Seit dem 1. Januar 2017 ist Borussia Dortmund um eine Abteilung größer. Seither bereichern die Blindenfußballer und Torballer das Vereinsleben. Ohne das Dach der großen BVB-Familie wäre „unser Sport in Dortmund sicherlich kaputt gegangen“, sagt der Vorsitzende der Abteilung, Hasan Caglikalp. Nach vier Jahren lässt sich feststellen: Die Integration des Integrationssports ist geglückt. Auch die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie konnten weitgehend gemeistert werden. Allerdings musste die Mannschaft auf den Saisonhöhepunkt, das Spiel um Platz drei bei der Deutschen Meisterschaft, verzichten.

„Dieses Jahr hat auch für uns alles auf den Kopf gestellt“, sagt Hasan Caglikalp, Leiter Integrationssport bei Borussia Dortmund und Teil der schwarzgelben Blindenfußball-Mannschaft, die in diesem Jahr wie alle Bereiche der Gesellschaft massiv vom Coronavirus getroffen worden ist. Zunächst war auf persönlicher Ebene viel Arbeit gefordert. „Viele Menschen waren verunsichert, auch in unserer Abteilung. Während des Shutdowns im Frühjahr haben wir regelmäßig Kontakt gehalten“, so der 52-Jährige. Wie geht man mit der Situation um? Wie kann man Hilfe leisten? Diese Fragen wurden gestellt und beantwortet, häufig haben einfach gut zureden oder zuhören gereicht. 

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Hasan Caglikalp

Doch auch auf sportlicher Ebene hatte der Breitensport zu kämpfen. Wie in anderen Sportarten auch musste das Training der Blindenfußballer zwischenzeitlich ausfallen, das üblicherweise dreimal pro Woche abgehalten wird. Schließlich durfte der Trainingsbetrieb unter Auflagen wieder aufgenommen werden. Desinfektionsmittel musste vor Ort bereitgestellt und abseits des Spielfelds ein größerer Abstand eingehalten werden, wie es nach Monaten der Pandemie in allen Bereichen des Lebens mittlerweile gelernt ist. „Natürlich muss man mehr Dinge beachten. Aber als das Training wieder möglich war, gab es für uns kein Hindernis mehr. Wir wollten den Sport betreiben und wieder persönlichen Kontakt haben“, sagt Caglikalp. „Das war uns wichtig, und der Aufwand hat uns nicht abgeschreckt. Wir haben alles Mögliche getan, um wieder zusammenzukommen.“ Aufgrund ihrer Einschränkung sind die Sportler in manchen Situationen allerdings auf Hilfe angewiesen, sodass man nähere Kontakte nicht komplett ausschließen kann. Wenn etwas herunterfällt oder vorgelesen muss, wenn jemand von der Bahn abgeholt und geführt werden muss. Derjenige muss sich bei einer anderen Person einhaken. 

Wie es mit dem Ligabetrieb weitergehen würde, war zunächst unklar. Lange hatte es danach ausgesehen, dass es im Jahr 2020 überhaupt keine Blindenfußball-Bundesliga geben würde. Schließlich einigte man sich darauf, den Wettbewerb in einer Hinrunde in komprimierter Form auszutragen. Wurde in den Vorjahren immer ein Spieltag pro Monat an jeweils einem Wochenende zwischen Mai und September ausgetragen, wurde die aktuelle Saison innerhalb eines Monats durchgezogen. Die Liga wollte die Saison in diesem Jahr austragen, die BVB-Sportler waren gespalten: Auf der einen Seite wollten sie spielen. Auf der anderen Seite wussten sie, dass die Umstände eine Herausforderung werden würden. Die Mannschaft hat sich aber von Anfang an die Option offengehalten, bei einem Spieltag mit widrigen Umständen und großem Aufwand nicht anzutreten, zum Beispiel als Dortmund zum Risikogebiet erklärt wurde und zeitweilig in manchen Bundesländern ein Beherbergungsverbot für Bewohner aus dem Stadtgebiet herrschte.

