Er kommentierte zahllose Großereignisse im Eishockey und besonders im Fußball. Mitunter polarisierte er, häufig philosophierte er – und er war immer auf Ballhöhe. So wie im Champions-League-Finale 1997, als er Lars Ricken den legendären Rat mit auf den Weg gab, „lupfen … jetzt“, ehe das erlösende 3:1 fiel. Das Endspiel 2024 begleitet Marcel Reif (74) als Experte für das Schweizer Fernsehen. Ein Gespräch über Außenseiterchancen und gefallene Tore …

Herr Reif, Sie haben sowohl das Champions-League-Finale 1997 als auch das direkte Duell zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund im Halbfinale 1998 im TV kommentiert. Waren das auch für Sie zwei ganz besondere Spiele?
„Selbstverständlich. Das zweite aus nicht sportlichen Gründen. So etwas vergisst du nicht. Und wenn ich es vergessen möchte, werde ich bis heute immer noch darauf angesprochen. Beim ersten waren es ähnliche Voraussetzungen wie diesmal. Bei allem Respekt vor Borussia: Real ist Favorit. Und Juventus war damals auch Favorit. Fußballer sind abergläubisch. Man erinnert sich an solche Konstellationen.“

1966, vor dem Gewinn des Europapokals der Pokalsieger gegen den FC Liverpool, war die Außenseiterrolle noch deutlicher. Bei den verlorenen Endspielen 2002 gegen Feyenoord Rotterdam und 2013 gegen Bayern München wähnte sich Borussia Dortmund wiederum auf Augenhöhe mit dem Kontrahenten…
„Sehen Sie: Ein paar Jahre im Fußball lehren, dass nur der Favorit etwas zu verlieren hat. Der Underdog kann eigentlich nur etwas gewinnen. Und das erleichtert manchmal die Herangehensweise.“

Bei allen 14 bisher ausgetragenen Duellen mit Real Madrid war Borussia Dortmund Außenseiter, teils krasser Außenseiter. Immerhin hat man mehr als die Hälfte dieser 14 Spiele nicht verloren, dreimal gewonnen, fünfmal unentschieden gespielt. Wie schätzen Sie die Chancen in Wembley ein?
„Aus der komfortableren Situation als Außenseiter heraus kannst du dir dann etwas kaufen, wenn du etwas draus machst. Wenn etwas rumliegt, musst du es aufheben. Das heißt: Die Mannschaft muss sich was trauen, sie hat nichts zu verlieren. Wie gegen Paris zum Beispiel. Die Spiele, in denen sie sich was getraut hat, hat sie so absolviert, dass ich mich gefragt habe: ‚Warum nicht immer so?‘ Ich glaube, dass das in der Kabine für Terzic einfacher ist als für Ancelotti, der dem einen oder anderen Spieler erklären muss, dass Platz fünf in der Bundesliga nicht bedeutet, dass dieses Spiel für Real schon gewonnen ist.“

Also wäre mal wieder ein guter Zeitpunkt gekommen, unbekümmert zu „lupfen jetzt“...
„Wenn sich die Gelegenheit ergibt und wenn es passt, ist lupfen – wie gesehen – manchmal genau die richtige Methode.“

Der „Torfall von Madrid“ hat sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag… 
„Ist das jetzt die letzte Ehrung dafür, ist dann mal Ruhe …?“

Moderator Günther Jauch und Sie schrieben bzw. sprachen an dem Abend Fernsehgeschichte.
„Man muss sich dafür nicht schämen. Es war ja verrückt, was da passierte. Wir reden nicht über ein Vorbereitungsspiel auf dem flachen Land, sondern über ein Champions-League-Halbfinale. An das Ergebnis erinnert sich kaum jemand. Das Spiel haben dann sechs Millionen geguckt, während zwölf Millionen den ganzen Irrsinn davor geschaut haben. Mir ist Fußball lieber.“

War mit dem Anpfiff die Luft raus? Hätte sich der BVB stur stellen und auf die Statuten pochen sollen?
„Kein Mensch wusste, ob das unter Protest stattfindet, ob das am Ende zählt. Das verstieß ja gegen alle Regeln. Der gastgebende Verein muss in der Lage sein, ein Spiel zu organisieren. Wenn er das nicht hinkriegt, hat er das Spiel verloren. Die Borussia hätte damals Protest einlegen können, hat sie aber nicht gemacht.“
Interview: Boris Rupert