Zwei Tore in einem Endspiel zu schießen – davon träumt jeder kleine Junge, der später mal Fußballprofi werden möchte. Norbert Dickel und Karl-Heinz Riedle haben es beide geschafft, beide für den BVB.

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Norbert Dickel im Pokalfinale 1989 gegen Werder Bremen

Der eine 1989 im Pokalfinale, der andere 1997 im Finale der UEFA Champions League. Zwei legendäre Endspiele, zwei große Triumphe. Zwei große Fußballer, die zu Legenden im schwarzgelben Trikot wurden, erinnern sich – und blicken zugleich voraus auf das Pokalfinale am kommenden Wochenende gegen Eintracht Frankfurt.

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Kalle Riedle gewann 1997 mit dem BVB die UEFA Champions League

Kalle, Du hast der Legende zufolge in der Nacht vor dem Champions-League-Finale 1997 von zwei Toren geträumt, und angeblich sogar so präzise, dass eins per Kopf fallen würde und eins per Fuß.
Riedle: Das war wirklich so. Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht und habe zu Martin Kree gesagt, dass ich gerade einen Traum hatte, in dem ich zwei Tore geschossen habe. Verrückt, oder?
Dickel: Unglaublich! Ich kannte die Geschichte, aber nur aus dem Internet. Jetzt, wo ich sie zum ersten Mal aus Deinem Mund höre, Kalle, glaube ich sie auch.

Nobby, hast Du was Ähnliches von 1989 in petto?
Dickel: Im Leben nicht! Bei mir war in der Nacht vor dem Spiel ja nicht mal klar, ob ich überhaupt spielen könnte. Aus dem Grund brauchte ich mir nicht mal im Traum darüber Gedanken zu machen, ob ich Tore schieße. Dass ich spiele, habe ich erst am Morgen des Spieltags gesagt bekommen. Aber hätte ich das schon vorher gewusst, hätte ich natürlich – ich schwöre hoch und heilig! – genau dasselbe geträumt wie Kalle!

Vermutlich wärst Du schon mit dem Traum zufrieden gewesen, den Weg von der Kabine aufs Spielfeld unfallfrei hinzubekommen.
Riedle: (lacht schallend)
Dickel: (lacht mit) So schlimm war es damals noch nicht!

Mal im Ernst: Du hast am Tag vor dem Finale zum ersten Mal seit der Verletzung wieder trainiert, die Du Dir sechs Wochen vorher im Halbfinale zugezogen hattest?
Dickel: Aber beim Spielchen habe ich ein paar Tore geschossen, da wusste ich: Es passt, ich bin rechtzeitig fit geworden!

Ihr beide spieltet im Finale 1989 eine bedeutende Rolle…
Riedle: Nobby leider eine bessere als ich.
Dickel: Du hast halt nur ein Tor geschossen!
Riedle: Heute darf ich es ja sagen: Wir hatten halt so blinde Verteidiger. (lacht)
Dickel: Was? Also den Bratseth fand ich persönlich nicht so schlecht.
Riedle: Bratfett hieß der bei uns in den Tagen nach dem Spiel!

…jedenfalls schoss Kalle das erste Tor des Spiels, das 1:0 für Werder.
Dickel: Und was für eines! Kalle war damals, und das sage ich jetzt vollkommen ohne Ironie, ein Stürmer der Extraklasse! Aber darüber hinaus vermeidet er es auffällig, mit mir über dieses Spiel zu sprechen. (lacht)
Riedle: Aus gutem Grund! Ohne Dortmund zu nahe zu treten: Wir waren 1988 Meister geworden und hatten seitdem einen guten Lauf, wir waren wahrscheinlich der Favorit…
Dickel: …Ihr wart der klare Favorit, Kalle: der klare Favorit!
Riedle: Es schien jedenfalls alles für uns zu sprechen, Ihr hattet obendrein Verletzungen zu beklagen – aber in dem Moment, als sie Dich aktiviert haben, hat sich natürlich alles relativiert. (lacht) Unser Start war an sich auch nicht schlecht, aber dann haben wir aufgrund individueller Fehler absolut verdient verloren.
Dickel: Du bist ein messerscharfer Analytiker!

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Pokalsieger 1989 mit dem BVB: Norbert Dickel

Blicken wir auf das Pokalfinale am kommenden Wochenende in Berlin. Aus Eurer Erfahrung als Weltmeister, Champions-League-Sieger, Deutscher Meister und Pokalsieger – wie gewinnt man ein Finale?
Riedle: Nun, so wahnsinnig viele Endspiele habe ich ja nun auch nicht gewonnen, 1997 das mit dem BVB gegen Juve, denn 1990 im WM-Finale habe ich nur von außen Daumen gedrückt – aber nachdem wir nun unsere Mannschaft über die gesamte Saison hinweg gesehen haben: Wenn mehr oder weniger alle an dem Tag an Bord sind und ihre beste Leistung abrufen können, dann steht für mich außer Frage, dass wir den Pokal gewinnen.
Dickel: Individuell sind wir besser, kein Zweifel. Aber: Wir müssen darauf eingestellt sein, dass Frankfurt darauf aus sein wird, jeden Angriff durch erlaubte oder auch nicht erlaubte Mittel zu stoppen.
Riedle: Frankfurt hat in der Rückrunde nicht den allerbesten Lauf, aber Du hast Recht: Was auf dem Papier steht, interessiert nicht mehr, wenn das Finale angepfiffen ist.
Dickel: Dafür haben wir noch ein riesiges Pfund: Wenn die Jungs, die es schon erlebt haben, den Jüngeren und denen, die es noch nicht miterlebt haben, erzählen, wie geil das ist, mit dem Wagen durch die Stadt zu fahren, dann rennen unter Garantie alle wie die Hasen!

