Selbstbewusstsein mündet bei ihm nicht in Selbstzufriedenheit. Sein Auftreten ist forsch, aber nichts an ihm wirkt künstlich. „Ich weiß was ich kann“, sagt Manuel Akanji – und versichert zugleich: „Ich versuche, mich nicht zu überschätzen.“ Genauso beharrlich, wie er gegnerische Angreifer bekämpft, hat er um seine große Liebe gekämpft. Auch hier mit Erfolg: Im Sommer wird geheiratet.

Von diesen Tests, die dem Selbstbewusstsein ihrer Probanden auf die Schliche kommen wollen, existieren eine Menge. Nur ein paar Klicks, und schon wissen die Tiefseeltaucher im Internet, wie es um die Persönlichkeit des Kandidaten bestellt ist. Fühlt er sich unwohl in Situationen, die ihm nicht vertraut sind? Erfindet er Entschuldigungen, um soziale Kontakte zu meiden? Ist er nervös und unsicher, wenn er mit einer Autoritätsperson spricht? Wirkt er in Gegenwart fremder Menschen angespannt und gehemmt? Und zu guter Letzt: Gibt er bei Meinungsverschiedenheiten meist als Erster nach? Ein Portal im weltweiten Netz verspricht „108 Geheimnisse für mehr Selbstbewusstsein“, sogar „absolut gratis“.

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Selbst wenn Maßnahmen gegen Unsicherheit, Hemmungen und Zweifel nur gegen Gebühr abzurufen wären: Manuel Akanji könnte sich die Investition glatt sparen. Dortmunds Innenverteidiger strotzt vor Selbstvertrauen, das animierte die Süddeutsche Zeitung sogar zu der vorsichtigen Frage, ob daraus einmal „Übermut oder Überheblichkeit“ werden könne? Akanji schüttelt lächelnd den Kopf, aber natürlich weiß er, dass der Grat, über den er wandelt, manchmal schmal sein kann. Sein Auftreten ist forsch, aber nichts an ihm wirkt künstlich, hochmütig oder vermessen. „Ich bin einfach so“, erzählt er, „ich bin sehr selbstbewusst, ich weiß was ich kann.“ Er habe Vertrauen in das, was er tue, und verhalte sich dementsprechend, sagt der Innen- verteidiger. Elementar wichtig für ihn: „Ich versuche, mich nicht zu überschätzen.“

Wer in seinem Kerngeschäft kampferprobt und widerstandsfähig ist, läuft auch außerhalb des Platzes nicht Gefahr, bei der ersten Gelegenheit gleich kleinbeizugeben. Am Abend des 31. August 2018 gehört Akanji zu den Spielern, die den Journalisten in der Mixed Zone der HDI Arena Rede und Antwort stehen. Hinter ihm liegt ein tristes 0:0 in Hannover, die Torchancen der Borussia lassen sich leicht an den Fingern einer Hand abzählen. Daraus entwickelt sich der folgende Dialog, ausgelöst von einem Reporter, der den Klub schon lange begleitet.„War das nicht etwas wenig heute?“„Was hatten Sie denn erwartet: Dass wir uns hier zehn Möglichkeiten rausspielen?“ „Zehn vielleicht nicht. Aber schon ein paar mehr als die wenigen, die Ihr hattet.“„Es läuft eben nicht immer alles nach Plan. Außerdem: Haben Sie in Ihrem Beruf nur gute Tage?“Nein. Hatte der Journalist nicht. Und Akanji hatte bewiesen, dass er als mündiger Profi seinen eigenen Kopf besitzt. Er ist mit seinen erst 23 Jahren direkt, geradeaus und findet in seinem privaten Umfeld ausreichend Menschen, die ihn notfalls wieder einfangen würden. „Ich versuche, das im Gleichgewicht zu halten“, versichert Akanji, „Familie, Freunde, meine Verlobte – ich habe die richtigen Leute um mich.“