Erfurt, Dortmund, Hamburg und Magdeburg hießen schließlich ab Mitte September die Spielorte, an denen sich die besten Mannschaften Deutschlands trafen. Wobei das nicht ganz korrekt ist, denn nicht allen Teams war an jedem Spieltag eine Teilnahme möglich. Coronabedingt gab es immer wieder Spielabsagen, sodass die Partien nicht auf dem grünen Spielfeld, sondern am grünen Tisch entschieden werden mussten. Der Saison-Höhepunkt aus schwarzgelber Sicht war das zwar zunächst abgesagte, dann aber nachgeholte Revierderby, das die Borussia gegen den FC Schalke 04 mit 1:0 gewann. Doch der Sieg wurde mit Verletzungen zweier Leistungsträger teuer bezahlt, sodass die Mannschaft das anschließende Spiel gegen Marburg nicht absolvieren konnte. Zwei Wochen später wurde dann von der bereits angesprochenen Option Gebrauch gemacht: Aufgrund weiterhin steigender Infektionszahlen entschieden sich die Borussen Ende Oktober, nicht zum Finalwochenende nach Magdeburg zu reisen, wo das Spiel um den dritten Platz angestanden hätte. Neben Schwarzgelb sagten übrigens auch Königsblau und die SG Köln/Berlin ab. „Wir alle haben uns dieses Jahr und diese Saison anders vorgestellt. Aber leider hat Corona alles über den Haufen geworfen“, so der stellvertretende Abteilungsleiter und Betreuer Tobias Willmroth.

Seit vier Jahren in Schwarzgelb

Dennoch hat sich der Blindenfußball bei Borussia Dortmund in den vergangenen Jahren zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. Zuvor hatte Hasan Caglikalp, damals 1. Vorsitzender und Spielertrainer des ISC Viktoria Dortmund-Kirchderne e.V., über Freunde und Bekannte vorfühlen lassen, ob eine Integration in den BVB möglich sei. Anschließend schrieb er zusammen mit Tobias Willmroth, dem damaligen Geschäftsführer des ISC Viktoria, Dr. Reinhard Rauball persönlich an, der nicht zögerte und die Spielerinnen und Spieler der Abteilung willkommen hieß. Auf der Mitgliederversammlung 2016 informierte der Präsident über die Integration der Blindenfußballer in die BVB-Familie, am 1. Januar 2017 wurden sie und die Torballer (Torball ist eine Hallensportart für Blinde) des ISC in den Verein aufgenommen und spielen seitdem in Schwarzgelb. 

Der BV. Borussia 09 e.V. Dortmund hat damit ein wichtiges Zeichen für die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung gesetzt. „Der Fußball trägt aufgrund seiner hohen gesellschaftlichen Bedeutung eine große Verantwortung, zu der wir uns bei Borussia Dortmund selbstverständlich bekennen“, sagte der BVB-Präsident damals. „Der Inklusionsgedanke ist längst in unserem gesellschaftlichen Alltagsleben angekommen. Der Verein BVB soll für möglichst viele eine Heimat sein, gerade auch Menschen mit Behinderung sollen in großer Gesellschaft sportlich aktiv sein können. Im Blindenfußball, wo sehende und blinde Menschen zusammenspielen, vollzieht sich Inklusion auf vollkommen natürliche Weise – mit dem Sport im Mittelpunkt, der bewegt und verbindet.“ 

BVB – Ein Verein mit großer Strahlkraft

Die damals geäußerte Hoffnung der Blindensportler, durch den Namen BVB weitere Aktive, Helfer und Sympathisanten für den Blindensport zu gewinnen, hat sich in den vergangenen Jahren erfüllt. Die Wahrnehmung der Sportart hat zugenommen, mehr Menschen kennen sie und verknüpfen sie mit der Borussia. „Der BVB ist ein Verein mit einer großen Anziehungs- und Strahlkraft. Das hilft den Menschen, sich an etwas zu erinnern“, sagt Caglikalp. Auch das Interesse der Medien und von Helfern habe deutlich zugenommen. Zudem konnte das dreiköpfige Trainerteam verstärkt werden. Lediglich die Zahl der Aktiven hat sich nicht nennenswert erhöht, auch wenn „zwei, drei Spieler hinzugekommen sind, die wir sonst nicht bekommen hätten. Und dann wäre es schwierig geworden. Der Blindenfußball in Dortmund wäre sicherlich kaputt gegangen“. 

Der Zusammenschluss mit Borussia Dortmund hat also sogar dazu beigetragen, dass die Blindenfußballer ihre Sportart überhaupt noch ausüben können. Caglikalp, der den ISC Viktoria Dortmund-Kirchderne gegründet und das Vereinsleben vorangetrieben hat, hätte diese Arbeit auf Dauer allein nicht mehr leisten können. Es sei anstrengend gewesen, an Gelder zu kommen, um die Reisekosten zu finanzieren. Immer wieder mussten Veranstaltungen organisiert werden, um Einnahmen zu generieren. Das Geld aus einer Großveranstaltung musste dann für drei bis fünf Jahre reichen. 

