Ian Maatsen hat sich so schnell eingelebt, dass man meinen könnte, er sei schon immer in Dortmund gewesen. Der niederländische Defensivstratege gibt dem BVB-Spiel neue, wichtige Impulse; im Angriff, im Aufbau – bis Juni, dann endet die halbjährige Leihe. 

Die schwarzgelbe Sommertournee 2023 durch die Vereinigten Staaten war in doppelter Hinsicht ein vorweggenommener Blick auf die veränderten Möglichkeiten, die sich dem BVB ein halbes Jahr später bieten sollten: Zur Rückrunde der laufenden Saison verstärkte Sportdirektor Sebastian Kehl die Mannschaft nicht nur mit dem einzigartigen Jadon Sancho, der bei jenem Dortmunder 3:2-Sieg in Las Vegas zum ersten und bislang einzigen Mal gegen seine Jugendliebe spielte. Drei Tage später ging es in Chicago gegen den FC Chelsea und damit gegen einen weiteren Neu-Dortmunder, von dem damals natürlich noch keiner wusste, dass er mal einer werden würde. 

Auf Chelseas linker Seite verteidigte Ian Maatsen. 

Der Niederländer ist so etwas wie die große Entdeckung der Rückrunde. Der 21-Jährige aus dem Städtchen Vlaardingen in Noord-Holland hat sich in den vergangenen Wochen so nahtlos in das schwarzgelbe Ensemble eingefügt, als würde er hier schon seit Jahren die linke Abwehrseite verantworten und bei Bedarf ins Zentrum einrücken. 

Hartelijk welkom, Ian! Du bist zeitgleich mit Jadon Sancho aus der Premier League zum BVB gestoßen. Hattet ihr beide vorher schon mal Kontakt über die Distanz von London bis nach Manchester? 

Nein, persönlich hatten wir vorher noch nicht miteinander zu tun, aber natürlich kenne ich ihn als Fußballspieler, schon aus seiner Zeit in der Akademie von Manchester City und zuletzt in der Premier League bei United. Jadon verfügt über unglaubliche Qualitäten, und wir alle werden in dieser Saison noch erleben, wie gut er ist. Du merkst ihm an, wie wohl er sich in Dortmund fühlt, und das bewirkt sehr viel! 

Was ist Dir als erstes durch den Kopf gegangen, als die Sache mit Dortmund konkret wurde?

Schon das Stadion mit seiner fantastischen Atmosphäre und der Gelben Wand. Davon hatte ich viel gelesen und gehört, aber der persönliche Eindruck beim ersten Heimspiel war noch mal etwas ganz anderes. Die Stimmung ist einfach unglaublich! 

Der BVB war schon im vergangenen Jahr an Dir interessiert und hat Dich seitdem nicht aus den Augen verloren. Wie hast Du den plötzlichen Wechsel kurz vor dem Beginn der Bundesliga-Rückrunde erlebt? 

Ich habe das natürlich als Ehre empfunden, dass sich ein großer Klub um mich bemüht. In Chelsea haben wir das Jahr über durchgespielt und ich gehörte immer wieder mal zum Kader, als die Anfrage aus Dortmund kam. Ich wäre gern schon ins Trainingslager nach Marbella geflogen, aber die Dinge gestalteten sich kompliziert, und als Spieler kannst du eben nicht mehr machen als warten. Dann ging auf einmal alles ganz schnell. Die Einigung zwischen Chelsea und dem BVB, der Flug nach Deutschland, und am nächsten Tag gleich das erste Spiel. Und was soll ich sagen: Es ist ganz gut gelaufen! 

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Ian Maatsen stand bei seinem BVB-Debüt von der ersten bis zur letzten Minute auf dem Platz und wurde für seinen großartigen Vortrag mit Ovationen bedacht. Das fügte sich sehr schön in seine ganz persönliche Geschichte. Borussias neuer Linksverteidiger hat in den vergangenen Jahren die bemerkenswerte Fähigkeit entwickelt, sich von heute auf morgen ohne größere Anpassungsprobleme in eine neue Umgebung einzugewöhnen. Mit 16 wechselte er aus der niederländischen Heimat in die Akademie des FC Chelsea und debütierte schon ein Jahr später im Ligapokal bei den Profis, aber vor einem Durchbruch auf höchstem Niveau stand erst einmal eine Tournee durch untere Ligen. Maatsen verdingte sich ein Jahr beim Drittligisten Charlton Athletic, ein weiteres beim Zweitligisten Coventry City und ein drittes beim FC Burnley, dem er in der vergangenen Saison mit vier Toren und sechs Assists bei der Rückkehr in die Premier League behilflich war. 