Seit September mit Melanie verlobt

Seine Verlobte Melanie Windler lernt er vor vier Jahren in Winterthur kennen. Beide sind sich auf Anhieb sympathisch, Akanji fängt Feuer, möchte die attraktive Frau wiedersehen, kriegt aber erstmal einen Korb. Aus organisatorischen Gründen: Melanie Windler fliegt drei Tage nach der ersten Begegnung zu einem Austausch in die USA. Für vier lange Monate. „Ich habe auf sie gewartet“, erzählt der Fußballer lachend, im September 2018 hat er sich mit ihr verlobt, in diesem Sommer wird geheiratet. Wo, verrät Akanji nicht. „Das weiß niemand.“ Niemand außerhalb seines persönlichen Umfeldes. Mit seinem nigerianischen Vater Abimbola, mit Mutter Isabel und den Schwestern Michelle und Sarah wird der BVB-Profi sein Glück natürlich teilen. Sarah spielt ebenfalls Fußball, beim FC Winterthur in der ersten Liga. So wie sie leidenschaftlich die Gründung dieses Teams vorantrieb, tritt sie in der Politik für soziale Belange ein. Am 31. März kandidiert sie in der Schweiz bei den Kantonsratswahlen. Stolz sagt ihr Bruder: „Sarah kämpft für das, was sie für richtig hält.“

Sich einbringen, die Dinge mitgestalten, in der ersten Reihe Einfluss nehmen. Entlang dieser Leitplanken bewegt sich Akanji, und weil das „Alter nur eine Zahl“ ist, wie auch Teamkollege Jadon Sancho behauptet, übernimmt der Abwehrspieler schon früh Verantwortung.Als Marco Reus am 26. September in der Partie gegen Nürnberg (7:0) nach gut einer Stunde vorzeitig unter die Dusche darf, streift sich Akanji die Kapitänsbinde über. Sieben Wochen zuvor gegen den FC Zürich (4:3) im Rahmen des Trainingslagers in Bad Ragaz passiert das zum ersten Mal, unbemerkt von der Öffentlichkeit, der Test findet ohne Zuschauer statt. „Es ist schön, wenn ich diese Wertschätzung vom Trainer, von den Mitspielern und vom Vorstand bekomme“, freut sich Akanji. Und fügt hinzu: „Ich bin erst ein Jahr hier. Das macht mich sehr stolz. Es zeigt aber auch, dass ich es in diesem Jahr gut gemacht habe.“

Mathegenie und Mitglied im Mannschaftsrat

Eigentlich folgerichtig und wohl nur für ihn selbst „etwas überraschend“ wird der Innenverteidiger als Vertreter der jungen Generation auch in den Mannschaftsrat des BVB berufen. Akanji verfügt über bemerkenswerte kommunikative Fähigkeiten, er spricht Englisch, Französisch und Deutsch, so findet er im internationalen Kollegium zu fast allen Spielern einen Draht, „nur Spanisch fehlt“. Man könnte glatt meinen, dass Sprachen auf der Schule seine Paradedisziplin gewesen sein müssen, dabei besitzt Akanji auch eine beneidenswerte mathematische Begabung. Sein Kopf multipliziert schneller als ein Taschenrechner, seit einem Auftritt in einer Schweizer TV-Show gilt er als Rechengenie. „Ich hatte schon früh Spaß am Kopfrechnen“, verrät Akanji, „ich konnte das einfach gut.“ Wie aus der Pistole geschossen kommt das Ergebnis, wenn man ihn auffordert, zwei Zahlen zwischen elf und 99 zu nennen und malzunehmen. 24 x 75? Klar doch, 1800. Noch bevor im ZDF „Wetten, dass...?“, der Dinosaurier der Unterhaltungssendungen, zu Grabe getragen wird, fordern ihn Freunde spaßeshalber auf, sich als Kandidat zu bewerben. Akanji winkt ab, er sieht die Zahlengenies, „die mit Millionensummen arbeiten“, in einer anderen Liga als sich selbst. „Auf diesem Niveau passe ich lieber.“

Sportlich repräsentiert er nach nur 14 Monaten in der Bundesliga schon ein anerkannt hohes Niveau. Michael Zorc preist Akanji als „ziemlich kompletten“ Abwehrspieler, „gute Statur, kopfballstark, sehr schnell“. Was Dortmunds Sportdirektor früh auffällt, ist das Organisationstalent des Schweizers: Er kann eine Abwehr führen, die Höhe der letzten Linie situativ anpassen und verschieben. „Das“, betont Zorc, „macht ihn so wertvoll.“ Als der Transfer in seine entscheidende Phase einbiegt, unterzieht der oberste Personalplaner der Borussia Akanji einem finalen persönlichen Test. Mittwoch, 22. November 2017, St. Jakob- Park, ein Spiel der Champions-League-Gruppenphase. Der FC Basel besiegt den turmhohen Favoriten Manchester United mit 1:0. Viel mehr noch als das Last-Minute-Tor des mittlerweile bei Borussia Mönchengladbach beschäf- tigten Michael Lang gefällt Zorc der Spieler, wegen dem er die 500-km-Reise überhaupt angetreten hat. „Ein Top-Stürmer wie Romelu Lukaku“, sagt der BVB-Macher, „hat Manuel Akanji an diesem Abend überhaupt nicht beeindruckt. Das hat mir damals schon imponiert.“

