Kopenhagen, Leipzig und Manchester statt Fürth, Nürnberg und Düsseldorf. Innerhalb eines Jahres hat sich die Fußballwelt von Alexander Meyer gewandelt. Unser zweiter Torwart, im Sommer von Jahn Regensburg zu Borussia Dortmund gekommen, hat mit 31 Jahren den größten Schritt in seiner Karriere gemacht. Eine Karriere, die andere schon längst beendet hätten.

Als der BVB Ende Mai die Verpflichtung von Alexander Meyer als zweiter Torwart verkündete, haben sich nicht wenige Fans verwundert die Augen gerieben haben und gefragt: Alexander wer? Mittlerweile rufen sie bei der Mannschaftsaufstellung im Stadion routiniert den Nachnamen der Nummer 33, erstmals beim Pflichtspieldebüt in Schwarzgelb Anfang September vor dem Champions-League-Heimspiel gegen den FC Kopenhagen. Einen Tag vorher beim Abschlusstraining hatte ihn Edin Terzic zu sich geholt. „Bereite dich gut vor, du hast es bisher super gemacht. Deswegen freue dich einfach auf das Spiel“, diese Worte gab der BVB-Trainer Alex Meyer mit auf den Weg, nachdem die Nummer eins, Gregor Kobel, das Abschlusstraining verletzt abgebrochen hatte. 

"Ich hatte Freudentränen in den Augen"

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Einen Tag später stand Meyer dann – etwas nervöser als sonst – auf dem Rasen des SIGNAL IDUNA PARK. „Ich habe mich tierisch gefreut, als ich die Champions-League-Hymne gehört habe. Ich hatte auch Freudentränen in den Augen und musste ein paarmal schlucken“, erinnert sich Meyer. „Man hat eine gewisse Anspannung vor Spielen. Die war noch ein bisschen größer als sonst. Aber so war sie immer noch auf einem Level, das gut war, das auch wichtig war für mein Spiel. Und am Ende habe ich es auch einfach nur genossen.“ Es folgten sechs weitere Einsätze innerhalb von vier Wochen, darunter die Bundesliga-Spiele gegen Leipzig, Schalke, Köln und München sowie zwei weitere Partien in der Königsklasse gegen Manchester und Sevilla. Einen weiteren Monat später kam noch eine Halbzeit beim Auswärtsspiel in Kopenhagen dazu.

Meyer wurde als Nummer zwei verpflichtet. Es war klar, dass er nur spielt, wenn Gregor Kobel ausfällt. Im September war es dann eine Verletzung der Nummer eins, die ihn ins Dortmunder Tor beförderte. Häufig genug war es in der Karriere von Alexander Meyer umgekehrt, mit Verletzungen kennt er sich leider aus. Wenn man alle Ausfallzeiten des Torwarts addiert, kommen mehrere Jahre zusammen, in denen er pausieren musste. Die lange ­Leidenszeit des Torwarts hatte bereits als A-Jugendlicher begonnen. 

Erst Schulter, dann Knie – aber kein Aufgeben

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Der Norddeutsche, der 50 Kilometer nördlich von Hamburg aufwuchs, war damals ganz nah an den HSV-Profis, hatte an zahlreichen Trainingseinheiten teilnehmen und sogar mit ins Trainingslager nach Dubai fahren dürfen. Meyer hatte sich zum Ziel gesetzt, die Nummer drei der Profis zu werden und in der U23 zu spielen. Doch dann kam die erste schwere Verletzung: Er kugelte sich die Schulter aus. „Der Arzt hat mir gesagt, dass ich mindestens zwölf Monate ausfallen werde. Da war ich mit 18 Jahren in einem Alter, in dem ich so etwas gar nicht kannte. Das war der erste richtige Rückschlag.“ Das Torwarttalent war nach einem Jahr wieder fit, doch die HSV-Verantwortlichen hatten in der Zwischenzeit einen anderen Torwart geholt.

