Das Endspiel 1989: Borussia verwandelt Berlin in eine "Bananen-Republik"
"Hier werden elf Helden geboren!" ARD-Fernseh-Kommentator Jochen Sprentzel war geradezu fasziniert von dem, was sich im Rund des Berliner Olympiastadions abspielte. Auf den Tag genau 33 Jahre nach dem Gewinn der ersten Deutschen Meisterschaft - am 24. Juni 1956 mit einem 4:2-Sieg über den Karlsruher SC - entzauberte Borussia Dortmund an gleicher Stelle im DFB-Pokalfinale den haushohen Favoriten Werder Bremen mit sage und schreibe 4:1.
Der doppelte Dickel sowie Frank Mill und Michael Lusch schenkten den Männern von der Weser vier bittere Pillen in den so greifbar nah zu scheinenden Cup. Denn die Grün-Weißen waren durch "Kalle" Riedle, der acht Jahre später durch seine beiden Traumtore im Münchener Olympiastadion zum 3:1 gegen Juventus Turin im Champions-League-Finale wiederum zum BVB-Helden avancieren sollte, im Berliner Glutofen in Führung gegangen.
Der Hexenkessel dieses Pokal-Endspiels - nie zuvor oder danach hat es eine solche Invasion von Schwarz-Gelben irgendwohin gegeben - war im Vorfeld der Partie zum Kochen gebracht worden. Eine Woche zuvor hatte sich eine kleine BVB-Gruppe auf den Weg in die damals geteilte Stadt aufgemacht, um bei den Berlinern eine Sinneswandel vorzunehmen. Das Spiel war zwar ausverkauft, aber man wollte den Berlinern im Hinblick auf die zu erwartende "Völkerwanderung" ein sympathisches Bild von Dortmund und der Borussia vermitteln.
Beim Aufschlagen der größten deutschen Boulevard-Zeitung mit ihrem mächtigen Stammsitz mit Blick auf den "Check-Point-Charly" hieß es am 17. Juni, dem einstigen "Tag der deutschen Einheit": "75% der Berliner drücken Werder die Daumen".
Eine Woche später, am 24. Juni, dem Endspiel-Tag, hatten sich die Berliner, die durch die zahlreichen Auftritte der Bremer bei den Hallenturnieren in der Deutschlandhalle eine gewisse Nähe zu der Truppe von Otto Rehhagel entwickelt hatten, auf die Seite der Westfalen geschlagen. Denn in den sieben Tagen bis zum "deutschen Wembley" hatten die durch den damaligen BVB-Schatzmeister Werner Wirsing eingeleiteten Maßnahmen ihre Wirkung nicht verfehlt. So verteilten die Borussen, die mit einem Doppeldeckerbus der damaligen Union-Brauerei auffallend im gesamten Stadtgebiet umherkreisten und dabei tausende Fähnchen, Aufkleber, Sticker, Poster und vieles mehr an die Spree-Bürger, und sie verschenkten damit im übertragenen Sinne ihre Herzen an die Menschen dort. Man sprach miteinander und begegnete sich mit großer Offenheit.
Ein Mann half dabei den schwarz-gelben "Streetworkern" besonders: Helmut "Jockel" Bracht. Er, der anno 1956 selbst die Meisterschale in Berlin in den Himmel recken konnte, war im lebendigen Westteil der Stadt bekannt wie "ein bunter Hund". So gab es neben zahlreichen Auftritten und Veranstaltungen auch täglich den Besuch bei den Berliner Zeitungen - mit neuesten Nachrichten aus Dortmund einem leckeren Gruß aus der Bierstadt Nummer eins.
Der Zutritt in den Ostteil der Stadt wurde Bracht und seinen Meisterspielern von einst, die zwischenzeitlich auch eingetrudelt waren, leider verwehrt. Viele tausend Menschen warteten vergeblich auf die alten Helden, denen an der Grenze wegen unzulässigen Propaganda-Materials der Schlagbaum nicht geöffnet wurde. Das besagte Material waren kleine Mannschaftskarten mit der Aufschrift "Deutscher Meister 1956"! Es hätte BRD-Meister heißen müssen, wurde den Borussen mitgeteilt.
Der große Clou des Finales kam aber noch. Nachdem Werder eine in BVB-Trikots Spalier stehende Jugendmannschaft zum Empfang der Bremer Spieler vor dem Hotel dadurch ignorierte, indem man durch den Seiteneingang in die Nobelherberge ging, konnten die Bremer im Olympiastadion ihre Augen nicht mehr vor der schwarz-gelben Dominanz verschließen. In Zusammenarbeit mit "Chiquita" wurden am Stadion-Eingang 1.000 per Kompressor aufgeblasene Riesenbananen an den eingefleischten BVB-Fans verteilt. Die gelbe Pracht strahlte an diesem Tage mit der Sonne um die Wette. Spieler, Trainer und die Vereinsspitze waren ergriffen von der Szenerie und versprachen sich wenige Minuten vor dem Anpfiff: "Wir fahren hier nicht ohne diesen Pokal nach Hause, das können wir unseren Fans gar nicht antun."
Was dann folgte, erlebten 80.000 Besucher live und Millionen an den Fernsehrgeräten. Borussia hatte nach 23-jähriger Titel-Abstinenz wieder einen "Pott" geholt. Ringelsocken - wie sie die 56er Helden trugen - wurden wieder zum neuen Markenzeichen der ruhmreichen Borussia.
Fritz Lünschermann