Jetzt sind die Sportler innerhalb des BVB sehr eigenständig, der Verein lässt ihnen viele Freiheiten. Sie verfügen über ein Budget, mit dem Reisen und Lehrgänge bezahlt werden. Zudem steht der Klub beratend zur Seite. „Aber wir müssen die Abteilung mit Leben füllen“, so der Integrationssport-Leiter, der sich schon auf der Mitgliederversammlung 2018 für die Unterstützung, den Rückhalt und die Hilfsbereitschaft aller Mitarbeiter bedankt hat: „Wir fühlen uns pudelwohl in der BVB-Familie.“ 

Auf der anderen Seite wollen die Sportler dem Verein auch etwas zurückgeben. Caglikalp: „Wir müssen von unserer Seite tun, was wir können. Im Zuge der Inklusion müssen wir die bestmögliche Arbeit abliefern.“ Dabei gehe es nicht zwingend um Titel, vielmehr wollen die Aktiven ihren Sport gut betreiben, „sodass der Verein sich mit uns sehen lassen kann. Wenn dann Titel dazukommen, ist es umso schöner.“

Träume von Titeln und einer Kindermannschaft

Für die Zukunft hat der Abteilungsleiter nach eigenen Angaben „viele Visionen“. So ist man seit zwei Jahren dabei, eine Kindermannschaft aufzubauen, die einmal das Erwachsenenteam verstärken soll. Die Kinder sollen so gut wie möglich ausgebildet werden. Aktuell befindet man sich in Gesprächen mit dem BVB, um ein Förderkonzept zu erarbeiten. So könnte der Blindenfußball möglicherweise in Zusammenarbeit mit Schulen vorangetrieben werden, um jährlich neue Kinder für den Sport zu begeistern. 

Auch die Verbesserung der Infrastruktur steht auf dem Wunschzettel, sodass den Sportlern, Helfern und Trainern auch außerhalb des Sports ein Treffpunkt geboten werden kann, um mehrfach in der Woche zusammenzukommen. Auf diese Art und Weise will man sich auch für andere Blinde öffnen und eine Verbindung aufbauen. 

Und vielleicht bleiben auch Titel kein Wunsch mehr. „Es ist noch ein weiter Weg, aber wir möchten eine ähnlich gute Arbeit wie die Top-Vereine machen“, sagt Hasan Caglikalp.
Text: Christina Reinke
Fotos: Leon Kügeler 

Die Regeln

Beim Blindenfußball treten zwei Mannschaften mit je fünf Spielern gegeneinander an. Gespielt wird auf einem 20 mal 40 Meter großen Feld, das an den Längsseiten durch Banden begrenzt ist, die auch aktiv ins Spiel mit einbezogen werden. Die Spieldauer beträgt 2 x 20 Minuten reine Spielzeit. Das Tor beim Blindenfußball entspricht einem Hockeytor (3,66 m x 2,14 m). 

Voy
Jeder gegnerische Spieler, der sich dem ballführenden Spieler nähert, muss „Voy“ (spanisch: „Ich komme“) rufen. Bleibt der Ruf aus, wird dies als persönliches Foul geahndet. 

Trainer/Guides
Torwart, Trainer und Guide (ein sehendes Teammitglied, das hinter dem gegnerischen Tor steht) dürfen Anweisungen nur in ihren fest definierten Zonen geben. Werden diese Zonen nicht eingehalten, kann dies als Teamfoul geahndet werden. 

Foul 
Persönliche Fouls sind Grätschen, Nachtreten, Handspiel, fehlendes „Voy“, zu aggressives „Voy“-Rufen oder das zu weite Ausstrecken der Hände. Nach dem fünften persönlichen Foul eines Spielers muss dieser das Feld verlassen, darf allerdings ersetzt werden. Alle persönlichen Fouls werden in der Teamfoulwertung zusammengefasst. Ab dem sechsten Teamfoul gibt es einen Acht-Meter-Freistoß. In der Halbzeit eines Spiels wird die Teamfoulwertung wieder auf null zurückgesetzt. 

Frei- und Strafstöße
Bis die Teamfoulgrenze von sechs Teamfouls innerhalb einer Halbzeit erreicht ist, gibt es nach jedem persönlichen Foul einen Freistoß. Ab dem sechsten Teamfoul gibt es für jedes weitere Foul einen Freistoß aus acht Metern Entfernung. Einen Strafstoß aus sechs Metern Entfernung gibt es bei Fouls innerhalb des Strafraumes, bei Berührung des Balls außerhalb des Zwei-Meter-Raumes durch den Torwart oder wenn dieser den Torraum während eines Angriffs verlässt. 

Auswechslungen
Es dürfen pro Halbzeit sechs Spielerwechsel durchgeführt werden. Wechsel während der Halbzeitpause haben keine Auswirkungen auf das jeweilige Auswechselkontingent.