Über seinen Torwarttrainer Richard Golz kam anschließend der Kontakt zum TuS Havelse zustande, wo André Breitenreiter Trainer war. Vom großen HSV wechselte Meyer in die vierte Liga. „Wir hatten dort eine sehr erfolgreiche Zeit und haben sogar in der ersten Runde im DFB-Pokal den 1. FC Nürnberg geschlagen“, erinnert er sich. Doch ein paar Monate später warf ihn die gleiche Verletzung an der anderen Schulter wieder aus der Bahn. „Das war der zweite große Rückschlag. Ich wusste, was in der Reha auf mich zukommt. Das hat ‚nur‘ zehn Monate gedauert“, so Meyer, der sich allerdings im ersten Spiel nach der Verletzungspause erneut schwerverletzte. „Als ich wieder fit war, bin ich zehn Minuten vor Schluss im Rasen hängen geblieben, hatte dann einen Knorpelschaden im Knie und fiel noch einmal sechs Monate aus. Das waren die drei Verletzungen, die – gerade, wenn man 18, 19, 20 ist – mich extrem zurückgeworfen haben.“ 

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Andere hätten mit dieser Historie wahrscheinlich aufgegeben, auch Meyer zweifelte: „Ich bin generell sehr sportbegeistert und war von klein auf auch immer viel draußen. Und dann ist man viel zu Hause, muss seine Reha-Maßnahmen durchführen und kann sich nicht mehr so austoben. Ich habe versucht, das Beste daraus zu machen.“ Meyer hat damals sein Abitur gemacht und ein Fernstudium begonnen. Zu Plan B gehörte auch eine ­Trainerausbildung und eine Tätigkeit als Torwarttrainer. Doch er hatte auch Plan A, Fußballprofi werden, noch nicht aufgegeben.

Aufschwung in der Lausitz, Durchbruch in Regensburg

Nach vier Jahren in Havelse wechselte er zu Energie Cottbus, ebenfalls Regionalligist, aber mit Profibedingungen: „Trainingszentrum, Rasenplätze, das war wie ein Zweitligist. Wir hatten auch immer 8.000 bis 10.000 Zuschauer in der Regionalliga. Dort habe ich viel gespielt. Zwischendurch hatte ich mal einen Innenbandanriss im Knie, damit war ich elf Wochen raus. Aber im Vergleich zu dem, was ich sonst kannte, war es keine große Verletzung.“ Nach einem Jahr in Cottbus wechselte Meyer erneut, diesmal aber bewusst als Nummer zwei. 

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Mit Cottbus hatte er im DFB-Pokal gegen den VfB Stuttgart gespielt und die Verantwortlichen dort, die ihn schon länger auf dem Zettel hatten, endgültig überzeugt. Um nah an der Bundesliga zu sein, entschied sich der Torwart für einen Wechsel nach Schwaben, wo er ein Jahr lang zweiter Torwart war. Doch auch in Stuttgart holte ihn das Verletzungspech wieder ein: Wegen eines Kreuzbandrisses, den er sich in der Vorbereitung zuzog, fiel er erneut ein halbes Jahr aus und fand sich anschließend in der Rangfolge der Torhüter nur noch auf Platz drei wieder.

Es folgte der Wechsel zu Jahn Regensburg in die zweite Bundesliga – und damit endlich der Durchbruch. Im Alter von 26 Jahren war Meyer in Stuttgart erstmals Profi geworden, zwei Jahre später machte er in Regensburg auch die ersten Spiele als Profi. „Es war sehr wichtig, dass ich das Thema Gesundheit in den Griff bekommen habe. Ich habe auch viel dafür getan, habe meinen Körper immer besser kennengelernt. In den drei Jahren in Regensburg war ich komplett verletzungsfrei und bin stabil geworden. Wenn die Gesundheit passt, kommt die Leistung von allein“, blickt Meyer zurück. „Man bekommt ein anderes Selbstverständnis, wenn man im Profibereich seine Spiele macht. Ich weiß, was ich kann, und konnte mich auf dem Niveau als Nummer eins entwickeln. Auch mit der Mannschaft hatte ich sehr erfolgreiche Jahre bei Jahn Regensburg.“ In Bayern erwarb sich der Torwart einen Ruf als „Elfmetertöter“, nachdem sich die Mannschaft im Pokal 2020/21 dreimal in Serie im Elfmeterschießen durchsetzte und er fünf Strafstöße parierte. Auch in der Liga konnte er mehrere Elfer halten.

