Wo geht’s nach Panama? Was nach Janosch klingt und Geborgenheit in Aussicht stellt, hat einen bedrohlichen Ursprung: Ein Mensch fühlt sich nicht gut. Er braucht Hilfe, möchte aus einer akuten Situation heraus. Unmittelbar. Bedingungslos. Weil der Ruf nach fremder Hilfe mitunter viel Mut erfordert, hat Borussia Dortmund in dieser Saison das Konzept PANAMA im Signal Iduna Park etabliert. Es soll das Sicherheitsgefühl aller Menschen im Stadion stärken und die Hemmschwelle für die Bitte um Hilfe senken. Dafür reicht die Eingangsfrage – oder auch nur das eine Codewort: PANAMA

Das Angebot richtet sich an alle, die sich unsicher, bedroht oder bedrängt fühlen; Diskriminierungen jeglicher Form begegnen oder körperliche Übergriffe erfahren haben. Damit ist PANAMA auch Teil der Prävention vor Sexismus und sexualisierter Gewalt, die der BVB konzeptionell in den Fokus genommen hat. PANAMA setzt sich aus drei Komponenten zusammen:

Das Konzept PANAMA
Entwickelt wurde das Konzept von der in Hamburg ansässigen FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH. Sie ist eine der größten Konzertveranstalter in Europa, hat seit 1990 über 10.000 Konzerte, Showproduktionen und Festivals wie Hurricane, Southside und Deichbrand mit insgesamt über zwölf Millionen Besuchern organisiert. Um ihren Besucherinnen und Besuchern noch mehr Sicherheit zu geben, wendet FKP Scorpio PANAMA an. Inga Rossbach von der Festivalproduktion erklärt die Entwicklung von den Anfängen auf dem Festivalgelände bis zur Adaption auf das Stadion.

Frau Rossbach, seit wann wendet FKP Scorpio das Konzept warum und wie genau an?
Wir haben das Konzept seit 2017 in aktiver Anwendung. Entstanden ist es glücklicherweise nicht aus einer Not heraus, also etwa nach einem Vorfall, auf den wir hätten reagieren müssen, sondern vielmehr auf Grund einer neuen Generation an Gästen, für die Awareness und Nachhaltigkeit ganz wichtig sind. Wir haben gemerkt, wie viel Wert diese Generation darauf legt – und dann gesagt: Die haben Recht. Auch wenn ein Festivalgelände niemals ein Hochsicherheitstrakt sein kann, wollten wir Instrumente installieren, bevor etwas Gravierendes passiert ist.

Wie haben Sie diese Erkenntnis in ein griffiges Konzept überführt?
Wir haben uns erst einmal umgeschaut, man muss das Rad ja nicht immer neu erfinden. In England gab es für und in Pubs und Clubs bereits das Konzept Ask for Angela, bei uns den Ableger Ist Luisa hier?. Beide Konzepte funktionieren im Club sehr gut – wir haben aber schnell gemerkt, dass sie auf einem weitläufigen Festivalgelände mit 70.000 Besuchern nicht greifen würden.

Warum nicht? Was musste angepasst werden?
Erstens haben sie primär Frauen angesprochen – wir wollten uns aber nicht auf ein Geschlecht begrenzen. Zweitens fanden wir einen Vornamen problematisch – eine Angela könnte ja auch auf unserem Festival rumlaufen. Also wollten wir drittens an einen weit entfernten Ort. Nach Panama, so unsere Überlegung, fragt doch niemand. Und: Panama vermittelt ein Gefühl der Sicherheit.

Wegen Janosch? Hat die Geschichte, wie der kleine Tiger und der kleine Bär nach Panama reisen, tatsächlich Pate gestanden?
Sagen wir’s so: Im Nachhinein dämmerte uns das und wir haben überlegt, ob das blöd ist – waren uns dann aber sicher, dass alles, was triggert, gut ist.

Wie haben Sie das Konzept dann zur Umsetzung gebracht?
Wir haben das Prinzip von Panama nach vielen Stunden der Vorbereitung und des Redens und noch mehr Briefings und Sicherheitsunterweisungen faszinierend schnell in den laufenden Betrieb auf dem Festival integrieren können. Von Vorteil war, dass wir alle Dienste und Behörden von Anfang an mit ins Boot geholt hatten. Dem entsprechend haben uns alle unterstützt.

Ein Festivalgelände kann schon mal so groß sein wie 250 Fußballfelder. Menschen schlafen im Zelt, trinken Alkohol am Tresen, tanzen vor einer der Bühnen. Das alles gleichzeitig. Wie funktioniert PANAMA in der Praxis?
Der Job ist, den Hilfe suchenden Menschen aus der Situation herauszuholen. Dabei stellen wir keine Fragen, wir bieten nur Hilfe an. Denn wenn einer nach Hilfe fragt, gibt es immer einen Grund. Dadurch, dass alle Mitarbeitenden – vom Ordnungsdienst bis zu den Sanitätern, von der Polizei bis zur Gastronomie – auf PANAMA geschult sind, haben wir überall verteilt viele Anlaufstellen.

