Vor elf Jahren war Mitch Langerak als junges Torhütertalent aus Melbourne nach Dortmund gekommen und hat die Herzen aller BVB-Fans im Sturm erobert. Aktuell versucht er, in Japan seinen nächsten Titel zu gewinnen. Wir haben den heute 32-Jährigen in Nagoya erreicht und uns mit ihm an eine der erfolgreichsten Phasen schwarzgelber Fußballgeschichte zurückerinnert. 

Mitchell James Langerak ist der Prototyp des Sonnyboys. Es scheint, als müsse er den Begriff „schlechte Laune“ erst im Lexikon nachschlagen. Ausgestattet mit einem Aussehen, das andere auch mit digitaler Bildbearbeitung nie erreichen werden, und ganz offensichtlich unfähig, optisch zu altern. Sein Lachen öffnet Herzen und lässt jeden Werbefotografen jauchzen. Charmant, offen, fröhlich und freundlich – die Liste positiver Attribute ließe sich beliebig fortsetzen. Wer es nicht glaubt, sollte sich mal die Reaktionen und Kommentare der Fans zu Videos mit und über ihn im Netz durchlesen – da ist man schnell am oberen Ende der Sympathieskala angelangt.  

Das liegt aber nicht allein an seinem lässigen Naturell. Es hat auch ganz entscheidend mit seiner Qualität als Torhüter zu tun. Als er mit 21 Jahren den Sprung aus Down Under zum BVB wagte, war er bereits mit Melbourne Victory Australischer Meister und vom Australischen Fußball-Verband als U23-Fußballer des Jahres mit der Harry-Kewell-Medaille ausgezeichnet worden. In Dortmund sollte der 1,93 Meter große Schlussmann nach dem Wechsel von Marc Ziegler zum VfB Stuttgart dessen Posten als Back-up für Stammkeeper Roman Weidenfeller übernehmen und wurde so zu einem Bestandteil der grandiosen Klopp-Ära. Eine unvergessene Zeit, in der die Meisterschaften 2011 und 2012, der Pokalsieg 2012, das Champions-League-Finale 2013 und die Supercup-Titel 2013 und 2014 gefeiert wurden. 2013 debütierte Langerak zudem in der australischen Nationalelf und gehörte ein Jahr später zum Kader der Socceroos bei der Weltmeisterschaft in Brasilien.  

„Ich war so jung, als ich nach Dortmund gekommen bin. Es war von dem Moment, als ich aus dem Flieger gestiegen bin, bis zu meinem Abschied eine ständige Lernkurve. Diese fünf Jahre in Dortmund waren die wichtigsten für meine Entwicklung. Ich konnte mit einigen der besten Spieler der Welt trainieren und gelegentlich auch spielen.“ Und Mitch schwärmt heute noch in den höchsten Tönen von seinem damaligen Trainer. „Jeder Spieler, der unter Jürgen Klopp gespielt hat, wird dasselbe sagen: Seine Leidenschaft, sein Führungsstil, die Art, wie er mit den Spielern kommuniziert und sie behandelt, sind großartig. Ich bin einmal nach dem Training zu ihm gegangen und habe gefragt, was ich machen kann, um mich zu verbessern. Die meisten Trainer hätten mich auf einen anderen Tag vertröstet, um sich auf so ein Gespräch vorzubereiten. Nicht Klopp. Er sagte: Kein Problem, lass uns reden! Und dann haben wir direkt nach dem Training eineinhalb Stunden geredet, und er hat mir Tipps und Ratschläge gegeben. Er hat mir gleich zu Beginn gesagt, dass für ihn jeder Spieler wie ein Sohn wäre, und dass er daher 25 Söhne habe, um die er sich kümmern und die er beschützen müsse.“ 

Fünf Jahre lang war Langerak ein überaus loyaler und – wenn gebraucht – stets verlässlicher Vertreter für Roman Weidenfeller. In seiner ersten Spielzeit eilte der BVB von Sieg zu Sieg und rockte die Liga. Für Mitch erst einmal kein Grund zur Aufregung. Bis zum 24. Spieltag hatte er Zeit, sich zu akklimatisieren. Dann verletzte sich Roman Weidenfeller. Vor dem Spiel bei den Bayern. 

