwicklung dieser Mannschaft zeigt uns, wie richtig es war, sich klar für die U23 zu positionieren und sie nicht vom Spielbetrieb abzumelden, wie es andere Profi-Vereine getan haben. Und um auf die Frage zurückzukommen: Wir werden uns gegen einen Aufstieg in die 3. Liga natürlich nicht wehren.“

U23-Trainer Daniel Farke hat bei vielen Profi-Vereinen Begehrlichkeiten geweckt. Planen Sie mit ihm über das Saisonende hinaus?
„Daran sieht man, dass nicht allein Spieler von Borussia Dortmund sehr gefragt sind. Wir werden mit Daniel Farke zeitnah Gespräche führen. Zwölf ehemalige Mitarbeiter der Nachwuchsabteilung sind mittlerweile im Profi-Bereich der Bundesliga-Vereine beschäftigt, als Trainer, Co-Trainer, Athletiktrainer oder Physiotherapeuten. Auch das empfinden wir als Kompliment unserer Arbeit.“

„Vor der U19 den Hut ziehen“

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Kommen wir zur U19, die als Zweiter mit einem Punkt hinter Schalke 04 in die Winterpause gegangen ist. Viele Experten hatten erwartet, dass sie nach den vielen Rückschlägen ins Tabellenmittelfeld zurückfallen würde. Aber sie hat ganz schnell die Kurve gekriegt...
„Vor dieser Mannschaft kann ich nur den Hut ziehen. Sie hat mit Felix Passlack und Christian Pulisic zwei Top-Spieler an die Profis verloren. Für die beiden Jungs und die Nachwuchsabteilung ist das natürlich eine tolle Sache, für die U19 aber ein deutlicher Qualitätsverlust. Mit den schwer verletzten Janni Serra, Dario Scuderi und Patrick Fritsch fehlen ihr dazu drei weitere absolute Leistungsträger. Man darf nicht außer Acht lassen, welche Auswirkungen diese brutalen Verletzungen bei anderen Spielern haben. Sie sind über lange Jahre gemeinsam den Weg durch den Jugendbereich gegangen, haben Freundschaften geschlossen und erleben dann hautnah und unmittelbar diese fürchterlichen Verletzungen. Und plötzlich ist auch ihr Trainer Hannes Wolf nicht mehr da, mit dem sie drei Jahre lang durch Dick und Dünn gegangen sind. Das alles waren herbe Einschläge. Wie professionell und verantwortungsvoll sie damit umgegangen sind, wie sich jeder Spieler auch als Persönlichkeit weiterentwickelt hat, dafür verdient das gesamte Team einschließlich Trainerstab höchste Anerkennung.“

Was ist sportlich bis zum Saisonende möglich und realistisch?
„Nach dem Trainerwechsel von Hannes Wolf auf Benjamin Hoffmann habe ich klar zu verstehen gegeben, dass wir keinen Schritt von unserer sportlichen Ausrichtung abweichen und die Qualifikation für die Spiele um die Deutsche Meisterschaft unser Ziel bleiben muss. Die Mannschaft befindet sich auf einem guten Weg. In der UEFA Youth League haben wir uns als einziges deutsches Team über die Gruppenphase für die Play-off-Runde qualifiziert und wollen nun über Maccabi Haifa ins Achtelfinale. Nicht hoch genug zu bewerten ist der Fakt, dass vier unserer aktuellen U19-Spieler schon Einsätze bei den Profis hatten und Jakob Bruun Larsen als jüngster dänischer Spieler am Olympia-Turnier teilgenommen hat.“