Auch wenn die Daten sensibel sind: Kann man beziffern, wie oft das Angebot angenommen wird?
Ja, beim Hurricane, einem dreitägigen Festival mit 78.000 Besuchern, wird der Codename PANAMA im Schnitt 35-mal beim DRK registriert. Das klingt vielleicht erstmal wenig. Ich finde aber: Jeder Einzelfall ist es wert! Und diejenigen, die sich nach einer kleinen Auszeit und einem Glas Wasser hinter einem Bauzaun schnell wieder gefasst haben, werden gar nicht erfasst.

Erkannt hat der BVB das Potenzial des Konzepts. Wie darf man sich den Erstkontakt vorstellen?
Die Fanbeauftragten haben eine Mail geschrieben – die bei uns erst einmal Aufregung ausgelöst hat. Denn wir sind zwar Europas größter Konzertveranstalter, aber beim Fußball sind wir vor allem Fans. Am Anfang standen viele Fragen, etwa: Wie funktioniert eurer Spieltag? Welche Voraussetzungen sind bereits da? Wie sind eure Meldeketten? Und wie können wir das Konzept daraufhin anpassen? Vorteil war, dass bereits ein Ordnungsdienst vorhanden ist; Herausforderung war, im voll besetzten Stadion einen geeigneten Rückzugsort zu finden. Die Einrichtung einer solchen Räumlichkeit hatte hohe Priorität.

Der Erstkontakt der Fanbeauftragten datiert von Oktober 2019. Schnell war klar, dass FKP und BVB zusammenarbeiten würden. Ein Vertrag zum Schutz und gegen Missbrauch des Konzepts wurde unterschrieben mit dem Ziel, PANAMA zur Saison 2020/21 in den Spielbetrieb zu implementieren. Doch dann kam Corona. „Was willst du mit einem Awareness-Konzept, wenn keiner da ist“, sagt Inga Rossbach. Am 14. August 2021, im Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt, kam PANAMA dann erstmals zur Anwendung. Das Engagement von FKP Scorpio dauert an, geht über den Erstimpuls hinaus: „Wir wollten nicht nur ein Konzept übergeben, sondern eine Partnerschaft aufbauen. Wir wollen gemeinsam und voneinander lernen.“

Das Team PANAMA
Das Team PANAMA besteht aus geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ordnungsdienstes und ist von Stadionöffnung bis -schließung immer für alle Menschen ansprechbar. Die Teamenden haben spezielle Schulungen erhalten. Sie begleiten betroffene Menschen bei Bedarf in den Raum PANAMA, zum Sanitätsraum oder bieten weitere Hilfsangebote an.

Neben dem Team PANAMA sind auch alle weiteren Mitarbeitenden im Stadion über das Konzept PANAMA informiert und können angesprochen werden. Die Frage Wo gehts nach PANAMA? oder die Nennung des Codewortes PANAMA kann also jederzeit überall von jedem gestellt werden.

Es gibt eine feste Auswahl an Ordnern und Ordnerinnen für das Team PANAMA, die an den einzelnen Spieltagen wechseln. Zu ihnen zählt Alexandra Rhunow. Die gebürtige Kielerin ist von klein auf durch und durch Schwarzgelb, hat im Oktober 2012 beim Derby als Ordnerin angefangen und neun Jahre lang im Eingangsbereich bei Wind und Wetter alles mitbekommen.
Frau Rhunow, wer arbeitet im Team PANAMA?
Wir sind neun Ordner, fünf Frauen und vier Männer; darunter Pädagogen, eine Heilpraktikerin, eine angehende Physiotherapeutin, ein Feuerwehrmann und ein Dachdecker. Ich selbst bin gelernte Kauffrau und studiere Wirtschaftsrecht. Kurzum: Wir bilden einen guten Querschnitt der Gesellschaft. Und wir kommen aus allen Bereichen des Stadions, arbeiten ansonsten an den Eingängen, in den Blöcken, in den VIP-Bereichen und im Innenraum – wir bilden also auch hier eine gute Mischung ab.

Bislang war das Stadion pandemiebedingt noch nicht wieder ausverkauft. Dennoch die Frage: Wie wirkt PANAMA Ihrer Meinung auf die Leute?
Da ist große Neugierde – und noch genauso große Unsicherheit; und zwar jeweils beidseitig. Die Leute wissen noch nicht genau, wann das Team PANAMA zuständig ist, wollen aber offenbar auch nicht unnötig unsere Zeit stehlen. Dazu ein konkreter Anhaltspunkt: Umsetzungen sind generell nicht unsere Sache, wenn aber – wie geschehen – ein einzelner Dortmunder mitten im Ajax-Block sitzt und sich dabei unwohl fühlt, sind wir zuständig und helfen sofort.

