Die DFB-Autorennationalmannschaft ist die Nationalelf der Schriftsteller. Im Jahr 2010 wurde sie Europameister - mit einem Finalsieg im Stadion Rote Erde. In dieser Saison begleitet sie alle Heimspiele des BVB in literarischer Form. Heute: Lucas Vogelsang über seine Beobachtungen beim Spiel Borussia Dortmund gegen den VfB Stuttgart (24.9.2014).

(Die Kolumne spiegelt nur die Meinung des Autors, aber nicht zwangsläufig die des BVB wider.)

In der Wand

In der Wand, die gelb ist und schwarz, die laut ist und heiß, da hast du keinen Nachnamen.

Du heißt Manne.

Du heißt Zwerch, Moppel oder Bäuerchen.

Du heißt Furzer, Blockwart oder Nullneun.

Mehr muss die Wand nicht wissen.

Und wenn du doch einen Nachnamen tragen willst

Dann trag ihn auf dem Rücken.

In der Wand heißt du:

Kree

Zorc

Oder Amoroso

Heißt du Großkreutz

Błaszczykowski

Oder Reus.

In der Wand, die gelb ist und schwarz, ist es nicht wichtig, wie du aussiehst.

Der Wand ist es egal, ob du draußen Amtsleiter bist oder mal gesessen hast. Es ist ihr egal, so lange du ihre Farben trägst.

Und pünktlich bist.

In der Wand ist 19:04 Uhr eine scheiß Zeit.
Fünf Minuten später aber schon wieder alles in Ordnung

In der Wand beginnt jedes Spiel, auch eines gegen Stuttgart, schon zwei Stunden früher. Die Wand macht da keine Unterschiede. Selbst an einem Mittwochabend wie diesem, Flutlicht und Regen, sind es nie nur 90 Minuten. 5. Spieltag, letzte Sekunde. Wand ist Wand. Ein Teil von dir, weil du ein Teil von ihr bist.

In der Wand stehst du seit 20 Jahren am gleichen Fleck. Vererbt.

Die Wand, das ist: Geschlossene Gesellschaft

Du hast dein Leben hier verbracht. Jeden Tag und jede Nacht.

Hier darfst du Kutte tragen und verliebt sein in Susi.

Aber wenn die Wand zu singen beginnt, musst du mitsingen, klar. Das erwartet die Wand von dir.

Die Wand braucht deine Stimme.

Wehe dir, du verpasst deinen Einsatz.

Aida. Große Oper. Seit 20 Jahren schon.

You’ll never walk alone, länger noch.

In der Wand läufst du nie alleine. Läuft es dir eiskalt den Rücken runter.

In der Wand musst du wissen, was die Mütter der Gegner beruflich machen.

In der Wand musst du, Wohlsein!, Bierchen trinken.

Und du musst wissen, wie viel rote Erde wiegt.

In der Wand sagst du: Gelsenkirchen, die Blauen, du sagst Herne West.

Schalke sagst du nie.

Das würde die Wand dir übel nehmen.
Wenn du also Witze machen willst in der Wand, mach die richtigen.

Und wenn du in der Wand von früher erzählen willst, dann erzähl von Emmerich und Wegmann.

Erzähl von Kohler und Riedle.
Erzähl von Reuter ’95.
Erzähl von München ’97.

Das gibt was auf die Schulter, das gibt Beifall.

Die Wand denkt gerne zurück.

Erzähl aber nicht von Andy Möller

Und wenn Du von Andy Möller erzählst, dann wisch Dir Tränen aus dem Gesicht, die Du nie geweint hast.

Denn die Wand vergisst nicht.

In der Wand steht Teddy für Torwart.
Und Kobra für Tore.

Die Wand liebt die Vergangenheit.

Deshalb liebt sie Norbert Dickel, er ist ihr Mann auf dem Platz.

Er hat seine Gesundheit gegeben für sie, jetzt gibt er ihr seine Stimme.

