Als Borussia Dortmund zu Beginn dieser Saison einen „Neustart“ ausgerufen hatte, lautete eine der Kernforderungen, „das Dortmund-Gefühl neu zu erzeugen“. Kampf, Leidenschaft, Identifikation waren Schlagworte, die in diesem Zusammenhang fielen.

Nach acht Pflichtspielen – und damit immer noch weit am Anfang eines Prozesses – ist deutlich zu erkennen: Diese Mannschaft hat Moral. Sie feierte ausgelassen mit ihren Fans den 4:2-Auswärtssieg in Leverkusen, bei dem sie zum bereits vierten Mal in dieser Spielzeit nach einem Rückstand (zuvor Fürth, Leipzig, Hoffenheim) oder einem Rückschlag (in Form des zwischenzeitlichen 1:1 gegen Frankfurt) zurückkam und dreimal als Sieger (ein Remis) vom Platz ging. In der BayArena gewann der BVB erstmals seit 36 Jahren nach einem 0:2-Halbzeitrückstand. Die Siegtreffer durch Paco Alcácer zum 3:2 (85.) und 4:2 (90.+4) waren bereits die BVB-Tore neun und zehn in dieser Saison, die ab der 84. Spielminute fielen.

„Von 0:2 auf 4:2. Das ist schon etwas“, bemerkte ein vor Freude strahlender Trainer Lucien Favre: „Wir haben sehr gut gespielt in der zweiten Halbzeit, mit sehr viel Tempo.“ 14,8 Sekunden dauerte es von Roman Bürkis Abwurf, dem Zusammenspiel zwischen Jadon Sancho und Marco Reus bis zum 2:2. Bürki, der nicht nur gestern, sondern insgesamt mit phantastischen Paraden großen Anteil am Erfolg hat, war „unglaublich stolz auf die Mannschaft“.

Die hatte nicht gut begonnen, „unnötige Fehler“ (Favre) vor beiden Gegentoren in Halbzeit eins begangen. Insbesondere beim 0:2 patzte die junge Abwehr (20,75 Jahre), als sie den Ball nach einer Ecke nicht aus dem Strafraum bekam. Da dachte der eine, der andere könnte den Ball wegschießen.

Doch trotz des 0:2-Rückstands und nur zwei ernsthaften Torannäherungen durch Pulisic und Reus war schon recht früh zu erkennen, dass die Mannschaft die Ruhe bewahrte und Wege fand, sich dem intensiven Pressing der Leverkusener zu entziehen, auch „wenn wir da noch nicht oder zu selten die Räume gefunden haben, die wir eigentlich ausgemacht hatten“, erläuterte Sebastian Kehl im Aktuellen Sportstudio. Der Leiter Lizenzspieler fügte hinzu: „Als das 1:2 fiel, hat man die Qualität der Mannschaft gesehen. Wie sie in der zweiten Halbzeit aufgetreten ist, war herausragend. Die Gier war so groß, das Spiel noch gewinnen zu wollen.“

Am Ende standen ein spektakuläres 4:2 – und die Tabellenführung. Ein schönes Beiwerk. Mehr aber auch nicht. „Ganz ehrlich“, sagte Hans-Joachim Watzke und meinte damit sicher nicht die Partystimmung im Fanblock, sondern die lobenden Worte, die von allen Seiten kamen: „Mir geht das zu schnell in die eine oder in die andere Richtung.“

Am Mittwoch wartet bereits der nächste Prüfstein auf die neue Borussia. In der UEFA Champions League gastiert AS Monaco im Signal Iduna Park. Ein paar Karten gibt es noch.
Boris Rupert