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In diesen tristen Herbsttagen des Jahres 2017 tobt ein erbittertes Ringen um die Gunst des vielversprechenden Abwehr-Talentes. Es heißt, Juventus Turin lockt ihn, die beiden Mailänder Klubs, gerüchteweise ist auch von Schalke zu lesen. Dass Akanji Borussia Dortmund den Zuschlag gibt, führt Zorc auf damals schon sehr weit fortgeschrittene Überlegungen zurück, wie der damals 22-Jährige eingebunden werden kann. „Wir hatten direkt einen Plan mit ihm“, verrät der Sportdirektor, „wir haben ihm eine klare Perspektive aufgezeigt. Vielleicht war das woanders nicht so.“ Akanji unterschreibt bis 2022, das verschafft Zorc auch in Zeiten, in denen Verträge oft das Papier nicht wert sind, auf denen sie gedruckt sind, eine beruhigende Gewissheit: „Ich sehe ihn langfristig bei uns.“

Um in der Rückrunde wieder in die Gänge zu kommen und im 3:2-Drama gegen Leverkusen ein geglücktes Comeback feiern zu können, muss Akanji einen langen Anlauf nehmen. Der Muskelfaserriss, den er am 18. Dezember in Düsseldorf erleidet, verschafft ihm Zeit, rätselhaften Hüftbeschwerden auf den Grund zu gehen, die ihn schon länger plagen. Schambeinprobleme im Mai vergangenen Jahres verschwinden wieder, Akanji spielt die WM in Russland ohne Schmerzen, absolviert eine beschwerdefreie Sommervorbereitung. „Nach sechs, sieben Spielen habe ich dann etwas im Hüftbeuger gespürt“, erinnert er sich, und weil die Schmerzen „mal dort, mal im Adduktorenbereich und mal weiter hinten“ auftreten, konsultiert er im Januar verschiedene Spezialisten. Von ihnen erwartet Akanji eine überzeugende Antwort, ob bei ihm eine konservative Behandlung angeraten – oder eine Operation vonnöten ist. Doch davon raten ihm die Mediziner ab und legen ihm gezieltes Training ans Herz. An die BVB-Physios ergeht der Auftrag, Akanji (besser: dessen nicht optimal bewegliche Hüfte) vor jeder Einheit gezielt auf das anschließende Programm vorzubereiten.

Leidenszeit: fast zehn Wochen Pause

Fast zehn Wochen pausiert der 13-malige Schweizer Nationalspieler, das klingt nach einer langen Zeit und ist doch nur ein Klacks verglichen mit den elf Monaten, die er zwischen März 2016 und Februar 2017 wegen eines Kreuzbandrisses zur Untätigkeit verdammt war. Akanji, der als Profi eigentlich „jeden Moment genießen“ und „immer spielen“ möchte, lernt die Schattenseiten seines Berufes kennen. „Ich wollte einen Schuss blocken“, erzählt er der TagesWoche in einem äußerst persönlichen Gespräch, „der Ball flog mir ins Gesicht, ich war deswegen ein wenig beduselt; nicht ganz weg, aber ich war verwirrt im Kopf. Danach habe ich mich gefasst und ging in ein Laufduell. Wir waren beide gleichzeitig am Ball, und ich war mir etwas zu sicher, dass ich den Ball haben werde. Deshalb bin ich nicht hundertprozentig in den Zweikampf. Und so ist das Knie kaputtgegangen. Ich wusste: Irgendetwas Schlimmes ist passiert.“

Seitdem ihm an diesem Tag die eigene Verletzbarkeit vor Augen geführt wurde, macht sich Akanji „mehr Gedanken“. Mehr Gedanken über den eigenen Körper, über Pflege und Prophylaxe, über die Ernährung. In Dortmund konsultiert er regelmäßig eine Ernährungsberaterin, er isst jetzt mehr Gemüse und achtet darauf, genug Wasser zu trinken: „Man weiß es eigentlich, aber man macht es halt nicht immer.“ Als er sich im Januar auf ärztliches Anraten schonen soll, nimmt er weniger Kohlenhydrate zu sich, um nicht zuzunehmen. Die Hilfe eines Mentaltrainers hat Akanji auch bei persönlichen Rückschlägen bisher nie gesucht. Er beteuert: „Ich habe genug Vertrauen in meinen Körper und in meine Qualitäten, dass ich das schaffe. Und ich habe keine Zweifel an meiner Karriere.“