"Man weiß natürlich, dass man sich hintenanstellen muss"

Vor der aktuellen Saison klopfte dann der BVB an. Wieder wechselte Meyer als Nummer zwei zu einem anderen Verein. In Stuttgart war es ihm noch verwehrt geblieben, in der Bundesliga zu spielen. Aber der 31-Jährige will das Maximum in seiner Karriere erreichen. „Als das Interesse von Borussia Dortmund kam, brauchte ich nicht lange zu überlegen. Das ist eine ganz andere Bühne und ein anderes Niveau“, so Meyer. „Wenn man aus der zweiten Liga kommt und in die erste Liga wechselt, weiß man natürlich auch, dass man sich hintenanstellen muss. Ich wusste, wie meine Position hier in Dortmund ist.“ Trotzdem haut er sich in jedem Training rein, arbeitet hart und will besser werden. Aufgrund der großen Anzahl von Spielen beim BVB ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er irgendwann zum Einsatz kommt. „Auch wenn man niemandem wünscht, dass etwas passiert, ich kenne mich ja selbst mit Verletzungen aus.“ 

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Im September dann zog sich Gregor Kobel den eingangs erwähnten Muskelfaserriss zu, und daraufhin schnappte sich Terzic Meyer beim Abschlusstraining vor dem Spiel gegen Kopenhagen. Am Tag danach stand unsere Nummer zwei erstmals bei einem schwarzgelben Pflichtspiel auf dem Platz. „Wenn man die Spiele sieht und alles drumherum – die Champions League, die Bundesliga, auch die Gegner –, ist das hier eine ganz andere Welt. Das muss man sich schon ein-, zweimal sagen, damit man das auch wertschätzt und einordnet“, sagt Meyer über den BVB. „Am Ende versuche ich, die Spiele aber auch nicht zu groß aufzuhängen. Es gilt, meinen Job zu machen und der Mannschaft zu helfen, die Bälle zu halten. So fahre ich ganz gut damit.“ Gegen Kopenhagen hat er die Bälle gehalten, das Spiel endete 3:0 für den BVB. Beim seinem ersten Bundesliga-Spiel in Leipzig musste er dreimal hinter sich greifen. Doch trotz der Niederlage wird ihm das langersehnte Bundesliga-Debüt immer in Erinnerung bleiben. 

Nach vier Pflichtspielen stellte ihm Terzic ein positives Zwischenzeugnis aus: „Alex hat von Tag eins an einen richtig guten Eindruck hinterlassen. Wenn man sieht, welche Ruhe er ausstrahlt, wenn er angespielt und angelaufen wird, und wie er trotzdem mit einem Kontakt unsere Innenverteidiger, mit einem Kontakt diagonal unsere Außenverteidiger findet: Das verändert das Spiel.“ Ruhe ist ein Wort, das immer wieder im Zusammenhang mit dem Torwartspiel Meyers genannt wird. Auch er selbst hält es für wichtig, „dass man von hinten Ruhe ausstrahlt. Die Mitspieler sollen wissen, dass da einer ist, auf den man sich verlassen kann, der jederzeit anspielbar ist, sowohl mit dem Fuß als auch bei hohen Bällen.“ Trotzdem kann er auf dem Platz auch mal laut werden. Er mag es, zu coachen, zu kommunizieren und Verantwortung zu übernehmen.

Wenn er das nächste Mal dazu Gelegenheit bekommt, wird Borussia Dortmunds Nummer zwei wieder bereit sein. Ganz bestimmt.

Autorin: Christina Reinke
Fotos: Alexandre Simoes

Der Text stammt aus dem Mitgliedermagazin BORUSSIA. BVB-Mitglieder erhalten die BORUSSIA in jedem Monat kostenlos. Hier geht es zum Mitgliedsantrag.