Die Wand weiß das zu schätzen, sie schenkt ihm dafür ein Echo.

Deshalb gilt: Wenn Norbert Dickel Roman brüllt, dann brüllst du: Weidenfeller.

Und wenn er Kagawa brüllt, dann brüllst du Shinji.

Das gehört sich so, das gehört zum guten Ton.

Die Wand kann höflich sein, die Wand kann schnell böse werden.

Wand ist, wenn der Schiri pfeift

Arschgeige

Pfeifkonzert

In der Wand stehen so viele wie einer da unten in der Woche verdient.

Die Wand liebt sie trotzdem.

Liebe und Hass, das kann die Wand gut.

Wenn du in der Wand hasst

Dann weißt Du warum.

Wenn du in der Wand liebst

Dann erst recht.

Die Wand liebt Männer.

Und schämt sich nicht dafür.

In der Wand musst du hüpfen, damit jeder sieht, dass du kein Schalker bist.

In der Wand, ganz oben, ist man schon fast im Himmel.

Und der Fußballgott, das weiß ja jeder, ist Borusse.

Aber in der Wand weißt du auch: Selbst die Religion schützt nicht vor Niederlagen.

Auch das gehört dazu.

Du musst, meine Fresse!, leiden können.

Zusammenzucken, wenn Shinji nur die Latte trifft.

Und wieder hüpfen, weil du ja vor allem kein Schalker sein willst.

Und ungeduldig werden, weil die Wand weiß, 0:2 kurz vor Schluss, dass Hummels wichtiger ist als Ramos.

Der Wille wichtiger als die Kunst.

Die Wand weiß es und deshalb weißt du es auch.

Die Wand war vor dir schon hier.

Am Ende ist es die Wand, die noch ein Unentschieden erkämpft.

Aber auch das ist ihr schon wieder egal.

Denn die Wand weiß auch: Das nächste Spiel ist immer der Derbysieg.
Und die Wand fordert genau den.

Und du wirst wiederkommen, weil du ohne die Wand gar nicht kannst.

Immer schon. Ein Leben lang.

Und die Wand weiß auch das.

von Lucas Vogelsang

Alle bisher erschienenen Beiträge in der Kolumne "EVONIK WORTSPORT"

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Lucas Vogelsang
Lucas Vogelsang

Lucas Vogelsang wurde 1985 in Berlin geboren. Mittlerweile hat er mit dem Liedermacher Rainald Grebe ein Theaterstück verwirklicht, mit Thomas Gottschalk eine Fernsehsendung an die Wand gefahren und ist freier Autor für den «Tagesspiegel», «Playboy» und die «ZEIT». 2010 erhielt er gemeinsam mit Dirk Gieselmann, Fabian Jonas und Andreas Bock den Henri-Nannen-Preis für den 11Freunde-Liveticker. 2013 wurde er mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet. Sein Moment für die Ewigkeit: Schaffte es 1997 mit seinem Vater im Windschatten von Günther Jauch zur Aufstiegsfeier von Hertha BSC.

Evonik Industries
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Evonik Industries, Hauptsponsor von Borussia Dortmund, gehört zu den führenden Spezialchemie-Unternehmen der Welt. Während der BVB mit überraschenden Ideen den Weg zum Tor findet, entwickeln wir innovative Lösungen für unsere Kunden. Und geben dabei Antworten auf die Megatrends Gesundheit, Ernährung, Ressourceneffizienz und Globalisierung. Für Evonik und Borussia Dortmund gilt: Kreativität macht den Unterschied. Die Fähigkeit, im Labor wie auf dem Platz immer wieder neue Verbindungen herzustellen, entscheidet über unseren Erfolg. Daher haben wir die Kolumne „Evonik Wortsport“ ins Leben gerufen – sie verspricht eine Saison lang immer neue, überraschende Kombinationen von Fußball und Literatur.

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