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Akanji beginnt diese Karriere im zentralen Mittelfeld und auf dem Flügel. Dort erlernt er die Fähigkeiten, die ihn heute als Prototyp eines modernen Innenverteidigers erscheinen lassen. Akanji kann ein Spiel von hinten er- öffnen, es mit einem scharfen Vertikalpass strukturieren und beschleunigen. „Man braucht schon eine gewisse Technik, um diese Rolle so zu interpretieren“, unterstreicht er. „Heute ist es wichtig, der Mannschaft auch im Spielaufbau zu helfen. Das entspricht meinen Neigungen. Ich habe sehr gern den Ball und versuche, nicht den langen Ball zu schlagen, sondern kontrolliert nach vorn zu spielen.“ Georg Heitz, der ihn 2015 als Sportchef zum FC Basel holte, meint: „Manuel hat eine spezielle Dynamik. Er drischt die Bälle nicht einfach weg, sondern spielt sie gepflegt raus. Er wirkt, als hätte er bereits 100 Länderspiele absolviert.

“Anfangs sind seine Qualitäten als Impuls- und Passgeber aus den hinteren Reihen gar nicht so gefragt wie heute. In der Hinrunde 2017/18 wird Borussia Dortmund durch- geschüttelt wie von einem Betonmischer, Platz acht nach 15 Spieltagen lässt die Alarmsirenen schrillen, Trainer Peter Bosz muss gehen. Nachfolger Peter Stöger soll keine Schönheitspreise einheimsen, sondern das Saisonziel retten, die Direkt-Zulassung zur Königsklasse. Der österreichische Coach ordnet einen zweckmäßig-pragmatischen Fußball an, der von dem erst in der Winterpause verpflichteten Akanji eine ungewohnte Herangehensweise verlangt: „Ich hatte das Gefühl, wir hätten vor allem gekämpft und dagegengehalten“, verrät er im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), „jetzt spielen wir wieder mehr als vorher und versuchen, einen gepflegten Fußball mit Ballbesitz zu spielen.“Unter Lucien Favre spürt er, „dass ich auch als Innenverteidiger Teil des Offensivfußballs sein soll.“ Favre lässt ihm Freiheiten und animiert ihn ausdrücklich, seine Aufgabe konstruktiv auszufüllen. In Philosophie und Systematik des Trainers fällt Innenverteidigern eine fundamental wichtige Rolle zu. Vorstopper alter Prägung, deren wesentliche Kompetenz darin bestand, ihren Gegenspieler notfalls bis auf die Toilette zu verfolgen, haben ausgedient. „Heute ist es den Vereinen wichtig, dass ein Innenverteidiger gut mit dem Ball umgehen kann“, sagt Akanji, der als einer der antrittschnellsten Borussen mit hoher Geschwindigkeit ein weiteres Qualitätskriterium in die Waagschale werfen kann. Dass sein Top-Speed nur unwesentlich unter dem von Achraf Hakimi liegt, für den 35,1 km/h gemessen wurden, weckt Akanjis Ehrgeiz: „Dann muss ich noch etwas schneller werden.“

Wette mit US-Sportfan Pulisic

Mit seinem amerikanischen Teamkameraden Christian Pulisic befindet er sich in einer anderen Art von Wettstreit. Beide lieben Basketball, der eine (Akanji) entflammt für Oklahoma City Thunder, der andere (Pulisic) für die Los Angeles Lakers. Die Platzierung dieser beiden Klubs vor den Play-Offs entscheidet über den Gewinn einer attraktiven Wette: Wenn Oklahoma in der Western Conference auch am Ende noch vor den Lakers liegt, muss Pulisic seine Kreditkarte zücken und Akanji einen Flug nach London zu den Spielen der NFL International Series mitsamt Aufenthalt zahlen. Erst im April legt die National Football League die genauen Spieltermine für den Herbst fest. Die Carolina Panthers werden dann gegen die Tampa Bay Buccaneers antreten, die Chicago Bears gegen die Oakland Raiders, die Cincinatti Bengals gegen die Los Angeles Rams und die Houston Texans gegen die Jack- sonville Jaguars.Sollte Akanji die Wette verlieren, kommt er noch glimpflich davon. Pulisic muss er dann keinen Flug nach London mehr zahlen – der zum FC Chelsea wechselnde US-Boy lebt ab 1. Juli in der Hauptstadt des Vereinigten Königreiches.

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Autor: Alexander Neuhaus Fotos: Alexandre Simoes