Der SC Freiburg hat sich in nur 15 Monaten vom Abstiegs- zum Europapokal-Kandidaten gemausert. Vor allem die verbesserte Defensivleistung sorgte für den Aufschwung. Von der Euphorie um seine Mannschaft will Christian Streich jedoch nichts wissen. Der Trainer gibt weiterhin den Klassenerhalt als Saisonziel aus.

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Der SC Freiburg schreibt gerade an seiner ganz eigenen Version des Märchens vom Aschenputtel: Im Dezember 2011 lag der Sportclub mit mickrigen 13 Punkten am Tabellenende, hatte drei Zähler Rückstand auf den Relegationsplatz und fünf auf das rettende Ufer. Mit 39 Gegentoren war Freiburg die Schießbude der Liga. Am Tiefpunkt angekommen, konnte es eigentlich nur noch den Weg nach oben geben. Die Breisgauer spielten mit 27 errungenen Punkten eine starke Rückrunde und feierten letztlich sogar souverän den Klassenerhalt.
Auch in der aktuellen Saison knüpfte die Mannschaft nahtlos an diese Leistungen an. Mit nur 28 Gegentreffern stellt der Sportclub die zweitbeste Defensive (hinter Bayern München) und blieb zehnmal gänzlich ohne Gegentreffer. Die 2:5-Niederlage am vergangenen Wochenende gegen den VfL Wolfsburg scheint die berühmte Ausnahme zu sein, die die Regel bestätigt. Freiburg verlor bislang nur sieben Partien und dürfte den Vereinsrekord von 44 Zählern (Saison 1994/95) knacken können.

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Christian Streich

Einmal hat die Mannschaft in dieser Spielzeit bereits Geschichte geschrieben. Nach einem "Krimi" hat der SC Freiburg erstmals in der Vereinshistorie das Halbfinale des DFB-Pokals erreicht. Beim FSV Mainz 05 lagen die Breisgauer zur Halbzeit schon mit 0:2 zurück, ehe Daniel Caligiuri in der dritten Minute der Nachspielzeit per Elfmetertreffer zum 2:2 die Verlängerung erzwang. Anschließend schlug er noch einmal zu und markierte den 3:2-Siegtreffer.
Gut 15 Monate nach dem Wendepunkt ist aus Aschenputtel eine hübsche Braut geworden, aus dem Abstiegs- ein Europapokal-Kandidat. Nur der FC Bayern München, Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen und der FC Schalke 04 holten in dieser Zeit mehr Punkte; Mannschaften, die deutlich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Der Aufschwung ist untrennbar mit der Beförderung von Christian Streich zum Cheftrainer verbunden. Streich kennt und verkörpert den Verein wie kaum ein anderer. Seit 18 Jahren steht er als Übungsleiter in Diensten des SC und hat in der Nachwuchsabteilung schon etliche Spieler wie Dennis Aogo, Daniel Schwaab und Ömer Toprak zu Profis geformt. Teilweise durchliefen mehr als die Hälfte der Spieler aus der Startelf die Freiburger Jugendteams, darunter Oliver Baumann, Matthias Ginter, Jonathan Schmid, Johannes Flum und Oliver Sorg.

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Daniel Caligiuri (l.) ist einer der Leistungsträger. [Fotos: firo]

Streich schraubte zu Beginn seiner Amtszeit an den richtigen Stellen und formte eine Einheit aus der No-Name-Truppe, in der Teamgeist und ein respektvoller Umgang miteinander eine große Rolle spielen. Der Fußball-Fachmann findet für jeden seiner Schützlinge die richtige Ansprache, um ihn zur bestmöglichen Leistung anzutreiben. Kampfgeist und Kompaktheit zeichnen seine Mannschaft aus. Streich will zwar offensiven Fußball spielen lassen, doch die Defensive dürfen seine Spieler nicht vernachlässigen. Dank einer hohen Laufbereitschaft werden die Gegner früh gestört und die Räume eng gemacht. Ist der Ball erobert, geht es mit schnellen Kontern nach vorne.
Der Trainer kann auf einen ausgewogenen Kader zurückgreifen und hat für fast jede Position Alternativen auf der Bank, um reagieren zu können. Die Mannschaft sucht je nach Gegner und Spielsituation nach unterschiedlichen Lösungen. "Variabel und unberechenbar", nennt Max Kruse, mit sieben Treffern Top-Torschütze, das Freiburger Spiel.
Streich mag es nicht, im Mittelpunkt zu stehen. Statt als Alleinunterhalter sieht er sich lieber als kleiner Teil des großen Ganzen. "Arbeit, Arbeit und nichts als Arbeit" lautet seine Devise. Auch die Europa-Euphorie um seine Mannschaft ist dem Trainer unangenehm. Obwohl es nur noch vier Zähler bis zur Marke von 40 Punkten sind, bei der der Klassenerhalt allgemein als gesichert gilt, gibt Streich weiterhin unverdrossen den Nichtabstieg als Saisonziel aus.
Christina Reinke