„Ich erinnere mich an den Tag vor meinem Debüt in München, als mich die Realität eingeholt hat. Ich dachte: Moment mal, wir haben in München seit 20 Jahren nicht mehr gewonnen. Wenn wir diesmal gewinnen, haben wir eine gute Chance, Meister zu werden. Da wurde mir erstmals der Ernst meiner Lage bewusst. Ich war aufgeregt. Marcel Schmelzer kam zu mir und sagte: Mitch, du hast doch schon öfter 90 Minuten Fußball gespielt. Das werden auch nur weitere 90 Minuten Fußball. Mach dir also keinen Kopf und gib einfach dein Bestes. Aber dann hatten wir unsere Besprechung vor dem Spiel, und Kloppo sagte: Dieses Spiel wird in über 200 Länder live übertragen. Und auch Mitchells Eltern in Australien schauen zu. Also macht euch keine Sorgen. Es ist nur ein Spiel.“ 

„Ich ernte hier jetzt die Früchte meiner Arbeit in Dortmund.“ 

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Ein Spiel, das Borussia Dortmund mit einem starken Debütanten im Tor souverän mit 3:1 gewinnen konnte, anschließend 16 Punkte Vorsprung auf den Rekordmeister hatte und wenig später zum siebten Mal Deutscher Meister wurde. Es folgten noch 34 weitere Pflichtspiele für die Profis und zehn für die U23. Und auch ohne eine allumfassende Recherche betrieben zu haben, behaupten wir mal, dass Mitch Langerak einen Weltrekord in Spielen gegen Bayern München hält. Viermal hat er gegen die Bayern gespielt. Viermal hat er den Platz als Sieger verlassen. Selbstredend, dass er diese Spiele zu den herausragenden Erinnerungen seiner Zeit in Dortmund zählt. 

Neben dem Erfolg bei seinem Debüt war da noch das Pokalfinale 2012, als er beim Stand von 1:1 nach 33 Minuten für den verletzten Roman Weidenfeller in die Partie kam und seinen Beitrag zum großen 5:2-Coup leistete. In der Saison 2014/15, seiner letzten Spielzeit in Schwarzgelb, kürte ihn Klopp ohne Wenn und Aber zum Pokaltorhüter. Also stand er zunächst beim 2:0-Sieg zum Gewinn des Supercups zwischen den Pfosten und später auch im legendären DFB-Pokal-Halbfinale, an das sich alle Schwarzgelben nur zu gerne erinnern. Der Australier brachte Lewandowski, Müller & Co. mit zahlreichen Glanzparaden zur Verzweiflung. In der 115. Minute wehrte er mit einem Wahnsinnsreflex einen Kopfball von Bastian Schweinsteiger aus kürzester Distanz ab. „Definitiv eine der besten Paraden meiner gesamten Karriere.“ Diese Glanztat brachte sein Team ins Elfmeterschießen, in dem Langerak dann endgültig zum Helden wurde. 

„Das war das Spiel meines Lebens. Es war vom Anpfiff bis zum Ende einfach nur verrückt. Alle vier Bayern-Schützen versagten. Allesamt Weltmeister. So etwas wird nie wieder passieren. Als ich den Elfmeter von Mario gehalten und den unglaublichen Jubel unserer vielen mitgereisten Fans gespürt habe – dieses Gefühl, puuh, ist schwer in Worte zu fassen. Das sind die großen Momente, für die du als Sportler lebst. Für einen Torhüter ist es so, als hätte man das Siegtor geschossen. Und den Bayern diesen Sieg in ihrem Wohnzimmer weggenommen zu haben, war schon ein nahezu perfektes Gefühl. Das werde ich nie vergessen.“ 

„Wenn du einmal Teil dieses besonderen Klubs warst, bleibst du es ein Leben lang.“  