Was ist Ihre Botschaft an die Besucherinnen und Besucher?
Wir verstehen uns als Bindeglied zwischen Fans und Ordnern und Sicherheitskräften. Und wir schließen per se erstmal nichts aus. Sprich uns einfach an! Egal, worum es geht, wir finden für alles eine Lösung. Lieber einmal zu viel nachfragen, als einmal zu wenig; und wenn es die Frage ist, was eigentlich unser Job ist. Wir haben ein offenes Ohr in Problemsituationen, halten uns immer neutral, hören gegebenenfalls beide Seiten. Wenn mich eine Situation überfordert, hilft es manchmal schon, gemeinsam eine Runde zu drehen.

Welche weitere Entwicklung wünschen Sie sich?
Eine Schulung zur Gesprächsführung. Die war pandemiebedingt noch nicht möglich. Hier profitieren wir stark vom Erfahrungsschatz von Volker Kraja und seinen Kriseninterventionshelfern.

Der Raum PANAMA
Ein Rückzugsort ist für PANAMA unerlässlich. Im Signal Iduna Park wurde deshalb ein Raum eingerichtet, in den sich Hilfesuchende zurückziehen und durchatmen können und bei Bedarf weitere Hilfe bekommen. Der Raum wird bei Heimspielen von vier Kriseninterventionshelfern des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) betreut, die sich auf Wunsch um die Hilfe suchenden Menschen kümmern. Volker Kraja ist Sprecher des Kriseninterventionsteams des DRK.

Herr Kraja, ist der Raum PANAMA bekannt – oder ein geheimer Ort?
Der Raum in der Süd-Ost-Ecke des Stadions ist allen Ordnern, Volunteers und Fanbeauftragten sowie den Maltesern, die die Sanitätsräume organisieren, bekannt und auch entsprechend beschildert. Dieser neu geschaffene Raum löst zugleich ein Problem, das wir in der Vergangenheit bei Betreuungsgesprächen in Folge einer Reanimation oder gar eines Todes im Stadion hatten. Wir sind froh und dankbar für diesen Raum.

Wie ist der Raum beschaffen?
Stellen Sie sich eine Studentenwohnung vor; mit einem Schreibtisch, Stühlen drum herum, einem Festnetzanschluss, einem Flachbildschirm und zwei gemütlichen, diagonal gegenüber stehenden Sofas. Vor allem mit denen haben wir gute Erfahrungen gemacht – und mit der Kaffeemaschine. Im Ernst: Ein guter Kaffee ist oft der erste Schritt zur Beruhigung. Die Frage, ob Du einen Kaffee möchtest, gehört zur Normalität und holt Dich runter.

Wer kommt dorthin?
Das Angebot richtet sich an alle, die sich bedrängt fühlen. Da die PANAMA-Teamenden u.a. die Aufgabe der Sichtung haben, arbeiten sie schon einen Großteil der kleineren Probleme oder Unklarheiten ab, organisieren beispielsweise ein Taxi. Am anderen Ende des Spektrums, bei den härteren Fällen, bei denen es zum Beispiel um unsittliche Berührungen geht, übernimmt oft auch direkt die Polizei. Zu uns in den Raum kommt das Mittelfeld. Das sind Leute, die zum Teil schon länger mit einer psychischen Störung zu kämpfen haben, die nun während des Spiels ausgelöst worden ist. Leute, die ein kleines Problem haben, das sich gerade groß anfühlt; wie Höhenangst oder Klaustrophobie. Oder Leute, die massiv Alkohol oder Drogen konsumiert haben. Aktuell ist es noch eine Gemengelage, nach einem halben Jahr kön- nen wir noch nicht sagen, welcher Bedarf am häufigsten ist.

Was tun die Kriseninterventionshelfer des DRK dort vor allem: reden oder zuhören?
Das kann man nicht pauschal sagen. Wichtig ist, dass die Teamenden dabei bleiben, weil die Menschen, die sich gerade in einer Angst besetzten Situation befinden und sich nicht komplett handlungsfähig fühlen, schon Vertrauen zu denen gefasst haben. Wenn die nach 30 Minuten sagen: Der Kaffee war gut, danke, dann sind wir zufrieden.

Wer die Geschehnisse vor Ort nicht schildern möchte, hat im Nachgang die Möglichkeit, sich unter www.bvb.de/panama an Borussia Dortmund zu wenden und Hilfsangebote des BVB oder weiterer kompetenter Beratungsstellen zu erhalten.

Borussia Dortmund weist zudem darauf hin, dass Straftaten weiterhin angezeigt und strafrechtlich verfolgt werden.

Autor: Nils Hotze
Fotos: Alexandre Simoes

Auf einen Blick:

  • PANAMA ist ein Hilfsangebot für alle Menschen im Stadion.
  • Bei der Frage Wo geht’s nach PANAMA? oder dem Codewort PANAMA bedarf es keiner weiteren Erklärung.
  • Es können alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Stadion angesprochen werden.
  • Es erfolgt direkte Hilfe ohne Rückfragen und Bewertung.
  • Es gibt unterschiedliche und auf die Situation angepasste Hilfsangebote.
  • Die Hilfesuchenden entscheiden selbst über die Art der Unterstützung.
  • Hilfesuchende können sich auf Wunsch im Raum PANAMA im Stadion zurückziehen.