Für die Jüngeren, die es nie gesehen haben: Was waren denn in den Endspielen 1989 und auch 1997 die Schlüsselszenen, die zum Sieg des BVB geführt haben?
Dickel: Wie gesagt, aus meiner Sicht war Werder 89 der klare Favorit. Aber ab dem 1:1 haben wir daran geglaubt, dass wir gegen Bremen Tore erzielen können. Im Vorfeld schien uns das unglaublich schwer, die hatten eine super Abwehr. Nach der Pause haben wir hopp oder topp gespielt – und eiskalt gekontert.
Riedle: Richtig, ab dem Moment des Ausgleichs waren wir seltsam überfordert. 1997 war es aus meiner Sicht praktisch umgekehrt: Wir hatten die ersten 20 Minuten viel, viel Glück; wenn wir da 0:2 hinten liegen, kann sich niemand beklagen – aber dann ist der Fall auch erledigt. So flankte dann Paul Lambert, ich nehme den Ball runter und schieße das 1:0, da waren sie schon mal kurz geschockt. Und dann das 2:0 per Kopf gleich hinterher. Ab dem Moment war es selbst für diese überragende Juve-Mannschaft nicht mehr so einfach, einen Zwei-Tore-Rückstand aufzuholen.

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Bis zum Pokalsieg 1989 hatte der BVB 23 lange Jahre lang keinen Titel gewonnen – aus heutiger Zeit schier unvorstellbar, damals aber so etwas wie der Startschuss der Erfolgsära der Moderne?
Dickel: Nach dem Pokalsieg international wieder dabei zu sein, machte uns alle stolz. Insofern stimmt das schon mit dem Startschuss, oder nennen wir es den Wendepunkt zum Guten.
Riedle: Was seit dem Beinahekollaps von 2005 alles erreicht worden ist, vor allem in welcher Geschwindigkeit, ist schlichtweg sensationell. Wie diese Mannschaft heutzutage Fußball spielt, macht einfach Spaß.
Dickel: An der Stelle Hut ab vor dem, was Aki Watzke, Thomas Treß und Dr. Rauball für den BVB geleistet haben! Wir stehen finanziell nicht nur besser da denn je, wir hatten aus meiner Sicht auch nie einen stärkeren Kader mit so vielen jungen, unfassbar hoch talentierten Spielern. All das stimmt mich zuversichtlich, dass Borussia Dortmund auch in Zukunft erfolgreich sein wird.

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Nach dem Pokalsieg 1989 wurde bis zur Finalteilnahme 2008 genau ein Mal das Viertelfinale erreicht, sonst gab es nur Pleiten und Blamagen in den frühen Runden. Seit 2012 hingegen ist der BVB nahezu Stammgast in Berlin. Wie ist dieser extreme Wandel zu erklären?
Dickel: Von der aktuellen Stärke des Kaders abgesehen, ist für mich eines ganz entscheidend: Der Stellenwert des Pokals hat in den vergangenen zehn Jahren enorm zugenommen. Früher war der Pokal bei Weitem nicht so attraktiv wie heutzutage. Die Bedeutung für Vereine, Spieler und – bei allem „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ – auch für die Fans war nicht annähernd so hoch, es gab bei Weitem nicht so viel Geld zu verdienen. Entsprechend will heutzutage jeder so weit wie möglich kommen.

Der Kern der Mannschaften seit 2012 steht zum fünften Mal in den vergangenen sechs Jahren im Endspiel von Berlin – namentlich sind das Roman Weidenfeller, Marcel Schmelzer, Sven Bender, Nuri Sahin, Lukasz Piszczek.
Riedle: Die Jungs wissen inzwischen, wie der Rasen im Olympiastadion am Endspieltag riecht und wie die Atmosphäre an diesem Tag in Berlin ist – und deshalb wollen sie immer wieder dahin. Und sie wissen, wie groß realistisch betrachtet die Chance ist, für und mit dem BVB einen Titel zu gewinnen – nämlich in aller Regel größer als in der Meisterschaft oder gar in der Champions League.
Dickel: Bei den Genannten ist noch eines festzustellen: Wir sind technisch eine sehr, sehr starke Mannschaft, aber das sind, ohne den Jungs zu nahe zu treten und mit Ausnahme vielleicht von Nuri, alles keine Zauberer. Aber: Du wirst als Mannschaft auch nie mit zehn Zauberern Erfolge feiern. Du brauchst also auch Jungs, die ein bisschen fürs Grobe da sind und auch mal dazwischenhauen.

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Kalle, Du warst beim Halbfinale in München im Stadion: Was hast Du gedacht, als Arjen Robben schießt und Manni Bender das Bein ganz lang macht?
Riedle: Na klar, ich musste sofort an Jürgen Kohler im Halbfinale 1997 in Manchester denken. Aber ich hatte Aki Watzke schon vor dem Spiel geschrieben, dass ich ein super Gefühl habe, und dass wir das heute packen.

Und, kam eine Antwort?
Riedle: (lacht) Natürlich nicht! Ich glaube, er hatte einfach wie immer kein so gutes Gefühl wie ich und hat sich gedacht: Was schreibt mir der denn da für eine irre Nachricht!? Aber obwohl es zwischendurch wirklich nicht gut für uns ausgesehen hat, habe ich am Ende doch Recht behalten. Und jetzt fahren wir nach Berlin und holen uns den Pokal!
Dickel: Schönes Schlusswort!
Interview: Daniel Stolpe