54.000 Zuschauer bewiesen einmal mehr ein Gespür für die Situation. Mit Ovationen und Sprechchören stärkten sie die Moral der Mannschaft, die nach dem 1:3 gegen Ajax vor einem „Endspiel“ in Lissabon steht. Der Schiedsrichter hatte die Chance verpasst, eine krasse Fehlentscheidung zu revidieren. Nicht unwahrscheinlich, dass das Spiel dann anders verlaufen wäre.

„Wir waren gut im Spiel und haben Ajax nicht ins Spiel kommen lassen“, rekapitulierte Marco Rose eine mit Herz und Leidenschaft geführte Partie seiner Mannschaft. „Dann bekommen wir eine Rote Karte, die keine Rote Karte ist. 60 Minuten Unterzahl gegen Ajax ist eine Menge Holz.“ 0:0 stand es zum Zeitpunkt des Platzverweises gegen Mats Hummels in Minute 28. 1:0 sogar zur Pause durch das Elfmetertor von Marco Reus. Doch in der Schlussphase „haben wir“, so Torhüter Greg Kobel, „zu viele Flanken zugelassen, in der Summe einfach zu viele. Am Ende hat die Energie gefehlt. Es war dennoch eine Riesenleistung von den Jungs.“ Jude Bellingham befand: „Wir haben alles gegeben, aber wir waren am Ende stehend k.o..“

Die Schlüsselszene ereignete sich in der 28. Minute auf Höhe der Mittellinie. Das Tackling von Mats Hummels, bei dem er seinen Gegenspieler gar nicht traf, sondern dieser ihn, sanktionierte Schiedsrichter Michael Oliver mit einem Griff in die Gesäßtasche: Platzverweis!

„Ich habe keine Ahnung, wie man da Rot geben kann“, haderte Hummels, der in diesem Moment noch von einem Fehlgriff ausging, den der „VAR“, der Video-Assistant-Referee Stuart Attwel, oder zumindest dessen Assistent, der Pole Tomasz Kwiatkowski, wohl schnell aufklären würden. Oder der eigene Blick des Referees auf den Monitor. Hummels: „Anschauen, dann muss er mir Gelb geben, damit er nicht ganz doof dasteht mit der Entscheidung.“

Oliver verzichtete darauf, sich die Szene selbst anzuschauen, hörte seinen Assistenten zu und blieb bei seiner Entscheidung. Darüber ärgerte sich Marco Rose im Besonderen: „Wenn man in der heutigen Zeit die Chance hat, Fehler zu korrigieren über die Möglichkeit, sich Situationen nochmal anzuschauen, und das auf unerklärliche Art und Weise vertan wird, ist das für mich schwer nachvollziehbar.“

Ex-Fußballprofi Sandro Wagner, für den übertragenden TV-Sender DAZN im Einsatz, meinte: „Die Grätsche kenne ich von Mats, seitdem er sieben Jahre alt ist. Er ist alles, nur kein unfairer Spieler. Der Schiedsrichter kommt aus England. Da würde es vermutlich nicht mal als Foul gewertet. Er hat das Spiel kaputtgemacht.“

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Und nicht nur dieses eine Spiel. Die „absurde Fehlentscheidung“ (Hummels) wird auch darüber hinaus wirken. „Wir wissen, dass so etwas eigentlich immer bestehen bleibt. Ich rechne fest damit, dass ich die Reise nach Lissabon nicht mit antreten darf“, erklärte der Abwehrchef. Damit fehlt im vorentscheidenden Gruppenspiel am 24. November ein weiterer Leistungsträger. Eine Niederlage wäre (fast) gleichbedeutend mit dem Champions-League-Aus für Borussia Dortmund!

Folgende Konstellationen sind möglich:

  • Siegt der BVB in Lissabon, kommt er auf neun Punkte, hat den direkten Vergleich mit Sporting (sechs Punkte) nach dem 1:0 im Hinspiel gewonnen und qualifiziert sich vorzeitig als Gruppenzweiter fürs Achtelfinale.
  • Bei einem Remis kommen beide Teams auf sieben Zähler. Der BVB hätte das bei Punktgleichheit entscheidende Kriterium, den „direkten Vergleich“, gewonnen und müsste dann am letzten Spieltag im Heimspiel gegen Besiktas mindestens genauso viele Punkte holen wie Sporting in Amsterdam.
  • Verliert der BVB in Lissabon mit einem Tor Unterschied, gäbe es noch eine theoretische Chance aufs Weiterkommen. Dann müsste Sporting anschließend jedoch zwingend bei Ajax verlieren, und zwar deutlich, denn Borussia müsste insgesamt neun Tore aufholen.
  • Bei einer Niederlage mit zwei oder mehr Toren Differenz wäre Borussia Dortmund aus der Champions League ausgeschieden.

„Es ist ein wichtiges Spiel für die Gruppenkonstellation, um hintenheraus die Dinge in der eigenen Hand zu haben“, weiß Rose und kündigt an: „Wir müssen versuchen, dort die Punkte zu holen, um weiterzukommen.“ Gregor Kobel sieht es ähnlich: „Es wird ein hartes Stück Arbeit. Aber wir haben alles in der eigenen Hand!“
Boris Rupert