Nie vergessen werden alle Borussen die Bilder, wie im Moment der Entscheidung die komplette BVB-Bank auf Langerak zustürmt und den Finaleinzug feiert, allen voran Jürgen Klopp. Vorbei an Pep Guardiola, der aussieht, als könne er ein Snickers vertragen. Längst war klar, dass Langerak viel zu gut war, um auf der Bank zu sitzen. 2015 nahm er eine Offerte des VfB Stuttgart an. „Ich war mir nicht sicher, was Tuchel mit mir vorhatte. Ich war nicht überzeugt, dass ich die Chance bekommen würde, die Nummer eins zu sein. Gleichzeitig wollte Stuttgart, dass ich dort die Nummer eins werde. Also habe ich diese Möglichkeit genutzt.“ 

Bei den Schwaben avancierte Mitch zu einem der Garanten für den Bundesliga-Aufstieg. 2017 zog es ihn in die Primera Division nach Spanien. Nach einem unglücklich verlaufenen halben Jahr in Levante hat es ihn im Januar 2018 schließlich in die J-League nach Japan zum damaligen Aufsteiger Nagoya Grampus Eight verschlagen. 

„Die Liga ist gut. Das Niveau steigt stetig. Nicht umsonst spielen hier einige internationale Spitzenspieler, wie zuletzt Lukas Podolski, David Villa, Fernando Torres oder aktuell Andres Iniesta.“ In Nagoya hat er sich auf Anhieb den Stammplatz erobert, und in dieser Saison erweist sich das Team unter dem italienischen Trainer Massimo Ficcadenti im Kampf um den Titel als härtester Konkurrent für Titelverteidiger Kawasaki Frontale. Auch ein Verdienst von Mitch Langerak, dessen persönliche Bilanz sich sehen lassen kann. Nach einem Eigentor seines Teamkollegen Yoshida am ersten Spieltag blieb er in der Folge 824 Minuten (fast 14 Stunden) unbezwungen. Ohne Yoshidas Missgeschick hätte er saisonübergreifend mit 1275 Minuten (über 21 Stunden!) ohne Gegentor einen unglaublichen Rekord aufgestellt. „Ich ernte hier jetzt die Früchte meiner Arbeit in Dortmund. Jedem meiner Landsleute rate ich, nach Deutschland zu gehen, wenn er die Möglichkeit dazu hat. Die fußballerische Ausbildung dort ist erstklassig. Meiner Meinung nach gibt es keine bessere Wahl.“ 

„Das sind die großen Momente, für die du als Sportler lebst.“ 

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Mittlerweile hat er sich auch an die kulturellen Besonderheiten im Land der aufgehenden Sonne gewöhnt. „Nach Japan zu gehen, war im Grunde nicht anders, als mit 21 von Australien nach Deutschland zu gehen. Beides kam mir vor wie eine Reise zum Mond. Man muss sich eben an viele Dinge erst einmal gewöhnen“ Mit seiner offenen, freundlichen und unkomplizierten Art ist ihm das nicht schwergefallen. Mitch Langerak ist in Japan glücklich und zufrieden. Seine Frau Riahannon hat vor wenigen Monaten ein Schwesterchen für den zweijährigen Santiago zur Welt gebracht. Mit Borussia Dortmund aber verbinden ihn immer noch große Gefühle. „Ich schaue so viele Spiele wie möglich. Ich bin im Nachhinein ein noch viel größerer BVB-Fan geworden. Wahrscheinlich bin ich einer der größten Fans des BVB, halte mich auf dem Laufenden und verfolge alles, was da passiert.“ 

Da hilft es ihm, dass er so gut Deutsch gelernt hat. Beim Sprechen fühlt er sich zwar nicht so wohl, aber beim Lesen und Zuhören versteht er nahezu alles. Mitch schwärmt noch heute von der Mentalität der damaligen Mannschaft und seinen Teamkollegen, von denen er mit Neven Subotic den engsten Kontakt hatte. Und er kann es kaum erwarten, wenn irgendwann in der Zukunft alle zu Jubiläumsfeiern ihrer damaligen Erfolge wieder einmal zusammenkommen werden. „Ich habe so viele wunderschöne Erinnerungen und will unbedingt einmal mit meiner Familie zurückkommen. Ich würde auch die Kinder gerne mit ins Stadion nehmen, ihnen die Gelbe Wand und alles andere zeigen. Wenn du einmal Teil dieses besonderen Klubs warst, bleibst du es ein Leben lang.“ 
Autor: Rudolf Schaarschmidt