So dicht wie unter dem argentinischen Cheftrainer Mauricio Pochettino war der Niederländer noch nie an einem Stammplatz beim FC Chelsea dran. Bei jener Gastspielreise im vergangenen Sommer durch die USA, die ihn in Chicago auch zu einer ersten Begegnung mit dem BVB führte, gelang Maatsen beim 5:0-Sieg gegen den AFC Wrexham sogar das erste Tor der Ära Pochettino. Es folgten 199 Einsatzminuten in zwölf Premier-League-Spielen. Am 6. Januar 2024 saß er beim 4:0 im FA Cup über Preston North End ein letztes Mal auf der Ersat bank an der Stamford Bridge, bis die Zeit mal wieder reif war für ein neues Leihgeschäft. Eine Woche später trug Ian Maatsen in Darmstadt zum ersten Mal das schwarzgelbe Trikot mit der Nummer 22. 

Ian, Du bist gerade mal 21 Jahre alt und schon so viel herumgekommen. Wie hat Dich das geformt?

Das ist schon eine Herausforderung, sich immer in eine neue Umgebung einzugewöhnen. Du kommst als junger Spieler neu in eine Kabine, fast alle sind älter als du, haben Kinder, kennen sich untereinander. Dazu kommt, dass ich ein eher ruhiger Mensch bin und nicht gern große Reden schwinge. Was soll ich sagen: Der Weg nach oben ist lang und nicht immer einfach. Aber ich bin ein positiver Mensch und habe tolle Leute um mich herum. Und wie viele Menschen in meinem Alter haben schon die Chance, jeden Tag auf dem Fußballplatz zu stehen und sich ihren Traum zu erfüllen? Ich habe diese Chance und bin dankbar dafür! 

Wenn man Dich auf dem Platz sieht, kommt man nicht auf die Idee, dass Du erst ein paar Wochen hier bist. Es wirkt so, als würdest Du schon ein paar Jahre für den BVB spielen. Wie machst Du das? 

Ich habe mich hier von Anfang an wohlgefühlt, das heißt: Eigentlich schon vorher, auf dem Flug nach Dortmund, habe ich ein gewisses Kribbeln gespürt, die Vorfreude darauf, für diesen Klub zu spielen. Ich hatte sofort eine sehr spezielle Verbindung zu den Spielern, auch wenn ich vorher nie mit ihnen gespielt habe. Ich kann das selbst nicht richtig erklären. Vielleicht liegt es daran, dass ich von allen hier sehr gut aufgenommen wurde. 

Wer hat Dir in der Kabine am meisten geholfen? 

Von früher kenne ich noch Donny Malen aus der niederländischen Nationalmannschaft und Jamie Bynoe-Gittens aus meiner Zeit in England. Es ist immer gut, wenn du als neuer Spieler irgendwohin kommst und ein paar Leute kennst. Aber hier gab es noch etwas ganz Besonderes: Marco Reus hat mir noch vor meiner Abreise nach Dortmund eine SMS geschickt, wie sehr er sich darauf freut, mit mir zusammenzuspielen. Marco Reus! Ein auf der ganzen Welt bekannter und respektierter Spieler! 

Und nebenbei derselbe, der eine große Rolle bei der Rückkehr von Jadon Sancho gespielt hat. Womit mal wieder bewiesen wäre, dass alles mit allem zusammenhängt...

Autor: Sven Goldmann
Fotos: Alexandre Simoes

Der Text stammt aus dem Mitgliedermagazin BORUSSIA. BVB-Mitglieder erhalten die BORUSSIA in jedem Monat kostenlos. Hier geht es zum Mitgliedsantrag.