„Man sieht positive Entwicklungen“

Auch die U17 hat sich als Tabellenzweiter hinter Schalke in die Winterpause verabschiedet, zwischenzeitlich aber wenig konstant gespielt. Gibt es dafür Erklärungen?
„Wir haben leider unnötig Punkte liegen gelassen gegen Teams, die nicht zum oberen Tabellendrittel zählen. Man muss berücksichtigen, dass uns wichtige Spieler wie Robin Kehr, Niclas Knoop oder Julius Schell wochenlang wegen schwerer Verletzungen nicht zur Verfügung gestanden haben. Auch die U17 hatte einen Trainerwechsel zu verkraften. Aber man sieht bei den Jungs eine positive Entwicklung, so dass wir guter Hoffnung sind, dass sich auch diese Mannschaft für die Endrundenspiele um die Deutsche Meisterschaft qualifiziert. Es gibt keinen Grund, warum man das ausschließen sollte, zumal – wie bei der U19 – Platz zwei reicht.“

Die U15 eilt in der Regionalliga von Sieg zu Sieg. Wächst da ein neuer Vorzeigejahrgang heran?
„Diese Mannschaft hat in den letzten eineinhalb Jahren ein Spiel verloren und ein Mal Unentschieden gespielt. Peter Warzinski leistet hier extrem gute Arbeit, hat im Scouting und bei der personellen Ausrichtung coole Entscheidungen getroffen. Das hohe Niveau im Training hilft den Jungs in der sportlichen Ausbildung und individuellen Weiterentwicklung. Das schlägt sich am Wochenende in den Ergebnissen nieder.“

„Haben im Nachwuchsbereich Maßstäbe gesetzt“

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Das Nachwuchsleistungszentrum ist mit höchsten Auszeichnungen zertifiziert worden. Man weiß aber, dass Stillstand Rückschritt bedeutet. Was muss der BVB tun, um in Zukunft den hohen Ansprüchen gerecht zu werden?
„Wir haben in den letzten Jahren im Nachwuchsbereich in Deutschland Maßstäbe gesetzt und für Aufsehen gesorgt, nicht nur wegen der Meisterschaften. Heute sind wir die Gejagten: Von der Konkurrenz direkt vor der Tür wie Schalke, Leverkusen, Köln, Mönchengladbach und Bochum oder den im Jugendbereich hoch ambitionierten Vereinen RB Leipzig, VfL Wolfsburg und TSG Hoffenheim. Die Engländer rüsten im Nachwuchsbereich auf, bei jedem unserer Spiele sind Socuts von der Insel anwesend. Aber Herumjammern hilft nicht. Man muss das als Herausforderung sehen und auch in diesem Wettbewerb unsere Stärken herausarbeiten: Wir sind kreativ, engagiert und ambitioniert, bleiben dabei aber familiär, ehrlich und gehen höchst wertschätzend miteinander um. Das empfinden so auch unsere Eltern und Gäste. Von diesem Weg werden wir nicht abgehen.“

Borussia Dortmund hat fast 150 000 Mitglieder, aber nur wenige Fans besuchen die Spiele der Nachwuchs-Mannschaften in Brackel, obwohl sie in der Regel hohes Niveau und Unterhaltung bieten. Was kann der Verein tun, um das Interesse an den Junioren-Teams zu steigern?
„Hans-Joachim Watzke hat ja angekündigt, dass wir auf dem Trainingsgelände nicht nur eine überdachte Sitzplatztribüne bauen, sondern den Zuschauern insgesamt mehr Komfort bieten wollen, damit wir hier auch unsere Heimspiele in der UEFA Youth League sowie in der Endrunde zur Deutschen Meisterschaft austragen können. Wir werden deutliche Verbesserungen vornehmen und planen zum Beispiel auch einen gastronomischen Bereich. Doch viel wichtiger und entscheidender bleiben die handelnden Personen. In diesem Bereich sind wir hervorragend aufgestellt. Jeder kennt seine Position, jeder fühlt sich auf seiner Position wohl, jeder arbeitet im Sinne der Entwicklung der Spieler und damit im Sinne des Vereins. Brackel ist keine Wellnesszone, sondern eine Arbeitsstätte. Und das soll so bleiben.“
Interview: Wilfried Wittke